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Zweites Buch: Fremde Welten

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Als Gwenaëls Schiff am nächsten Tag ablegte, stand die Sonne bereits hoch über dem Horizont. Von Hamil-kahar und seinem Schiff sowie von den Nordmännern war nichts mehr zu sehen. Nur ein paar Scherben der billigen Töpferwaren lagen noch an Land herum und gaben scheppernde Töne von sich, wenn jemand bei der eiligen Erledigung seiner Geschäfte dagegen stieß.

Adalis hatte sich auffallend herzlich von Khor verabschiedet, was Gwenaël beim Ablegen schließlich zu einer entsprechenden Bemerkung veranlasste. „Seit wann schätzt Tyrells Weib denn Hänflinge und Kopfmenschen, wo sie doch früher nur richtige Mannsbilder bevorzugt hat.“

„Vielleicht sieht sie die Dinge heute ein wenig anders als früher“, erwiderte Khor. „Vielleicht hat sie erkannt, dass Muskelkraft allein nicht ausreicht.“ Er gab Gwenaël einen Knuff auf den Oberarm.

„Da schau an“, lachte der. „Das sind ja schöne Aussichten. Schlauköpfe sind also zukünftig gefragt. Kraft wird durch Klugheit und Geschicklichkeit ersetzt. Nun denn, wenn dies der Lauf der Welt ist …“ Gwenaël legte Khor den Arm auf die Schulter. „Denk aber daran, dass auch Klugheit und Geschicklichkeit missbraucht werden können. Aber es wird eindeutig Zeit, dass kluge Köpfe wie du die Welt erforschen. Wie oft hat man schon hinter Unerklärlichem das Werk von Göttern oder Dämonen gesehen. Es hilft, wenn man herausfindet, dass es Gesetzmäßigkeiten gibt, denen alles unterworfen ist und dass nicht der Willkür irgendwelcher Götter dahintersteckt.“

„Wie meinst du das?“, fragte Khor. „Woran denkst du dabei?“

„Na“, überlegte Gwenaël kurz, „zum Beispiel die Sonne. Meine Urahnen fürchteten noch jeden Abend, dass sie am nächsten Morgen nicht mehr wiederkehren könnte. Und der Winter war eine schreckliche Zeit für sie. Meinten sie doch, das augenfällige Siechtum der Sonne nur mit Opfergaben und Gebeten aufhalten zu können. Sie lebten in Angst vor dem Ungewissen. Seit meine Vorfahren aber den Großen Steinkreis errichtet haben und deine die Himmelsscheibe schmiedeten, wissen wir, dass die Sonne sowie der Mond zu festen, vorherberechenbaren Zeiten auf- und untergehen. Jahr für Jahr durchlaufen sie dieselben Bahnen. Von Göttern, die willkürlich wirken, also keine Spur. Ich frage mich somit, ob das Meer nicht vielleicht auch ähnlichen Gesetzmäßigkeiten unterliegt.“ Gwenaël schüttelte den Kopf. „Aber ich habe bisher noch keine verlässlichen Regeln entdecken können.“

„Hast du mir aber nicht selbst gesagt, dass bestimmte Küsten im Frühjahr besonders stürmisch sind, während andere eher im Herbst unbefahrbar werden“, widersprach Khor.

„Üblicherweise ist das so“, räumte Gwenaël ein. „Aber ich habe schon Sturm erwartet und ein schlummerndes Meer vorgefunden. Und natürlich genauso umgekehrt. Für mich ist das Meer nach wie vor lebendig. Es ist der Körper einer Göttin, genauso wie auch die Erde der Körper einer Göttin ist.“

„Was ist mit der Luft?“, wollte Khor wissen.

„Ich sag’s ja, ein kluger Bursche.“ Gwenaël deutete eine Kopfnuss an. „Die Luft ist ebenso die Heimstatt einer Göttin, so wie das Feuer. Und wir müssen sie alle vier zufrieden stellen. Auch wenn wir als Seegeborene natürlich vor allem Luft und Wasser huldigen, denen wir am meisten ausgesetzt sind. Doch wir müssen uns vorsehen, dass die Erde nicht eifersüchtig wird und unser Schiff mit Klippen aufschlitzt oder uns auf Sandbänke lockt. Schlimmer als ein eifersüchtiges Weib ist nur noch eine eifersüchtige Göttin. Und das Feuer, du weißt es selbst, will umhegt sein, wie ein neugieriges Kind, das überallhin zu entkommen sucht. Wir lieben es und doch müssen wir uns vorsehen, dass es in seinem Ungestüm nicht alles vernichtet. Lass mich also Wind und Meer danken, weil sie uns bislang so gewogen waren. Bald sind wir in stürmischeren Gewässern. Und ich wäre froh, wenn uns Meer wie Wind auch weiterhin wohlgesinnt blieben.“

Gwenaël goss Apfelmost und Bier in die Wellen. Er warf ein nicht eben kleines Stück eines fast durchsichtigen Gewebes hinterher, das er tags zuvor zu diesem Zweck eingetauscht hatte. Noch nie hatte Khor einen derart feinen Stoff gesehen und überlegte, ob es nicht doch Spinnen waren, die ihn gewebt haben mochten.

„Für mein Weib, das mir lieb und teuer ist“, murmelte Gwenaël, als der Stoff für eine Weile mit dem Wind segelte. Ja, er sah aus, als ob er mit dem Wind tanzte und zum Abschied mit seinen Zipfeln winkte. Als der Stoff das Wasser berührte, schien er sich in ihm aufzulösen, so schnell war er nicht mehr auszumachen. Gwenaël verbrannte je einen Bernstein für den Wind und das Feuer. Und der Erde opferte er eine kleine Schale aus Ton, die er auf der letzten Klippe zerschmetterte, an der sie vorbeisegelten. „Und dass mir das Kind in Coiras Bauch einsieht, dass es ihr Gast und auf sie angewiesen ist und sie nicht auffrisst.“

Gwenaëls Opfergaben und Bitten schienen gehört worden zu sein, denn das Meer blieb freundlich und die Winde waren gewogen. Sogar Sarti meinte irgendwann einmal, dass Schiffsreisen durchaus angenehm sein konnten. Allerdings durfte man ihn nicht an die Überfahrt auf Gwenaëls Insel erinnern, die sie im letzten Herbst hinter sich gebracht hatten. Dann war all seine Zuversicht dahin, sich doch noch an die Seefahrt gewöhnen zu können.

So saßen sie also die Tage über an Deck auf ihren bequemen Schemeln in der Sonne und sprachen über dieses und jenes. Gwenaël berichtete vom Glauben der Seegeborenen, Broc von jenem der Altgläubigen, die mit ihren Geistern und Dämonen der Sonne ihren Rang streitig machten. Zappelnd saß Sarti mit hochrotem Kopf daneben und ließ hervorsprudeln, was er dazu in seinem Gedächtnis gespeichert hatte. Als ob er ihn nachmachen wollte, hockte der Rabe auf Brocs Schulter und wiederholte Sartis wiegendes Auf und Ab des Oberkörpers. Statt mit den Armen zu fuchteln, flatterte der Vogel mit seinen Flügeln und murmelte dabei kaum hörbar irgendwelche unzusammenhängenden Worte. Sarti ärgerte sich darüber und schlug nach Brocs gefiedertem Freund, wenn es ihm zu bunt wurde. Der flog dann laut krähend eine Schleife über das Schiff, um schließlich wieder auf Brocs Schulter zu landen. Der Wolfshund hob jedes Mal missbilligend den Kopf und stierte dem Raben hinterher, als ob er nur darauf wartete, dem Schreier endlich den Garaus machen zu können. Erst wenn wieder Ruhe eingekehrt war, legte er seinen Kopf auf die Pfoten und schlummerte wieder ein.

So vergingen die Tage - einer wie der andere. Die Häfen, die sie anliefen, boten wenig Bemerkenswertes, so dass Khor sie in seiner Erinnerung schon bald durcheinander brachte. Und obwohl sie nach wie vor überall irgendwelche Verwandten Gwenaëls antrafen, schliefen sie seither jede Nacht an Bord. Offenbar waren die verwandtschaftlichen Bande nur noch sehr oberflächlicher Art, denn Gwenaël lehnte jedes Mal dankend ab, falls doch einmal eine Einladung ausgesprochen wurde.

Zunächst hatten sie Uleria angelaufen, eine überaus fruchtbare Insel direkt in Sichtweite des Festlandes. Khor hatte kaum je ein üppigeres Land gesehen. So weit das Auge reichte, grünte auch hier das Getreide und die Häuser waren kunstvoll mit bunten Ornamenten und Zeichen bemalt. Gerne hätte Khor einen Spaziergang unternommen, um das Eiland ein wenig näher zu erkunden. Aber Gwenaël hatte es eilig und ließ schon im Morgengrauen wieder ablegen. Gerade einmal, dass der Wolfshund nach flehentlichem Fiepen von ihm die Erlaubnis bekam, noch schnell einen Baum zu besuchen. Als Khor an Deck kam, die Sonne war eben erst aufgegangen und hatte ihm einen Morgengruß durch das winzige Löchlein in der Schiffswand geschickt, lag der Wolfshund selig schlummernd neben der Luke und Uleria war schon ein Stück entfernt. Das Schiff folgte bereits der Küstenlinie des Festlandes, das mehr und mehr seine Schroffheit verlor und in saftige Weiden überging. Plötzlich brach die Küstenlinie ab, um einem riesigen Mündungstrichter Raum zu geben. Khor staunte, denn er hatte schon etliche Flüsse ins Meer münden sehen, aber dieser hier übertraf sie alle an Breite und Tiefe. Wie eine riesige Seeschlange spie er mit weit aufgerissenem Schlund braunes Wasser ins ewige Blau des Meeres und hinterließ dort lange, trübe Schleier. Zugleich fühlte sich Khor aber auch eingesogen von dem Riesentier, das mit üppig bewachsenen Ufern gefallsüchtig um Aufmerksamkeit buhlte.

„Das geht allen so, die hier vorbeikommen“, sagte Gwenaël, der Khor beobachtet hatte. „Von Anbeginn hat dieser Mündungstrichter die Menschen angelockt und schließlich auch verschlungen. Er hat sie in sich aufgenommen und über seine Nebenflüsse weit verteilt.“

„Es muss ein wunderschönes Land sein!“ Khor konnte den Blick nicht abwenden. „Zuerst meint man, es sei Dreck der einem entgegen gespieen wird. Doch dann erkennt man, dass es fruchtbare Erde ist. Fette, rote, schwere Erde.“

„Es ist auch nur Lehm!“, meinte Gwenaël verächtlich, besann sich aber dann. „Nein, um der Sache gerecht zu werden: Die Erde ist tatsächlich gut und das Land wunderschön. Aber die Menschen …“ Gwenaël schüttelte sich vor Abscheu.

„Menschenfresser?“ Sartis Stimme überschlug sich fast vor Aufregung.

Gwenaël lachte, kannte doch mittlerweile auch er Sartis schlimmste Ängste: Wellengang und Menschenfresser. „Nein, keine Angst. Die fressen schon lange keine Menschen mehr. Sie mögen nur leider keine Fremden. Von Gastfreundschaft hat man dort noch nichts gehört. Einmal nur bin ich mit meinem Schiff ein Stück in diese Mündung hingefahren. Sie haben noch nicht einmal gefragt, wer ich bin und was ich will, sondern haben gleich mit Pfeilen auf mich geschossen. Ungeheuerlich! Wie die Wilden über dem Großen Meer, von denen ich Euch erzählt habe. Allerdings sind sie alles andere als Wilde. Sie halten sich jedoch für die einzigen Menschen, die diese Bezeichnung auch verdient hätten. Denn alle anderen Menschen sind für sie wie das Vieh, dass man nach Belieben benutzen oder auch abschlachten darf. Als ob sie Götter wären, die sich gewöhnlichen Sterblichen gegenüber nicht rechtfertigen müssten, ja, sie voller Abscheu sogar mieden, weil sie fürchten, von ihnen entweiht zu werden.“

Eigentlich war Khor nun neugieriger denn je und hätte gern mit eigenen Augen gesehen, was sich weiter flussaufwärts befand. Vielleicht beruhte Gwenaëls frühere Begegnung ja auch nur auf einem Missverständnis, überlegte er. Aber nach seiner so leidenschaftlich vorgetragenen Schmähung war Khor klar, dass es keinerlei Sinn machte, Gwenaël darum zu bitten, den Mündungstrichter doch noch anzusteuern. Also zog das Schiff flugs daran vorbei und schon bald war das Meer wieder unendlich blau.

Von nun an war die Küstenlinie wie von Riesenhand schnurgerade gezogen. Entlang endloser, flach ansteigender Sandstrände und dahinter liegender Dünen ging es immer weiter in Richtung Süden. Khor spürte in den Nächten, wie die Luft deutlich milder wurde. Zwei ganze Tage lang sahen sie nichts anderes als Sand und Strandhafer. Am Abend des ersten Tages machten sie an der Einfahrt zu einer ausgedehnten, flachen Meeresbucht in einem Fischerdorf Halt. Es stank erbärmlich nach Fisch, nach totem, nach vergehendem Fisch. Und so weit das Auge reichte, lagen leere, bleiche Muschelschalen an Land. Gwenaël bestand jedoch darauf, Trinkwasser an Bord zu nehmen und machte sich über die empfindsamen Nasen seiner Freunde lustig. Der Wolfshund hingegen war ganz in seinem Element. Vor Wohlbefinden grunzend wälzte er sich sogar in den stinkenden Abfällen, so dass Khor ihn erst einmal im Meer säubern musste, bevor ihm Gwenaël die Rückkehr auf sein Schiff gestattete. Sarti weigerte sich am Abend sogar zu essen, da alles nach vergammeltem Fisch schmeckte, wie er meinte. Selbst Ottel machte ein verdrießliches Gesicht und war sichtlich froh, als ganz früh am nächsten Morgen die Fahrt fortgesetzt wurde.

Ein weiterer Tag mit Sand und Strandhafer. Man verplauderte ihn auf den bequemen Schemeln im Sonnenlicht. Und in den Augenblicken des Schweigens hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Der Hafen, den sie am Abend anliefen, war insofern bemerkenswert, als dass er in einer fast kreisrunden natürlichen Bucht lag. Außerdem fand dort am Abend ein Fest mit Tanz statt, das Khor sehr beeindruckt hatte, waren ihm doch die Musik, ebenso wie der Tanz, bereits reichlich fremdartig erschienen. Erstmals hatte er das Gefühl, endgültig in der Fremde angekommen zu sein. Man tanzte mit Lichtern in der Hand etwas Ähnliches wie den Kranich, was in der hereinbrechenden Dunkelheit ein überaus anheimelndes Bild abgab. Auch dieser Tanz feierte die Gemeinschaft, den Schutz und die Stärke, die sie jedem einzelnen gab. Nur zu gerne hätte Khor mitgetanzt, denn er kannte das Gefühl jener Geborgenheit nur zu gut und hätte ihm auch gerne Ausdruck gegeben. Doch leider waren die Einheimischen sehr zurückhaltend und mieden die fremden Besucher, so dass Khor mit keinem der Bewohner ein Wort wechseln konnte. Bemerkenswert war dieser Ort vor allem deshalb, weil hier die Küste einen scharfen Knick machte. War es bisher zwei Tage lang an Sandstränden und flachen Dünen vorbei in Richtung Süden gegangen, so wurde die Küste nun wieder felsiger und knickte abrupt nach Westen ab.

Als sie am nächsten Morgen ablegten, standen Khor, Broc, Sarti und Ottel an der Reling, weil es, wie sie meinten, endlich wieder etwas Abwechslung geben würde. Doch die schroffen Klippen, unterbrochen von weißen Sandstränden, die nun den ewigen Sand und Strandhafer ablösten, langweilten sie mit der Zeit ebenso.

Erst am Abend des ersten Tages, als sie genau auf die untergehende Sonne zuhielten, dämmerte es auch den vier Landgeborenen, dass sie bereits einen ganzen Tag in Richtung Westen gesegelt waren.

„Man merkt das gar nicht“, staunte Broc, „weil man ja nichts anderes tut, als immer nur die Küste entlang zu fahren.“

„Tja“, triumphierte Gwenaël, „als Landgeborener merkt man das wohl nicht.“

„Jetzt tu aber nicht so, als ob du das sofort feststellen könntest“, unternahm Broc einen Versuch zur Ehrenrettung.

Gwenaël lachte. „Es wäre schlimm, wenn ich das nicht könnte. Wir Seegeborenen sind wie die Aale und Lachse, die ihre Wege von Geburt an kennen.“ Die Mannschaft murrte leise Beifall. „Wir sind wie die Zugvögel, die alljährlich wiederkehren.“ Man murrte lauter. „Wir Seegeborenen haben ein Gespür dafür, wo wir gerade sind und wo wir hin müssen. Wir haben einen eigenen Sinn dafür.“ Lauter, gemurrter Beifall. Gwenaël sah wie Sarti gerade Luft holte, sicherlich, um ihm das Gegenbeispiel eines gescheiterten Seegeborenen aufzuzeigen, so dass er flugs hinzufügte: „Jedenfalls die Guten von uns haben diesen Sinn.“ Jetzt murrte die Mannschaft begeistert ihren Beifall und gab den vier Landgeborenen zu verstehen, dass sie nichts weiter waren, als uneingeweihte Bauerntölpel, die überhaupt nicht verstanden, wovon überhaupt die Rede war. Wahrscheinlich hatten sie sogar Recht damit, schoss es Khor durch den Kopf, aber was blieb, war das dunkle Gefühl, auf einmal in Wir und Ihr gespalten worden zu sein. Khor wäre am liebsten aufgestanden und hätte irgendetwas Versöhnliches gesagt. Doch leider fiel ihm nichts Rechtes ein. Plötzlich, als hätte er seine Worte mit Absicht gewählt, plärrte der Rabe auf Brocs Schulter los. „So ein Quatsch! Rabellarapp! Komm, sei lieeeb …“ Man lachte befreit und freute sich an den neuen Worten, die der Rabe sich auszudenken pflegte.

Bis zum Einbruch der Dunkelheit waren sie gesegelt, als sie endlich den von Gwenaël gewählten Hafen anliefen. Man empfing sie mit lautem Geschrei, von dem Khor nur verstand, dass ausschließlich Halunken im Dunklen kämen. Gwenaël nannte den Namen seines Verwandten, der für ihn bürgen würde, legte aber gar nicht erst an, sondern blieb in dem länglichen Hafenbecken liegen, das nichts anderes war, als die Mündung eines stattlichen Flusses. Der benannte Vetter kam endlich und fragte Gwenaël nach ein paar Verwandtschaftsbeziehungen, um damit zu überprüfen ob er auch tatsächlich zur Sippe gehörte, denn die beiden hatten sich noch nie zuvor gesehen. Als Gwenaël die Fragen zu seiner Zufriedenheit beantwortet hatte, trollte sich der mürrische Vetter wieder. Man gestattete Gwenaël zwar anzulegen, doch starrköpfig blieb er mit seinem Schiff im Hafenbecken liegen. Khor bat Ottel, ihn an Land zu begleiten, da der Wolfshund darunter litt, nicht wie gewohnt seinen abendlichen Geschäften nachgehen zu können. Außerdem beherrschte Ottel das Steuern des runden Weidenbootes sehr viel besser, während Khor darin immer nur wie ein betrunkener Fischotter durchs Wasser torkelte.

Sie waren am östlichen Ufer der Flussmündung an Land gegangen, wo runde, aus Holz und Lehm errichtete Häuser dicht nebeneinander standen. Der eigentliche Handelshafen befand sich auf der anderen Flussseite, so dass man hier vor Lärm und Schmutz verschont blieb, den ein Hafen unweigerlich mit sich brachte. Es wurde allerdings sogleich aus einigen Häusern gezetert, dass man wilde Tiere an Land brächte und keinesfalls Wölfe bei sich dulden würde. Außerdem teilte ihnen ein behäbiger Mann unmissverständlich mit, dass Fremde nach Einbruch der Dunkelheit nicht gern gesehen waren, so dass Khor und Ottel die Lust auf weitere Erkundungen schnell vergangen war. Khor musste den Wolfshund schließlich mehrmals locken, bis er endlich widerstrebend mit eingekniffener Rute zurückkam und in das wacklige Korbboot sprang. Es war ein langer Tag gewesen und da der morgige ebenso lang zu werden drohte, zogen sich alle zeitig in ihre Schlafnischen zurück, ohne wie sonst üblich noch an Deck zu sitzen, um einander Geschichten zu erzählen.

Die Felsenküste, die hin und wieder von lieblichen Buchten mit breiten Sandstränden unterbrochen wurde, bot einen wehrhaften Anblick. Hier und da mündeten Flüsse in tiefen Fjorden in das Meer, an denen zumeist kleine Fischerstädtchen lagen, selten einmal ein Handelshafen. Auch an diesem Tag segelte Gwenaël bis zum Einbruch der Nacht und legte schließlich in einem Fjord an, der vom Meer aus kaum auszumachen war, da sich eine gebirgige Landzunge wie zum Schutz halbkreisförmig vor die Flussmündung schob.

„Sichelförmig, hoch aus Stein,

sichelförmig, weißer Sand,

ragen ineinand hinein.

Wag zu fahren in das Land.

Sella wird der Fluss genannt

Wohl geschützt lässt sich’s hier sein.“

Ein schlichter Vers, überlegte Khor. Das Anlaufen dürfte also wohl keinerlei Probleme bereiten. Allerdings musste man die Einfahrt überhaupt erst einmal ausfindig machen. Wie leicht fuhr man ahnungslos daran vorbei. Auch hier wurden sie misstrauisch beäugt, als sie anlegten, doch wenigstens konnte Gwenaël gegen ein paar schlichte, irdene Töpfe reichlich frischen Fisch eintauschen, der über einem Holzkohlefeuer an Deck gebraten wurde. Selbst Ottel, der stets behauptete, dass er von Fisch nicht wirklich satt wurde, saß an diesem Abend zufrieden und mit vollem Bauch an Deck und lauschte Arkan, der mit seiner schönen Stimme traurige Lieder voller Sehnsucht und Abschiedsschmerz sang. Erst als Gwenaël lospolterte und meinte, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis sich bei derartigen, schwermütigen Liedern der Erste in die Fluten stürzte, versuchte sich Arkan an heiteren Stücken. Gwenaël bat schließlich Elster und Rotfuchs etwas aus ihrer Heimat zu Gehör zu bringen, die sich allerdings zunächst zierten. Gebannt lauschte Khor den uralten Gesängen, deren Strophen Elster mit heller Stimme sang, während Rotfuchs immer wieder mit seinem vollen Bass einfiel, um die gemeinsamen Töne flirrend in die Nacht zu schicken. Khor freute sich darauf, bald ihre Heimatinsel kennen zu lernen und stellte sich vor, wie es dort wohl aussehen mochte.

Weiter ging die Fahrt am nächsten Morgen entlang schroffer Klippen, die abermals gelegentlich von sanften Sandstränden unterbrochen wurden. Nicht eben wenige Flüsse ergossen sich hier aus tief ins Land hineingeschnittenen Fjorden ins Meer. Und bei jeder noch so kleinen Mündung befand sich auch ein mehr oder weniger großes Fischerdorf. Manchmal starrten die Menschen herüber, Kinder riefen und winkten. Freundlich winkte Gwenaël zurück, war aber nicht dazu zu bewegen, Halt zu machen.

„Sie haben nichts als Fisch zum Tausch anzubieten“, meinte er mürrisch, „vielleicht noch etwas Bier. Es ist schlicht Zeitverschwendung, dort überhaupt anzulegen.“

Also starrte Khor weiterhin aufs Land und versuchte, so viel als möglich zu erkennen, um sich ein Bild davon zu machen, wie die Menschen dort wohl leben mochten. Er hoffte, dass Gwenaël wenigstens am Abend in einem Hafen festmachen würde, wo er möglicherweise etwas mehr darüber erfahren konnte.

Ihr Halt für diese Nacht war ein Fischerdorf, das an der Mündung des Schwarzes Flusses lag, der wegen seines dunklen Wassers so genannt wurde. Er schlängelte sich zwischen den Bergen hindurch und mündete in einer anheimelnden Meeresbucht, die Khor das Gefühl von Geborgenheit gab. Auch hier waren die Menschen zurückhaltend, wenn auch sehr viel freundlicher. Zum ersten Mal musste Gwenaël einräumen, dass hier keiner seiner Verwandten zuhause war. Da es dem Geruch nach zu urteilen jedoch ein waschechtes Fischernest war, müsste man in diesem Dorf auch, so jedenfalls meinte Gwenaël, jene überaus schmackhafte Speise bekommen, die in dieser Gegend sehr verbreitet war: Gesottener Tintenfisch. Also suchte er nach offenen Feuern, kaum dass er an Land gesprungen war. Er sah sogar hinter das erstbeste Haus, das ordentlich in einer Reihe mit den übrigen Häusern stand, die der vom Hafen vorgegebenen Linie folgten. Gwenaël musste nicht lange suchen, denn fast hinter jedem zweiten Haus brannte solch ein Feuer, über dem in einem kupfernen Kessel Kraken gekocht wurden. Das ganze Dorf roch appetitlich, wusste man doch offenbar, den Sud mit wohlschmeckenden Kräutern und Gewürzen anzureichern. Selbst dem sonst so wählerischen Sarti lief das Wasser im Munde zusammen – bis er einen jener achtarmigen Seebewohner erstmals mit eigenen Augen sah. Ein Fischer schlug das längst schon tote Tier immer wieder auf einen Felsen und sang eine muntere Weise dazu. Dann ließ er das schlapp geschlagene Geschlängel in die kochende Brühe plumpsen, wo es mit gespreizten Armen wieder auftauchte und grau-violett schimmernd in der Mitte des Kessels schwamm. Sarti schwor Stein und Bein, dass er keines dieser Untiere jemals anrühren, geschweige denn essen würde. Ottel hingegen meinte eingedenk seines knurrenden Magens tapfer, dass er durchaus bereit wäre, davon zu kosten, weil ja auch die Einheimischen davon essen würden, ohne irgendeinen Schaden zu nehmen. Gwenaël erklärte, dass es die hier gebräuchlichen Kupferkessel waren, die den Kraken ihren unvergleichlichen Geschmack bescherten und machte sich mit großem Appetit über einen dicken Krakenarm her. Für ein ordentliches Stück des Wildschweinschinkens, den er von seinem Vetter Kharec erhalten hatte, gaben ihm die Fischer so viel von den gekochten Tintenfischen, dass es für die gesamte Mannschaft reichte. Nachdem auch Ottel, Broc und Khor davon gekostet hatten und sich plötzlich ganz begeistert zeigten, wagte schließlich auch der hungrige Sarti einen zaghaften Versuch. Allerdings nicht, ohne vorher die Saugnäpfe einen nach dem anderen abzuklauben, da sie ihm schlichtweg widerlich waren. Doch kaum hatte er den ersten Bissen gekostet, rollte auch er mit den Augen, grunzte genüsslich und aß sich schließlich satt.

Der Wolfshund war wieder einmal schnell zwischen den Häusern verschwunden und kam nach geraumer Zeit fürchterlich nach Fischabfällen stinkend zurück. Er ließ das obligatorische Bad im Meer teilnahmslos über sich ergehen, hatte er doch mittlerweile gelernt, dass dies die unvermeidliche Folge eines derartigen Ausflugs war. Zurück auf dem Schiff klagte Sarti, dass der Wolfshund noch immer nach Fisch stinke und besprenkelte ihn heimlich mit wenigen Tropfen des wertvollen Inhalts aus seinem neu erstandenen Unguentarium. Bis weit in die Nacht hatte man Gesprächsstoff an Bord und rätselte, woher der seltsame, ständig zwischen Wohlgeruch und Fischabfällen wechselnde Duft wohl käme.

Der nächste Tag war etwas unglücklich verlaufen, da die Winde unberechenbar drehten und sich ein Sturm ankündigte. Gwenaël war dadurch bei weitem nicht so gut vorangekommen, wie er es sich erhofft hatte. Jedoch hatte der Sturm nach Nordosten abgedreht, so dass er am Abend wieder halbwegs versöhnt war mit dem Tag. Abermals ließ er eine breite Flussmündung anlaufen, an deren Ufer wiederum ein Fischernest stand. Ohne zu zögern, begaben sich Khor und seine Freunde sogleich auf die Suche nach einem Feuer, über dem ein Kupferkessel dampfte.

In diesem Dorf reichte man zu den gekochten Kraken eine dicke Paste, die stark nach Bärlauch roch, jedoch – wie Gwenaël erklärte – mit einer Art fein gehackter, weißer Zwiebel gewürzt wurde. Abermals aß man sich satt, wobei es ausgerechnet Sarti war, der ein wenig übertrieben hatte, so dass er sich schließlich mit Bauchgrimmen in seine Schlafnische zurückzog. Gwenaël kündigte an, dass man am späten Nachmittag des nächsten Tages in einer großen Hafenstadt anlegen würde, in der einer seiner mächtigsten Vettern lebte. Von da an würde es dann endlich wieder in Richtung Süden gehen. Genauer gesagt, würde er zunächst eine südwestliche Richtung einnehmen, bis sie den äußersten Zipfel des Festlandes erreicht hätten, um danach endlich strikt in den Süden zu steuern. Und dann, so versprach er seinen staunenden Freunden, würden sie spüren, wie es Tag für Tag deutlich wärmer werden würde.

Zuerst, so schien es Khor, mussten sie sich den Zugang zu diesen wärmeren Gefilden jedoch erkämpfen. Denn am nächsten Tag regnete es ohne Unterlass. Es war kein Landregen, so wie Khor ihn von zuhause kannte, sondern ein ständiger Nieselregen, der mit winzigen Tröpfchen selbst den dichtesten Stoff durchdrang. Stand man gegen den Wind, peitschten die Tropfen ins Gesicht und sammelten sich in den Haaren zu Rinnsalen, die schließlich über Stirn, Schläfen und Wangen liefen. Khor schien es, als ob auch das Meer durch die Unbotmäßigkeit von Wind und Regen aufgestachelt worden sei; denn übermütig schwappte es mit seinen Wellen. Sarti hatte bereits eine graue Gesichtsfarbe angenommen.

Gwenaël zieh seine Freunde abermals Landgeborene. „Was meint ihr, welch Glück wir bislang hatten. Sonst toben hier zu dieser Jahreszeit starke Stürme. Die Bizkaiko ist eines der gefährlichsten Meere überhaupt. Wir haben einfach nur Glück gehabt, dass dieses Jahr wieder einmal alles anders war. Und das bisschen Getröpfel sollte euch wirklich nicht solchen Verdruss bereiten. Schließlich kennt man das ja von dieser Küste.“

Für Khor war es kein Trost, zu erfahren, dass es hier bekanntermaßen ständig regnete. Er fühlte sich klamm und hoffte, dass man bald wieder aus dieser Gegend verschwinden könnte. Die Küste wurde zudem immer schroffer, so dass ihm klar war, dass es kaum Hoffnung geben konnte, wenn das Schiff durch die Strömungen an Land getrieben würde. Über Jahrmillionen hatten Meer, Wind und Regen an dieser Küste ihre Spuren hinterlassen. Und zahllose Flüsse und Bäche haben in dieser Zeit ihren Lauf tief in den Fels gegraben. Manchmal ließen die mächtigen Fjorde wahre Ströme erwarten, offenbarten jedoch oftmals nur ein erbärmliches Rinnsal.

Khors Fahrten

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