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Gwenaëls Seelenmeister

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Alles was Khor wusste, war, dass Gwenaël abermals auf irgendeiner Insel anlanden wollte, um dort die nächste Nacht zu verbringen. Also erwartete er ein ebenso kahles und abweisendes Felseneiland wie es Kharrn gewesen war. Schließlich war er jedoch reichlich überrascht, als Gwenaël am späten Nachmittag auf eine liebliche, grüne Insel deutete, die noch weit vor ihnen lag. „Oisena“, sagte er ehrfürchtig. „Es ist die Heimstatt von Seegeborenen, aus denen freilich längst schon Landgeborene geworden sind. Doch jeder Seegeborene, der die zweimal zwei Türme von Kharrn durchquert hat, muss anschließend die beiden Stehenden Steine von Oisena besuchen, damit er schließlich auch der Erde seine Achtung erweist. Ihr werdet euch auf Oisena wohl fühlen, denn dort leben nur Vettern und Basen von mir.“

„Überall leben Vettern und Basen von dir“, lachte Khor. „Es dürfte also nahezu einerlei sein, wo wir anlanden.“

„Sag das nicht! Wir hätten zwar auch in Barrest auf dem Festland anlegen können“, bestätigte Gwenaël, „denn dort habe ich selbstverständlich ebenfalls Verwandte. Aber sie leben in einer üblen Stadt mit schlimmen Gesellen und windigen Geschäftemachern, so dass auch sie sich angepasst haben. Es reicht, wenn wir morgen Kharrenac anlaufen. Doch nach Oisena musste ich ja sowieso, um den Stehenden Steinen meine Achtung zu erweisen. Außerdem gehören die Menschen dort allesamt zu meiner Sippe. Es ist etliche Jahre her, seit ich sie zuletzt gesehen habe.“

Schnell hieß Gwenaël Arkan ein Stück jenes Stoffes an den Mast zu binden, den seine Frau Coira gewebt hatte. So flatterten also nun bunte Karos im Wind. An Land hatte man die Familienfarben sofort erkannt, denn es wimmelte nur so von winkenden und rufenden rotblonden Menschen, als das Schiff sich dem Hafen näherte. Er lag in einer natürlichen Felsenbucht, deren Klippen man begradigt und obendrauf noch eine Mauer aus behauenen Steinen errichtet hatte. Bislang hatte Khor nur Hafenanlagen aus Holz gesehen und war, wie seine Gefährten auch, zutiefst beeindruckt von der Macht, die von dieser Steinmauer ausging.

„Wer übers Meer kommt, will stehlen!“, schallte es von dort.

„Außer die Farben verhehlen

nicht die lautere Absicht.

Komm zeig dein Gesicht

und senk das Gewicht

des Ankers im Hafen.“

Die beiden letzten Worte hatten alle an Land gerufen, ebenso wie die jeweils letzten Worte, der folgenden Verse.

„Wir strafen die Braven

nie!

Willkommen im Hafen,

ihr Braven!

Willkommen

im Hafen!“

Lauter Jubel hob an und offensichtlich hatte Gwenaël bereits einige Verwandte entdeckt, denn er rief und winkte, in einem fort. Fast seine gesamte Mannschaft tat es ihm gleich, nur Elster und Rotfuchs, die beiden Nuraghen, standen abseits und beobachteten staunend das muntere Treiben.

Es gab ein großes Hallo, als Gwenaël mit seinen Freunden schließlich von Bord ging. Khor konnte sich all die Namen und Verwandtschaftsbeziehungen nicht im Geringsten merken, die Gwenaël nannte. Sarti jedoch stand mit hochrotem Kopf daneben und plapperte alles Gehörte halblaut nach. Broc, den man wegen seines Gewandes sogleich als Priester erkannte, wurde mit sehr viel Ehrfurcht und Freundlichkeit empfangen, während Ottel sich in den bewundernden Blicken all jener sonnte, die Kraft, Stärke und Schönheit bewunderten.

„Nun, Gwenaël, du Geflügelter“, rief plötzlich ein steinalter Mann aus der Menge. „Hast du es abermals gewagt, die zweimal zwei Türme zu durchqueren?“

„Wie kannst du daran zweifeln, Aldwyn, mein Seelenmeister.“ Und auf der Stelle ging Gwenaël vor dem alten Mann in die Knie und legte seine Stirn auf dessen Füße.

Es war beeindruckend, die beiden sich begrüßen zu sehen. Dem Alten liefen die Tränen herunter, so sehr freute er sich, die Gelegenheit zu haben, sein Seelenmündel Gwenaël noch einmal zu treffen. Sarti wusste zu berichten, dass Gwenaël, wie jeder andere Seegeborene auch, Jahre seiner Kindheit und Jugend bei jeweils anderen Verwandten verleben musste. „Nach einem Jahr, manchmal auch zwei, holte sein Vater ihn wieder ab und brachte ihn zu den nächsten Vettern und Basen. Ein Seegeborener nennt kein Land seine Heimat. Er ist überall zu Hause, vor allem aber auf dem Meer. Bis er schließlich alt genug ist, um selbständig zur See zu fahren, hat er viele, auch weit entfernte Orte kennen gelernt.“

„Wassernomaden“, lachte Khor. „Aber sag mir lieber, wer der Alte ist, falls du das weißt.“

„Gwenaël hat nur einmal von ihm gesprochen“, überlegte Sarti, „neulich als wir die Nacht in der Gruft hinter uns gebracht hatten. Der Alte heißt Aldwyn und ist sein Seelenmeister; was wohl nichts anderes heißt, als dass er sich verpflichtet hat, jeden Tag für das Wohlergehen seines Seelenmündels Gwenaël zu opfern und zu beten. Die beiden müssen also irgendwann einmal tiefste und geheimste Gedanken ausgetauscht haben und verstehen einander wie Vater und Sohn oder wie Blutsbrüder. Stell dir nur vor: Gwenaël weiß also, dass es da jemanden gibt, der jeden Tag an ihn denkt und ihm die Kraft seiner Gedanken schickt.“ Sarti strahlte. „So jemanden wünsch ich mir auch.“

„Das wünscht sich jeder, mein Freund“, entgegnete Khor und überlegte, ob Yasemin oder der kleine Khor an ihn dachten. Seine Mutter und sein Vater würden es sicherlich tun, daran hatte er keinen Zweifel. Und sicherlich auch ab und an einmal seine Geschwister. Wenn nicht, ja, wenn nicht mittlerweile der Tod über sie gekommen ist. Wie ein Dämon sprang ihn plötzlich die Angst an, dass es jemanden geben könnte unter den Menschen, die er liebte, den er nie wieder sehen würde. Vielleicht würde dieser Mensch gerade in einem jener Augenblicke sterben, in denen Khor glücklich war oder gar lachte. Was wusste er schon vom Tod seiner Großmutter? Erst durch Yasemin hatte er davon erfahren; im vergangenen Herbst, als er ihr zum zweiten Mal begegnet war. Seine dralle, runde, rotwangige Großmutter, die ihr Leben lang nur Liebe gab und alles tat, damit jeder lachen und fröhlich sein konnte. Er fühlte sie noch immer bei sich. Sie hatte lediglich ihren Körper abgenutzt und ihr altes Fleisch schließlich der Erde zurückgegeben. Aber sie blieb, wie bereits die lange Reihe ihrer Ahnen, für immer im Tal an der Biegung der Uneströdu. Gewiss schwebte sie dort für alle unsichtbar umher, immer mit einem offenen Ohr für die Bitten der Nachgeborenen. Khor musste lächeln, als er sich vorstellte, wie seine Großmutter darauf achtete, dass ein von der Sonne vernachlässigtes Pflänzchen schließlich doch noch blühte, ein verirrtes Lämmchen wieder seine Herde fand, ebenso wie ein Neugeborenes den Weg ins Leben oder ein Sterbender den seinen hinaus. Wie gerne hätte er seiner Großmutter und dem längst schon verstorbenen Großvater irgendetwas Wertvolles geopfert, damit sie merkten, dass er an sie dachte. Doch so weit entfernt wie sie waren, würden sie nichts davon mitbekommen, was auch immer er dem Feuer, den Wellen, einem Moor oder Teich übergeben hätte.

Schon längst hatte sich der Wolfshund in die Büsche geschlagen, ließ er doch Menschenansammlungen noch immer eher widerwillig über sich ergehen. Einige der Inselbewohner hatten zwar ein wenig misstrauisch geguckt, als er neben Khor über die Planken an Land ging, hielten ihn aber wohl doch eher für einen Hund. Seit Generationen waren die Wölfe auf Oisena ausgestorben und den meisten Einwohnern somit so gut wie unbekannt. Also streunte der Wolfshund kaum beachtet mit dem größten Interesse umher, nicht ohne ab und an nach Khor zu schauen. Der stand inmitten einer quirligen Menschenmenge und wurde begafft, auf die Schultern geklopft und mit Fragen gelöchert. Sarti genoss es, endlich einmal ungehindert alles von sich geben zu können, nach dem er gefragt wurde. Bald staunten die Menschen um ihn herum, dass er offenbar für alles eine Antwort hatte.

„Gevatter Allwissend“, rief Gwenaël, „du solltest dir für deine Auskünfte auch etwas geben lassen. Du weißt doch, Sarti: Guter Rat ist immer teuer!“

Sarti war sichtlich stolz, als er das für seine Auskünfte geschenkte Salz sowie die fremdartigen Gewürze zum Festessen beisteuern konnte, das sogleich vorbereitet wurde und an dem alle Bewohner der Insel sowie ihre Gäste teilnehmen sollten. Doch vorher begleiteten die vier Freunde Gwenaël und Aldwyn im letzten Dämmerlicht zu den beiden aufgestellten Steinen, die ein wenig außerhalb des Ortes standen. Aldwyn murmelte unverständliche Verse und Gwenaël sprach bei manchen von ihnen mit. Als der erste Stern am Himmel aufleuchtete, zwängte sich Gwenaël durch die beiden Steine hindurch und wurde von Aldwyn auf der anderen Seite mit ausgebreiteten Armen empfangen.

„Heil dir, Seegeborener,

Heil auf deinen Reisen.

Aus dir wird niemals ein Verlorener,

weißt du des Meeres Weg zu deuten.

Heil dir, Seegeborener,

die Sterne werden weisen

den Weg auf deinen Reisen

Kehr heim mit Siegesbeuten!“

„Siegesbeuten?“, murmelte Khor.

„Was denkst du denn?“, flüsterte Sarti zurück und rollte mit den Augen. „Wassernomaden, hast du vorhin gesagt. Es gibt Menschen, die nannten sie früher einmal Seeräuber. Aber das ist lange her“, räumte Sarti ein, als er Khors erschrockenen Blick bemerkte. „Jetzt sind sie Händler und tauschen, anstatt sich einfach nur zu nehmen. Jetzt sind sie überall gern gesehene Gäste.“

Gwenaël war den ganzen Abend über mit Aldwyn im Gespräch vertieft, wurde aber ständig unterbrochen, um diesen oder jenen seiner Verwandten zu begrüßen. Mit Staunen erfuhr Khor, dass schon lange keine Fremden mehr auf die Insel gekommen waren. Denn wer übers Meer kommt, will stehlen, lautete auch der Glaubenssatz der Leute von Oisena, die jeden Fremden zurückschickten oder notfalls auch totschlugen, der es wagte, ihre Insel zu betreten. Lediglich die Tatsache, dass sie mit Gwenaël gekommen waren, hatte Khor und seine Freunde vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt. Umso größer war nun die Neugier auf die Fremden, die Gwenaël mitgebracht hatte. Khor konnte sich gegenüber keinerlei Vorbehalte oder gar Ablehnung im Verhalten der Inselbewohner feststellen, sondern nur aufrichtiges Interesse. Man nahm sie wie Seinesgleichen auf und löcherte sie mit Fragen. Broc, den ständig vor sich hinplappernden Raben auf der Schulter, der mit seinem Geschrei einiges an Aufmerksamkeit verursachte, erzählte seine Geschichten von den unendlichen Wäldern und dem Honig, der dort von den Bäumen tropfte. Staunend lauschte man ihm, überstieg der Bericht von den dichten Wäldern doch fast die Vorstellungskraft der Inselbewohner, da auf ihrem eigentlich recht fruchtbaren Eiland schon seit langem kein Baum mehr wuchs. Die Seegeborenen hatten sie schon zu Urzeiten abgeholzt, um ihre Schiffe zu bauen oder auszubessern. Seither schürten sie ihre Herdfeuer mit dem Dung der Kühe und ließen sie somit am Leben, ohne sie jemals zu schlachten. Gaben sie ihnen doch Milch und wertvolles Brennmaterial. Ein junges hübsches Mädchen fragte Khor ein wenig verstört, ob es denn stimme, was man ihr erzählt hatte, nämlich, dass man in seiner Heimat Kühe verspeiste. Sie war merklich erleichtert, als Khor sie höflich anlog.

Ottel genoss die Bewunderung, die ihm unverhohlen entgegengebracht wurde. Er ließ alle sein Schwert aus Abalon bestaunen und erzählte Heldengeschichten, während Sarti auf jede noch so törichte Frage einging, die ihm gestellt wurde. „Ist es wahr, dass auf dem Festland Menschenfresser leben? Warum werden die Sterne nicht weniger, wo doch ständig welche von ihnen vom Himmel stürzen? Wie kommt es, dass die Menschen nicht herunterfielen, wenn die Erde doch eine Kugel ist, wie die Alten noch immer hartnäckig behaupteten?“ Es gab anregende Gespräche und viele staunende Gesichter.

Als es daran ging, sich schlafen zu legen, gab es fast eine Schlägerei unter den ansonsten so freundlichen Inselbewohnern, weil sie sich nicht einigen konnten, wer welchen der Gäste beherbergen durfte. Gwenaël schlief in Aldwyns Hütte, das war von vornherein ausgemacht. Aber über die Herbergsgeber von Broc, Sarti, Ottel und Khor wurde lange gestritten. Aldwyn sprach schließlich ein Machtwort und verteilte die vier Fremden nach seiner Weisheit Schluss. Prompt fand sich Khor in der Familie des Mädchens, das ihn nach den Kühen in seiner Heimat gefragt hatte. Ihre Eltern waren so stolz auf die Ehre, Khor beherbergen zu dürfen, dass sie fast ein wenig übertrieben. Abermals stellten sie ihm einen Teller mit jenen handtellergroßen Muscheln hin, die noch zuckten, obwohl man ihnen die eine Hälfte ihrer Schale weggerissen hatte. Khor mochte sie nicht wirklich. Weniger wegen ihres Geschmacks, nein, der war köstlich salzig, sondern wegen ihrer glibberigen Beschaffenheit. Vor allem aber, weil er wusste, dass sie noch lebten und er nicht daran denken wollte, was sie in seinem Bauch womöglich alles anrichten konnten. Betreten guckten seine Gastgeber drein, als Khor dankend ablehnte und entschuldigend über seinen Bauch rieb, um anzudeuten, wie satt er sei. Stattdessen reichten sie ihm einen Becher mit Donnermilch. Was auch immer das sein mochte, dachte Khor, nun würde er ihrer Gastfreundschaft nicht mehr entrinnen können. Unglücklicherweise setzten sich alle um ihn herum, nur um darauf zu warten, dass er endlich trinke und sie mit eigenen Augen zusehen konnten, welche Wohltat sie ihm mit dem Trunk bereiteten. Khor schloss die Augen, dachte an den süßen Met seiner Heimat und nahm einen kräftigen Schluck. Denn je eher es überstanden war, Khor schluckte tapfer, desto besser war es. Doch in der Tat: Seine Gastgeber sahen wie Khors Gesicht sich aufhellte und selig strahlte.

„Sauermilch“, lachte er mit einem Milchbart im Gesicht.

„Donnermilch!“, schallte es ihm wie aus einem Mund entgegen. „Der Gott des Donners macht sie.“

Schon wollte er widersprechen und erzählen, dass seine Mutter einige gute Kniffe kannte, wie sie ganz schnell an Sauermilch kam. Er beließ es aber dabei.

„Zuhause kennen wir eine ähnliche Milch“, sagte er schließlich. „Doch wir tun Honig hinein. Ihr aber gebt Salz hinzu, was sehr erfrischend und würzig ist.“

„Oh nein!“, rief die Herrin des Hauses entsetzt. „Das macht man nicht! Es sind unsere Kühe, die uns eine eher salzige Milch geben, denn unsere Weiden sind wegen des Meeres immer salzig.“

Khor ertappte sich dabei, dass er darüber nachdachte, wie köstlich das Fleisch dieser Kühe dann wohl schmecken mochte. Glücklicherweise war er aber tatsächlich satt, so dass er die Gedanken daran schnell wieder loswurde.

Die galten vielmehr Louan. So hieß das Mädchen nämlich, das ihn nach den Kühen gefragt hatte und nun bis zuletzt bei ihm sitzen geblieben war, um darauf zu achten, dass er alles habe, was er für einen erholsamen Schlaf benötigte. Als sie ging und den Vorhang seiner Schlafnische hinter sich zuzog, hatte sie noch einmal zurückgeblickt und ihn derart lieb angeschaut, dass er das Blut in seinen Adern rauschen hörte. Was für ein bildhübsches Mädchen Louan doch war, mit einem wachen, klugen Gesicht. Ein wenig erinnerte sie ihn an Tudje, die er im letzten Jahr auf Abalon kennen gelernt hatte. Doch wie sollte er ihren Blick nur deuten? Als Fürsorge gegenüber einem lieben Gast oder als Ausdruck aufkeimender Zuneigung? Glücklicherweise war Khor nicht nur satt, sondern auch todmüde. Sobald er sich auf dem weichen Bett ausgestreckt hatte, schlief er augenblicklich ein.

Am nächsten Morgen öffnete Gwenaël den Bauch des Schiffes für die Nächsten seiner Verwandten. Anzubieten hatten sie eigentlich nichts - außer Wolle, die allerdings in den prächtigsten Farben getönt war. Ein solch leuchtendes Rot kannte Khor bislang nur von den Mohnblumen oder den Kopffedern der Stieglitze. Und das strahlende Gelb übertraf sogar den leuchtenden Löwenzahn, der Zuhause an den Ufern der Uneströdu wuchs und den er so gerne aß. Wie immer zeigte sich Gwenaël gegenüber seinen Verwandten großzügig, so dass sie ihm schließlich sogar verschlossene Krüge mit dem Färbeextrakt zum Tausch anboten. Natürlich wollte ihm keiner sagen, woraus die Extrakte hergestellt worden waren, aber Khor hatte weite Felder von Labkraut und Ginster gesehen, woraus er schloss, dass es diese Pflanzen waren, aus denen man die Farbstoffe gewann. Louan lächelte nur vielsagend, als er sich danach erkundigte. „Das ist unser Geheimnis“, erwiderte sie, „darüber sprechen wir nicht.“ Es war ihr unangenehm, Khors Frage nicht beantworten zu dürfen, so dass sie ihm wenigstens einen hilfreichen Hinweis geben wollte. Sie erinnerte ihn daran, dass man nur bereits gesponnene Wolle oder aber auch gewebtes Leinen verwenden dürfe, die vor dem Einfärben jedoch unbedingt gebleicht werden mussten, damit man schließlich auch kräftige, reine Farben erhielt.

Broc hatte die Nacht beim Dorfältesten verbracht, mit dem er sich augenscheinlich angefreundet hatte. Sarti war bei dessen Sohn untergekommen, der seinerseits mindestens ein Dutzend Kinder hatte. Khor konnte an dem übermüdeten Gesicht des Freundes erkennen, dass sie ihn wohl die halbe Nacht mit Fragen gelöchert hatten. Aber auch Ottel sah nicht gerade ausgeschlafen aus, was ja sowieso eher selten vorkam. Er hatte bei Iwen übernachtet, einem fast ebenso großen, kräftigen Mann, der bei den Inselbewohnern als Inbegriff der Männlichkeit galt, wie Louan Khor stolz erzählte. Die beiden Männer küssten sich zum Abschied und dankten einander für die schöne Freundschaft, die sie in der vergangenen Nacht miteinander genossen hatten.

„Wer weiß“, lachte Ottel gut gelaunt, als er an Bord ging, „vielleicht sieht man sich ja eines Tages wieder. Und wenn nicht, so hat man eine schöne Erinnerung, die man auf ewig im Herzen trägt.“

„Du sagst es, mein fremder Freund“, rief der andere zurück. „Es war mir eine Freude und Ehre!“

„Ja“, flüsterte Louan Khor ins Ohr. „Vielleicht kreuzen sich ja auch unsere Wege einmal wieder. Nur leider haben wir keine so schöne Erinnerung wie die beiden.“

Khor sah sie erstaunt an und war sich keineswegs sicher, ob er sie richtig verstanden hatte.

„Es ging leider nicht“, sagte sie fast entschuldigend, „denn der Mond rät mir zur Vorsicht. Es sind die Tage, wo leicht ein Kind entstehen kann. Und ohne Mann an meiner Seite, werde ich verstoßen, wenn ich schwanger bin.“

Fast musste Khor lachen. „Wohin will man dich den hier auf diesem winzigen Eiland verstoßen? Auf den Felsen dort, der ins Meer ragt?“

„Aufs Festland“, entgegnete Louan ernst. „Mein Vater selbst müsste mich hinüberbringen und dann am Strand zurücklassen. Auch wenn dein Freund Sarti sagt, es gäbe dort keine Menschenfresser mehr, so wäre es wohl doch mein Tod.“

„Also ist es gut, dass der Mond dich gewarnt hat“, sagte Khor und küsste sie auf die Stirn. „Was taugt ein Fahrender außerdem, wenn jemand gebraucht wird, der an deiner Seite bleibt.“

„Ach was“, lachte Louan und verließ das Schiff über die ausgelegten Planken. „Wir hätten einfach ein wenig Freude aneinander haben können. Aber eben leider nicht an diesen Tagen.“ Kokett zwinkerte sie zu Khor hinauf, der an der Reling stand und winkte zum Abschied. Gwenaël ließ das Segel setzen und langsam glitt das Schiff aus dem Hafen. „Lebwohl, du ungekostete Auster, du ungeküsster Mund!“, rief Louan Khor hinterher und lachte fröhlich.

Khors Fahrten

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