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Mein Berufswunsch oder Bomben auf Stuttgart
ОглавлениеIch wäre gern Schreiner geworden. Als der Hühnerstall zu einem Zimmer mit Bad ausgebaut wurde, habe ich den Handwerkern bei der Arbeit zugeschaut und ihnen auch tatkräftig geholfen, Bretter zu tragen, Bretter zu sägen, den Fußboden zu verlegen und das Fenster einzusetzen.
Das Fenster kam an die gleiche Stelle, wo schon vorher ein Lichtloch war. Es ging zum Garten und auf die Gärtnerei, darüber lag der Bergrücken mit dem Dorf davor, in dem mein Ähne und meine Ahna, die Eltern meiner Mutter, lebten. Und hinter dem allem kam Stuttgart. Das wußten wir von den Christbäumen, die nachts diesen Himmel erleuchteten, und hinter diesen Christbäumen her oder zwischen ihnen hindurch fielen die Bomben.
Meine Mutter und ich haben diesem Schauspiel oft zugeschäut, vom Hühnerstall aus und durch dieses Lichtloch hindurch.
Ich habe gefroren wie ein Schneider, und ich glaube, meine Mutter auch. Sie tröstete mich: die Bomben kommen nicht zu uns.
Aber nachher strichen die Flugzeuge leer über uns hinweg. Das war gegen Morgen, und wir wußten, wo sie gewesen waren und glaubten weiterhin, daß sie nur dieses eine Ziel in unserem Land, nämlich Stuttgart, kannten.
Es sind bei uns nie Bomben gefallen, bis auf die eine. Aber das soll ein Blindgänger gewesen sein, und der steckte nachher in der Außenwand der Spinnerei, und dort wurde er von Soldaten und Polizei herausgegraben.
Freilich gab es Fliegeralarm, bevor diese Bombergeschwaderjetzt noch voll und mit einem anderen Ton als nachher – über uns hereinzog: und dann sollten wir in den Keller, sind auch meistens in den Keller geflüchtet – oder in den Hühnerstall vor dieses Windloch – und haben gesehen, wovor wir verschont wurden. Damals habe ich vielleicht für Stuttgart gebetet, und meine Mutter wohl auch.
Aber nicht immer sind wir in den Keller – fünfzehn feuchthölzerne Treppen – hinabgegangen zu den Mostfässern, den Kartoffeln und den Äpfeln auf der Hut über den Kartoffeln und gegenüber den Mostfässern.
In den letzten Jahren des Krieges und der Bombennächte über Stuttgart sollten wir oben bleiben, unter dem Türrahmen des Eingangs zum Keller, so hatte uns der Vater angewiesen; das sei seine Beobachtung gewesen auf seiner Heimfahrt durch die zerstörten Städte und Häuser: Mauern und Decken seien eingestürzt und die Leute darunter begraben worden. Aber die Türrahmen seien stehengeblieben. Das möchte er nicht, daß wir in seinem Elternhaus ebenfalls im Keller begraben würden unter dem einbrechenden Gewölbe, deswegen sollten wir uns unter den Türrahmen hocken oder doch lieber oben in der Wohnung bleiben.
Also hockten wir uns in den Türrahmen: meine Mutter genau auf der Schwelle mit meiner Schwester auf dem Schoß und der Tasche mit den schriftlichen Sachen an sich gepreßt, und ich eine Stufe darunter. Frierend. Und stumm.