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Das Bettelhaus
ОглавлениеDas Bettelhaus stand am Bettelsteg zwischen Bach und Kanal. Beide wurden von Brücken überspannt.
Der Bach verlief in der Rinne durch den Ort, den er sich vor Urzeiten gegraben hatte. Dagegen wurde der Kanal künstlich angelegt, und zwar für die Obere und die Untere Mühle. Entlang dieses Kanals standen die drei Bachhäuser.
Und in einem Loch unter der Straßenhöhe des Bettelstegs, eigentlich Hülener Straße, die hier zwischen Bach und Kanal kurz anstieg, hockte das Bettelhaus: das einzige Gemeindehaus, in dem während des ganzen Krieges eine kinderreiche Zigeunerfamilie hauste.
Dieses Gelände mit dem «Festlandrücken» zwischen den beiden Wasserrinnen war unser Abenteuerspielplatz: über dem Bach reihten sich Holz- und Blechhütten; hier lagerten Holz und Kohle, wurden Hasen gehalten und Kleinwerkstätten aller Art betrieben.
Das Holz war auch einfach so am Bach gestapelt, und es bedurfte in der Regel keiner besonderen Kraftanstrengung, um einen Teil davon den Hang hinunter zu befördern. Und über dem Weg zwischen Bach und Kanal baumelten auch die Straßenlampen, die ich mit meiner Schleuder ins Visier nahm. Und ich sehe noch die Reihe von Pappeln auf der anderen Seite des Baches vor mir: zum Hinaufsteigen waren sie zu hoch und auch zu glatt. Aber man könnte sie als Zielscheiben nehmen, und man konnte versuchen, mit einem Stein darüberzuwerfen, der dann oft drüben über dem Bach auf einem Dach einschlug.
Mehr aber als über Pappeln warfen wir die Fenster des Bettelhauses ein: im Sommer mit Steinen – aus der Hand oder aus der Schleuder – und im Winter mit Schneeballen.
Ich tat es einfach so, und die andern Kinder taten es sicher auch einfach so; vielleicht weil man es am Bettelhaus machen konnte, ohne daß da besondere Strafen zu befürchten waren – und weil es die meisten Kinder auch einfach so taten. Nur mußte man vor dem Alten und der Alten auf der Hut sein, aber wir konnten ja alle gut sauen.
Es waren auch gleichaltrige Zigeunerkinder darunter, die nicht nur einmal bei unseren eigenen Spielen dabei waren. Eines dieser Zigeunerkinder, ein Bub in unserem Alter, fiel einmal von einem Baum – keine Pappel – in den Kanal: wir sagten, den hat dr »Hoogamoo« geholt, so versuchten uns auch unsere Eltern vor dem Wasser zu warnen.
Der Zigeuner wurde dann auch ins Krankenhaus gebracht. Es blieb ihm aber nichts zurück. Nachher sprang er wieder wie alle herum, stieg aber auf keinen Baum mehr, schon gar nicht am Kanal.
Die Scheiben am Bettelhaus wurden dann meistens wieder eingesetzt, zunächst waren die Löcher mit Tüchern oder Papier verhängt. In dieser Zeit hatten die drinnen ihre Ruhe und wir draußen andere Dinge im Kopf. Aber dann begann das Spiel von neuem – bis nach dem Krieg und bis die Zigeuner schließlich das Dorf verließen.
Von dieser Brücke über dem Bach zum Bettelsteg hinauf wurde im Winter auch der Schnee ins Wasser gekippt: manchmal blieb er da liegen, wuchs aus dem Bachbett herauf, so daß man ohne Gefahr von oben hineinspringen konnte.
Das war schon ein Erlebnis immer mit dem Schnee: wenn es schneite, fuhr bald der Bahnschlitten durch den Flecken; er wurde von vier Gäulen gezogen, und hinten drauf auf dem Schlitten hockten die Kinder.
Den Schnee, der dann an die Häuser entlang der Straße geworfen wurde, brachten dann die Leute in der Umgebung zu dieser Brücke und leerten ihn hinab.
Natürlich war ich auch schon mal im Bettelhaus drinnen – und die meisten anderen Kinder auch. Es war alles sehr nledrig und schmutzig; nichts war aufgeräumt, alles lag nur herum, und eigentlich gab es gar keine richtigen Möbel, bis auf ein Küchenbüfett und einen Kleiderkasten ohne Türe.
Erst kam man in den Hausgang, der Boden war mit Steinplatten gedeckt, in der Mitte des Hausgangs, an der Wand zu einem Zimmer, stand der Herd, da werkelte meistens die dicke Zigeunerin, rührte in einem Hafen um und verschlug nebenher ein Kind.
Es war immer Geschrei in dem Haus. Und das Kamin rauchte Tag und Nacht. Keiner wußte, wo sie das Wasser zum Kochen und das Holz zum Schieren her hatten: man sagte, in dem Bettelhaus gebe es keine Wasserleitung, und einen Holzschlag, der ihnen das Brennholz geliefert hätte, hatte der alte Zigeuner schon gar nicht.
Also holten sie das Wasser aus dem Kanal oder dem Bach, und das Holz – das stahlen sie! Es gab ja genug davon in den Hütten entlang des Bachs und davor. Ob da nun mal eine Beige den Hang hinunterrugelte und bald vom Hochwasser fortgerissen wurde, oder ob sie im Bettelhaus so nach und nach verschwand, das kam am Ende aufs gleiche heraus – und es kam auch nicht darauf an!
Und dann war der alte Zigeuner auch dauernd besoffen: wie das? Most hatten sie keinen im Keller, weil sie keine eigenen Bäume und auch keine Fässer hatten, und so viel Geld bekam er doch auch nicht, daß er sich den Rausch aus der Wirtschaft holen konnte. In den Wirtschaften durfte er sich auch nicht sehen lassen, wenn er nicht den Ranzen voll haben wollte. Also Schnaps? Aber woher?
Als dann die Bomber und feindlichen Flugzeuge über dem Dorfhimmel immer mehr wurden, hieß es, den Zigeunern würden Schnapsflaschen abgeworfen. Tatsächlich wurde der Zigeuner dann auch tage- und wochenlang nicht gesehen: vielleicht suchte er dann in den Wäldern unseres Dorfes und anderer Dörfer nach dem Schnaps und nach den anderen Dingen, die er doch von uns nicht bekam. Auch die Kinder sprangen nach der Entwarnung auf die Wiesen und in die Wälder und suchten und suchten . . .
Aber meistens fand man nur Starenkisten an den Bäumen, die man mit den Stützen, die sonst Baumäste abfingen, herunterstupfte. Am schönsten wars im Frühjahr, wenn in den Vogelkästen noch Junge hockten, die dann mit herunterfielen. Aber es konnten auch nur die Eier sein; die konnte man werfen wie Ostereier, bloß waren ihre Schalen nicht so dick und platzten viel früher. Auch konnte man diese Vogeleier nicht essen, sondern nur zertreten oder einfach liegenlassen.