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Atta, Persil, Henko – hinein!

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Aber wenn man richtig Schlitten oder Schi fahren wollte, dann ging man auf die Wiesen und Hänge um den Ort und fuhrwerkte nicht in den Straßen und Gassen herum. Und da gab es ganz schön steile Stellen. Und zwar auf beiden Seiten des Tals. Man war mit allen Bahnen vertraut.

Ich hatte schon lange einen Schlitten, einen ganz neuen, den hatte meine Mutter beim Wägner am Kanal gekauft.

Damit zog ich oft vom Haus weg, kam allein auf eine Bahn auf dieser oder einer anderen Seite des Tals, oder ich schloß mich unterwegs einfach einer Gruppe Kinder an und landete dann dort, wohin sie ging.

Es gab eigentlich in jedem Winter viel Schnee, und immer lief es gut; ich rauschte den Hang hinab, kam knapp an einem Baum vorbei und war rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause. Man brauchte mich nie suchen, auch damals nicht, als ich doch gegen einen Baum fuhr: damals brachten mich die Kinder, weil ich nur dalag und keinen Mucks mehr von mir gab, auf meinem Schlitten heim. So ist mir das nachher erzählt worden. Und warum soll ich es nicht glauben?

In allen Lagen fuhren wir mit dem Schlitten die Bahn hinab: sitzend; auf dem Bauch; zu zweit; zu dritt – auf einem Schlitten; in Kolonne mit aneinandergebundenen Schlitten.

Und das Geschrei, das wir vollführten: »Aus der Bahn, Katz hat Schlittschuhe an!« schrien wir zum Beispiel, und wenn eine ganz steile und vielleicht auch gefährliche Abfahrt bevorstand, ertönte es von oben. »Atta, Persil, Henko – hinein!«. Und ab ging die Post; so schoß man zwischen den Kindern hindurch, die gerade den Schlitten heraufzogen oder, wie einige Mädchen, quer herumfuhren und weiter unten am Hang zur Abfahrt ansetzten.

So muß es bei mir gewesen sein. Ich setzte immer oben an; bezog Stellung, wartete bis so viele wie möglich auf mich schauten, stieß diesen Ruf aus und warf mich mit dem Bauch auf den Schlitten und schoß ins Tal hinab.

Es war wirklich ein sehr steiler Hang, und ich bekam großen Schwung; ich meine heute noch, daß man mich anfeuerte, so daß ich gänzlich aus dem Häusle geriet und nichts mehr hörte und sah – nur diese Bahn vor mir, auf der ich immer schneller und schneller wurde.

Meine Mutter erzählte mir, ich sei damals fünf Jahre alt gewesen und ein Räuber, wie er im Buche stand: nicht zu halten, mit einem Gespür für alle Gefahren, furchtlos und leichtsinnig zugleich. Da habe ja so etwas einmal kommen müssen.

Aber man hätte mich doch nicht anbinden können, auch wenn sie das schon mal tat: tatsächlich habe sie mich öfters an einen Baum gebunden, mit einem Seile wie für die Schafe und Geißen, wenn sie auf dem Feld arbeitete und sie keinen Aufpasser oder eine Aufpasserin für mich gehabt hätte und ich sonst weggelaufen wäre – zurück ins Dorf oder hinauf in den Wald. Und da hätte sie keine Ruhe gehabt.

Vielleicht hätte sie mich in diesem Winter auch anbinden müssen: an den Pfosten der Bettlade oder in den Stall an die Krippe – in der Scheuer; hinten im Garten: ich weiß nicht! Jedenfalls geht meine Erinnerung nur bis zu dieser Abfahrt – und dieser Schlachtruf funkt mir immer durchs Hirn: »Atta, Persil, Henko – hinein!« Atta, Persil und Henko, das waren Wasch- und Putzmittel im Krieg – sie sinds wohl auch danach wieder geworden.

Und dann besuchte mich meine Mutter zum ersten Mal im Krankenhaus, nachher auch zusammen mit meinem Vater; aber, sagte sie, ich sei schon länger im Krankenhaus, und sie hätte mich auch vorher schon besucht – aber ich hätte geschlafen und nur geschlafen, ich, und die Ärzte und sie hätten fast nicht mehr daran geglaubt, daß ich jemals wieder aufwachen würde: ich hätte eine schwere Gehirnerschütterung von dem Aufprall mit dem Schlitten auf den Baum, und ich sei drei Wochen bewußtlos gewesen.

Drei Wochen?

Ja, drei Wochen.

Ist es noch Winter?

Es ist noch Winter.

Wo ist mein Schlitten?

Ach, dein Schlitten . . . den hat dr Ähne wieder ganz gemacht; der steht jetzt im Schopf. Aber was willst du jetzt mit deinem Schlitten?

Wieder damit fahren.

Das werden wir sehen.

Und dann sei ich wieder eingeschlafen, aber diesmal normal, doch hätte man sich im Krankenhaus weiter Sorgen gemacht, und sie hätte mich von da an jeden Tag besucht, und alles Geschäft im Haus und auf dem Feld blieb liegen, aber sie hätte ja zum Glück den Hannes gehabt und den alten Feldschütz, Rentner, die schon immer für sie arbeiteten, auch ihr Vater, meine Ähne, sei jetzt öfters ins Tal heruntergekommen. Zuletzt habe sie sich an die Gemeinde wenden müssen wegen eines Fremdarbeiters, den habe sie auch bekommen, aber das sei genauso viel Geschäft mit denen, ich solle doch nur rasch gesund werden, dann werde man schon sehen.

Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel

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