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Der Schlafmacher

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Ich hatte den Mann mit dem Fahrrad, den meine Mutter einige Tage durchgefüttert hatte, längst vergessen, als eines Tages ein schwarzes Auto vor unserem Haus hielt. Zwei Männer, mit schwarzen Ledermänteln bekleidet, näherten sich der Haustüre.

Ich hatte das Auto kommen sehen und mich hinter der Miste versteckt.

Jetzt richtete ich mich langsam auf und äugte über die Mistemauer. Einer drückte jetzt die Haustürklinke, während sich der andre nochmal umschaute.

Dann verschwanden beide in der Haustür.

Ich raste hinter das Haus in den Garten, wo meine Mutter gerade beschäftigt war. Sie hatte meistens die Haustüre geschlossen, auch wenn sie daheim war, ich mußte ja nicht durch die Haustür, wenn ich ins Haus hinein oder daraus heraus wollte: da gab es den Weg von hinten durch den Schopf, oder durch den Hühnerstall, oder durch das kleine Fenster im Abort. Aber dazu brauchte ich eine Leiter. Nach einer solchen brauchte ich auch nicht lange suchen.

Diesmal mußte es meine Mutter vergessen haben, die Haustüre abzuschließen, da sie doch länger im Garten zu tun hatte.

Sie bemerkte mich gleich und blickte von ihrer Arbeit auf: Mamma, da sind zwei Männer; die sind schon im Haus drin. Die sind mit einem schwarzen Auto gekommen.

Meine Mutter ließ die Hau fallen und band sich den Schurz ab.

Wo?

Wir kamen von hinten durch den Schopf in die Scheuer, und von dieser Scheuer aus – oder in sie herein – ging eine Tür in den Hausgang, in den man von der Haustüre her trat und von dem aus die Stiege nach oben zur Küche und zur Stube führte.

Da hörten wir einen der Männer rufen: Hallo? Niemand da? Ja, was gibts? rief meine Mutter schon von weitem. Uns beiden war nicht geheuer.

Sie schob den Riegel von der Tür aus der Scheuer in den Hausgang zurück, da standen sie vor uns und wir vor ihnen. Grüß Gott. Geheime Staatspolizei. Sind Sie Frau Simpel? fragten die Männer und zeigten kurz einen Ausweis.

Dürfen wir mal mit Ihnen sprechen?

Ja, um was geht es denn? Dann kommen Sie doch rauf. Mein Mann ist nicht da; der ist Soldat.

Das wissen wir. Sie brauchen keine Angst zu haben.

Meine Mutter führte die Herren in die Stube. Ich folgte vorsichtig.

A Gläsle Most? fragte meine Mutter.

Ja, bitte.

Sie stellte einen Krug Most und zwei Gläser auf den Tisch, dann brachte sie noch einen halben Laib Brot, zwei Teller und ein Messer. Die Herren mögen sich bedienen, sagte meine Mutter und nahm langsam und etwas umständlich ebenfalls am Tisch Platz. Die Herren hatten nacheinander die Mäntel aufgeknöpft. Ich hockte hinter dem Ofen und lauerte.

Sie haben vor einiger Zeit einen Mann bei sich aufgenommen . . . begann der eine. Er fragte noch, ob er rauchen dürfte. So antwortete meine Mutter gleich doppelt, indem sie zögernd sagte:

Ja; ja, was ist mit dem?

Ist Ihnen nichts aufgefallen?

Was soll mir aufgefallen sein? Er hatte ein Fahrrad.

Das war gestohlen, meldete sich jetzt zum ersten Mal der andere. Der erste nickte: Hat er Ihnen nichts erzählt? Hat er nicht versucht, Sie zu hypnotisieren oder Ihnen aus der Hand zu lesen? Hat er Ihnen nicht die Zukunft und den Untergang Deutschlands vorhergesagt? –

Meine Mutter verstand kein Wort.

Ein gefährlicher Mann, sagte wieder der zweite. Ein Verbrecher: er ist aus dem KZ ausgebrochen, und jetzt suchen wir ihn.

Ja, sagte meine Mutter, jetzt müsse sie nachdenken, zum Schaffen habe sie ihn nicht brauchen können, deshalb habe sie ihn auch fortgeschickt, obwohl er noch länger bleiben wollte. Nein, hypnotisiert habe er sie nicht.

Überhaupt, was denn das heiße: Hypnotisieren?

Hypnotisieren – das komme aus dem Griechischen und heiße jemand einschläfern, schläfrig machen, so daß man nachher keinen Willen mehr habe –

Macht der Mann den Schlaf? Ist das ein Schlafmacher, fragte ich dazwischen.

Um Gottes willen, rief meine Mutter und schlug die Hände über den Kopf zusammen: mit so etwas wollen wir nichts zu tun haben.

Die Herren hatten sich Most eingeschenkt, und einer davon trank nun. Ich war gespannt, wann der erste zum Brotlaib griff und sich einen Ranken heruntersäbelte; denn wenn man Durst hatte – und dazu noch rauchte dann mußte man doch auch einmal Hunger haben. Knurrte mir doch schon der Magen und wurden meine Lippen ganz trocken, bloß vom zugucken.

Hat er Ihnen wirklich nichts erzählt?

Das war der, der als erster gesprochen hatte: er blieb hartnäckig.

Jetzt supfte auch der andere von seinem Most. Aha: einer nahm jetzt das Messer und griff zum Laib – ich bin so frei! Bitte, bitte! – –

Ja, doch, er hat was erzählt; er hat viel erzählt, wo er schon überall herumgekommen ist und was er schon alles gemacht und gesehen hat – in Düsseldorf oder Duisburg ist er zu Hause! –

Ja, das stimmt! Weiter? Ein gutes Brot haben Sie da, und auch der Most. Alles selber gebacken und selber gemacht. – Ja, daß er das könne!

Was könne?

Daß er Leute um seinen Willen bringen könne, so sagten Sie doch? Daß er hypnotisieren und in die Zukunft blicken könne. Aber er dürfe es nicht, nicht mehr, sonst komme er ins Zuchthaus. Ich wollte davon nichts wissen.

Er hat es immer und immer wieder getan: deshalb ist er ins Gefängnis gekommen, sagte der zweite mit vollem Mund.

Um Gottes willen – dann ist er ausgebrochen?

Jawoll!

Dann habe ich ja einen Verbrecher beherbergt.

Das konnten sie nicht wissen, schaltete sich der erste ein, er hatte die Backen mit Brot ausgestopft.

Wir wollen nur wissen, was er gesagt hat und wo er jetzt hin ist.

Das weiß ich nicht.

Hat er Ihnen nichts gesagt?

Ja, daß er aus Düsseldorf oder Duisburg ist, da ist er jetzt vielleicht hin.

Da ist er nicht; wir haben da schon gesucht. Er muß hier sein, in Württemberg, da ist er gut aufgenommen worden. Vielleicht kommt er wieder zu Ihnen.

Zu mir nicht. Dann schicke ich ihn sofort weg.

Erzählen Sie uns doch nochmal, was er gesagt hat – er war doch volle zwei Tage und zwei Nächte bei Ihnen, da müssen Sie doch etwas miteinander geschwätzt haben, wenn er schon nicht richtig schaffen konnte, das sagten Sie doch?

Das sagte der, der vorher nichts vom Brotlaib wissen wollte, und jetzt fraß er ein Stück um das andere und schenkte sich schon wieder Most ein. Dieser Saufkopf! Dieser Freßsack, elendiger; Blitz, daober!

Er hat gesagt, daß er das nicht mehr machen dürfe . . . und daß er Dinge in der Zukunft sehen könnte, die andere nicht sehen könnten.

Was hat er Ihnen gesagt, was er in der Zukunft sieht?

Er hat gesagt, daß wir den Krieg verlieren.

Und was haben Sie als Hitlerfrau geantwortet? Sie sind doch eine Hitlerfrau? Ihr Mann ist bei der Waffen-SS; er war bei der SA: er ist ein »Alter Kämpfer«.

Dieser Freßsack, elendiger; Blitz, daober!

Ich habe gesagt, das glaube ich nicht.

Sonst nichts?

Freßsack . . .

Er hat den Untergang Deutschlands prophezeit. Ich habe das alles nicht geglaubt und habe ihm gesagt, ich möchte das gar nicht hören.

Sie hätten den Mann anzeigen müssen.

Aber . . .

Glauben Sie denn auch an den Untergang Deutschlands?

Das sagte einer für beide, ich weiß nicht welcher: aber alle zwei starrten jetzt meine Mutter an, der Most war gesoffen und die Hälfte von dem angeschnittenen Brotlaib gefressen. Ich kümmere mich nicht um Politik, das macht mein Mann, der ist jetzt aber im Krieg; Sie können ihn ja in Holland besuchen, wenn Sie wollen.

Nicht nötig, Frau Simpel. Wir möchten Sie nur warnen, in Zukunft solche Subjekte bei sich im Haus aufzunehmen, und wenn wieder mal so eine Gestalt an Ihre Haustüre klopft, dann melden Sie das. Wir müssen jetzt gehen.

Jawoll! Möchten die Herren nichts mehr? Noch während sie fragte, räumte meine Mutter den Tisch ab – vielleicht aus Angst oder Verzweiflung, weil die Herren auf einmal so ernst geworden waren. Aber zum Glück gingen sie jetzt. Ich verkroch mich noch mehr hinter dem Ofen und kam erst hervor, nachdem sie zur Tür hinaus und die Stiege hinuntergepoltert waren.

Ich blieb in der Stube, stellte mich ans Fenster und beobachtete, wie sie ans Auto liefen, einstiegen und wegfuhren. Vorher hatten sich beide nochmal umgeschaut und sich zugenickt. Freßsack, elendiger, dachte ich; Blitz daober – abhauen! Aber schnell! Sonst krachts!

Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel

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