Читать книгу Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel - Wilhelm König - Страница 31

Sonderurlaub

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Nicht, daß wir uns nicht gefreut hätten, meine Mutter, ich und meine kleine Schwester, wenn mein Vater Urlaub hatte und heimkam.

Er brachte auch immer für jeden etwas mit – von seiner Front in Frankreich, Belgien und Holland! Meiner Mutter hatte er es vorher geschrieben, wenn er kam, und meine Mutter hatte es mir dann auch gesagt.

Aber ich war dann doch jedesmal sehr überrascht, weil ich seine Ankunft vergessen hatte.

Wenn ich drandachte, ging ich zum Bahnhof, um ihn dort zu erwarten, denn er kam immer mit dem Zug. Aber meistens stand er schon vor der Haustüre, wenn ich nach ihm fragte, war er schon zu Fuß vom Bahnhof gekommen.

Manchmal kam er schon die Stiege herauf und ich war noch oben. Dann rannte ich ihm entgegen und fiel ihm um den Hals und küßte ihn. Sein Gesicht war stachlig, die Barthaare stupften, und er roch auch nicht gut. Aber das machte nichts: Hauptsache er war wieder da.

Doch diesmal blieb ich auf der Treppe erschrocken stehen, und er lachte auch nicht wie sonst, sondern begann zu weinen, auch meine Mutter schluchzte über mir.

Was ist denn mit deinem Arm, Babba? fragte ich. Denn ich hatte entdeckt, daß er den rechten Arm in einer Schlinge trug, und der Arm war dick verbunden, und ich meinte zu sehen, wie an einigen Stellen das Blut durchdrückte.

Mein Vater wischte sich mit der linken Hand über die Augen, dann streckte er sie mir entgegen und kam vollends die Treppe herauf. Und oben vor der Küche strich er mir übers Haar und sagte:

Ich bin verwundet. Granatsplitter. Ich war im Lazarett und habe jetzt noch vierzehn Tage Sonderurlaub bekommen. Somit hatte auch meine Mutter jetzt Klarheit oder eine Bestätigung dessen erhalten, was in den spärlich eintreffenden Briefen stand.

Ich muß jetzt alles auf links umstellen, erzählte mein Vater. Wir saßen jetzt schon in der Stube, und unsere Gesichter waren wieder etwas heller.

Am Anfang ist mir das schwergefallen. Ich konnte nicht mal einen Brief schreiben, ich mußte einen Kameraden darum bitten, daß er einige Zeilen an dich aufsetzt, sonst hättest du gar nichts vorher erfahren. Es tut noch weh, fuhr mein Vater fort; aber es war schon schlimmer. Wie gehts hier, fragte er jetzt.

Es geht; wir sind alle gesund, mein Vater und meine Mutter auch, berichtete meine Mutter; sie haben Frau Klein, die Kindergärtnerin, abgeholt.

Wer?

Die Polizei! Sie hätte etwas gegen den Führer gesagt und auch schon seit längerem Feindsender gehört; Radio London.

Ich verstand erst allmählich, um was es ging. Ich hörte nur den Namen Frau Klein und Kindergärtnerin und horchte auf; kam vorsichtig wieder an den Tisch zurück, an dem meine Eltern saßen und von dem ich mich inzwischen entfernt hatte, um die Tasche zu untersuchen, die mein Vater mitgebracht hatte. Auf dem Bahnhof war noch ein Koffer, erfuhr ich dann; den müßte ich nachher mit dem Leiterwägele holen – ich oder meine Mütter selber!

Was ist mit Frau Klein? fragte ich vorsichtig.

Ach, nichts, antwortete meine Mutter. Die kennst du doch gar nicht mehr; du warst nur ein paar Monate bei ihr. Die ist von der Polizei abgeholt worden.

Und wohin hat man sie gebracht?

Das geht uns doch nichts an, unterbrach mein Vater streng. Wir haben mit der nichts zu tun. Vielleicht ist sie auch schon wieder daheim.

Das glaube ich nicht, sagte ich. Warum glaubst du das nicht, wollte mein Vater wissen.

Ihr Mann ist ja auch nicht mehr daheim, und den haben sie auch abgeholt, die Polizei: der ist jetzt in einem Lager.

Halt den Mund; den Mund sollst du halten. Mein Vater wurde jetzt zornig, und es war nicht der übliche Zorn, den er im Suff hatte. Diesen Zorn hatte er auch, wenn er gar nichts getrunken hatte.

Weib, mach mir etwas zum Vespern, sagte er jetzt. Meine Mutter hatte schon von sich aus den Brotlaib auf den Tisch gebracht.

Du gehst heute aber nicht mehr fort, in die Wirtschaft, meine ich, fragte sie.

Nein, und morgen auch nicht. Ich will erst ausschlafen. Aber übermorgen gehen wir zum Ähne, der Karl geht mit.

Ja, ich geh mit.

Es ist doch alles meine Heimat, die habe ich draußen so vermißt, grübelte er. Wir können ja morgen drüber schwätzen, was hier los ist, jetzt muß ich aber ins Bett. Der Arm tut wieder weh; morgen müssen wir auch meinen Koffer vom Bahnhof holen, da hats noch mehr Geschenke für euch drin, das hier ist ja bloß meine Tasche. Ach, der Karl hat sie ja schon umgedreht. Hast du etwas gefunden?

Ich hatte etwas gefunden: Schokolade, sagte ich.

Noch einen Krug Most kannst du mir bringen, bevor ich ins Nescht gehe; da draußen gibts auch keinen Most, die wissen gar nicht, was das ist.

So dabfer ging er also dann doch nicht ins Nescht; erst trank er einen Krug Most, dazu vesperte er einen gebratenen Leberkäs mit Spiegelei, dann trank er noch einen Krug Most. Dazwischen erzählte er und erzählte von seinen Erlebnissen in Frankreich, Belgien und Holland.

Doch da mußte ich nach oben; meine Mutter kam mit rauf und wartete, daß ich auch richtig betete: Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe beide Äuglein zu . . .

Ich schlief aber an diesem Abend schwer ein: immer sah ich meinen Vater vor mir, wie er seinen blutenden rechten Arm in die Höhe hielt . . .

Daneben meine Mutter. Sie weinte und schrie immerzu: mein Vater solle doch endlich seinen Arm herunternehmen, da käme doch kein Blut in die Finger, und der Arm würde absterben, wenn er ihn noch lange so hoch halte.

Aber mein Vater hörte nicht auf sie; im Gegenteil, je mehr sie schrie, desto höher hielt er den Arm, bis er schon hinter dem Kopf war. Plötzlich fiel der Arm herab, fiel wie ein abgesägter Ast vom Baum: mein Vater hatte den Arm verdreht, hatte ihn ausgekugelt.

Aber komisch: jetzt floß gar kein Blut mehr. Der Arm war ganz weiß, und die Finger waren weiß, der Ellbogen; der Oberarm, der Unterarm – komisch: da war gar keine Binde mehr drum herum.

Mein Vater war plötzlich verschwunden, hatte seinen Arm alleine gelassen, und ich trat jetzt vor diesen Arm undbetrachtete ihn, völlig gefühllos; ich fürchtete mich nicht – ich war nur neugierig, was jetzt geschah.

Aber es geschah nichts. Ich war allein.

Da begann ich nach und nach meine eigenen Glieder zu betrachten: aber da geschah auch nichts. Es war alles still, auch hatte ich keinerlei Bedürfnis nach einer Bewegung. Im Gegenteil: es sollte alles so bleiben, wie es war; so gefiel es mir am besten.

Aber dann geschah doch etwas; Wind kam auf, und der wehte eine Hakenkreuzfahne heran, direkt über den abgesprungenen Arm meines Vaters – und deckte ihn zu. Dann war es wieder still. Und dann wachte ich auf.

Wann wir jetzt zum Bahnhof gingen, fragte ich meinen Vater. Ich mußte unbedingt an sein Bett. Ja, er lebte noch, war inzwischen auch wach, aber noch ein wenig mürrisch. Der verbundene Arm lag auf der Bettdecke. Meine Mutter war natürlich längst bei der Arbeit, war im Stall, hatte gemolken, gemistet und gefüttert. Jetzt öffnete sie die Kammertür: wir können Kaffee trinken, wenn ihr wollt, sagte sie.

Wann holen wir deinen Koffer, Babba, sagte ich und begann seine Füße zu kitzeln.

Das hatte ich immer schon gern gemacht: meine Eltern an den Füßen gekitzelt. Sie ließen es sich gefallen und hatten vielleicht auch ihren Spaß dran.

Nach dem Kaffee, sagte mein Vater zu mir. Und zur Mutter: Hast du gesehen, ich habe Kaffee mitgebracht.

Habe ich gesehen und schon gekocht.

Also stehe ich auf.

Prima! Ich begann einen Freudentanz aufzuführen. Wirklich warf mein Vater die Decke von sich und setzte seine Riesenfüße auf den Bettvorleger. Meine Mutter hatte wieder die Kammertür hinter sich zugemacht.

Jetzt, Bub? fragte mein Vater.

Gehen wir nachher gleich zum Bahnhof? Wir nehmen das Leiterwägele, da geht dein Koffer doch drauf?

Ja, ja; gib mir jetzt meine Unterhose, bruttelte mein Vater.

Und nach dem Kaffee machten wir uns wirklich mit dem Leiterwägele auf den Weg zum Bahnhof, mein Vater und ich. War das ein Gucken und Angegucktwerden. Ich hatte freilich mein Vergnügen daran, mein Vater weniger. Der trieb mich immer an: Komm, schneller, sagte er.

Was hats gegeben, fragten die Leute.

Eine Verwundung, nichts Schlimmes.

Hast jetzt Urlaub, wurde gefragt.

Ja, sagte mein Vater.

Es waren hauptsächlich Weiber und alte Männer, die fragten oder um die Zeit unterwegs waren. Ich wußte, daß ihm das zuwider war, und manchmal zeigte er auch seine Abneigung. Endlich kamen wir auf dem Bahnhof an, luden den Koffer auf das Leiterwägele und fuhren wieder heim. Natürlich zog ich am Deichsel, darauf war ich besonders stolz; mein Vater lief einige Meter vor mir her, grüßte links und rechts, oder sah zu Boden. Immer aber mit festem Schritt und Tritt, so wie es seiner Herkunft entsprach.

Nicht anders war es am nächsten Tag, als wir zu meinem Ähne liefen. Diesmal ohne Leiterwägele oder sonstigem Gepäck. Mein Vater trug außer dem Arm in der Schlinge nichts, und ich nur meine Kleider.

Doch mein Vater lief wieder voraus, auch als es den Berg hinaufging, und als ich zu rennen begann. Mein Vater hatte keine Angst vor Bergen und Steigungen. In seiner Jugend war er einmal Radrennen gefahren, Bergrennen, und hatte dafür Pokale bekommen. Die standen jetzt in der Stube auf dem Büfett. Lange Zeit hatte ich nicht gewußt, was das war, bis es mir meine Mutter erklärte.

Er war also immer noch in Übung, trotz des Armes in der Schlinge. Es war schönes Wetter, und wir betraten endlich die Ebene des Ortes, in dem mein Ähne und meine Ahne wohnte – sie zu besuchen, deswegen hatten wir ja den Weg auf uns genommen! Es war am Mittag nach dem Essen. Es waren nicht viel Leute auf der Straße – noch weniger als bei uns im Flecken, da dieser Ort ja viel kleiner war als der unsre. Nur wieder Weiber und ältere Männer, die sich aber schnell wegdrehten. Und ein Gefangener. Der trat im ersten Weiler, in dem mein Ähne wohnte, gerade aus dem Haus und lachte meinen Vater an, so erklärte es wenigstens mein Vater kurz danach, und zwar lachte er meinen Vater so an, daß es dieser wie auslachen empfinden mußte.

Nun war ich vorausgerannt, blieb aber stehen, als ich plötzlich Geschrei hörte. Auch mein Vater war stehengeblieben, und zwar vor einem Haus, in dem einer der wenigen Gefangenen dieses Ortes untergebracht war.

Der hat mich ausgelacht, hörte ich meinen Vater schreien. Was hat der, fragte die Frau.

Der hat gelacht, sagte mein Vater und steuerte auf den Gefangenen zu, der nun nichts mehr sagte und auch keine Miene mehr verzog, sondern nur auf den Boden blickte.

Man wird doch wohl noch lachen dürfen, versuchte es die Frau nochmal im Guten. Sie kannte meinen Vater, und er kannte sie.

Aber er hat mich ausgelacht, beharrte mein Vater. Das lasse ich mir nicht gefallen; ich bin Soldat und bin an der Front verwundet worden, und darüber lacht der Kerl; er freut sich wohl. Und außerdem bin ich SS-Angehöriger, darüber lacht man nicht.

Das sehen wir doch, wer du bist und was du bist.

Mein Vater war nicht zu bremsen; er machte plötzlich einen Satz und schlug dem Mann mit der Linken ins Gesicht, daß ihm der Kopf herumflog: Das Schwein hat einen SS-Mann beleidigt.

Jetzt hörst aber auf! Die Frau stellte sich vor den Mann, der keinerlei Anstalten machte zu fliehen oder sich zu verteidigen; es war offenbar ihr Gefangener: er arbeitete für sie – und vielleicht war ihr Mann, ihr Vater oder Bruder auch im Krieg, und deshalb hatte sie diesen Gefangenen für die Arbeit auf dem Feld und im Stall bekommen. Du rührst den Mann aber nicht mehr an; er ist bei mir zum Schaffen, und er macht seine Sache ordentlich.

Der soll froh sein, daß ich ihn nicht anzeige; dann bist du mit ihm dran, wenn du ihn auch noch in Schutz nimmst, du Hure! wetterte mein Vater weiter, er war aber wieder vom Hof heraus auf die Straße gegangen, wo ich immer noch auf ihn wartete. Es war nur noch einige hundert Meter zu meinem Ähne; wir hatten keine Ahnung, ob er überhaupt daheim war. Aber dann würden wir ihn auf den Feldern suchen: wir wußten ja, wo er seine Äcker und Wiesen hatte, zumindest wußte ich es, da ich ja oft genug mit ihm dort war zum Ackern und zum Kirschen und Äpfel heruntertun.

Was sagst du zu mir? Jetzt nahm die Frau eine solche Drohung an, als ob sie gleich eine Axt oder eine Gabel nehmen wollte, um damit auf meinen Vater loszugehen, denn das war schon ein streitlustiges Weib, dafür war sie bekannt.

Hure, habe ich gesagt, wiederholte mein Vater und stapfte weiter, und ich ihm voraus.

Es ist Zeit, daß du gehst, sonst zeige ich dich an. Kannst in deinem Tal bleiben, wenn du dich nicht anders benehmen kannst, hörte ich sie noch sagen.

Dann aber bogen wir schon in die Gasse ein, in der mein Ähne wohnte.

Mein Vater war immer noch narret, und er schimpfte auf dem ganzen Weg ohne Unterlaß; alle Fenster und Türen gingen zu, niemand wollte für heute mehr etwas mit dem verwundeten Soldaten zu tun haben, und er offenbar auch nicht.

Mein Ähne war zu Hause; er war grad in der Scheuer und lud Futter ab.

Grüß Gott, Schwiegervater, sagte mein Vater.

Er war nun wie ein umgedrehter Handschuh, freundlich und selbst lachend. Er streckte meinem Vater seine linke Hand hin und blickte auf den Verband: Eine Verwundung, aber nichts Schlimmes; habe 14 Tage Sonderurlaub bekommen und wollte Euch jetzt besuchen. Der Karl wollte mit.

Ja, Grüß Gott auch, Wilhelm; dann kommt nur herein. Mutter ist im Hühnerstall, ich schrei ihr gleich, sagte mein Ähne in alter und gewohnter Ruhe, und er hatte ein Lächeln, das Verständnis und Sorge in einem ausdrückte.

Ob mein Vater ihm auch eine schmieren könnte, überlegte ich. Es war ein kleines Männlein, und er würde bestimmt sofort das Hag hinunterfliegen. Aber so was macht man doch nicht, antwortete ich mir gleich selbst. Ja, er, mein Ähne, durfte den Kindern, wenn sie frech waren, oder den Kühen, wenn sie keine Ruhe gaben oder nicht zogen, eine mit der Hand oder der Peitsche langen – und das tat er auch öfters.

Aber ihn anrühren? Nein, das durfte man nicht, und mein Vater würde es sicher nicht tun, jetzt nicht und später nicht, denn da war er ja noch älter. Er war ja jetzt schon alt, hatte eine Glatze mit ein paar Haaren und einen weißen Schnurrbart: beides kämmte er sich täglich vor dem Spiegel in der Stube, hinter dem auch die Briefe und sonstige schriftliche Sachen steckten. Er kämmte so lange und so eingehend, daß sich meine Ahne auch dadrüber aufregte, so wie über die Gläser, die mein Ähne auf das Tischeck stellte.

So ging es auch jetzt: kaum waren wir in die Stube eingetreten und hatten an dem Tisch Platz genommen, ging er mit dem leeren Mostkrug in den Keller und kam mit dem vollen wieder herauf. Dann holte er die Gläser und stellte sie vor uns auf den Tisch, aber so knapp an den Rand, daß man wirklich fürchten mußte, sie könnten hinunterkippen.

Dann schenkte er uns ein und machte die Schublade auf, holte den Brotlaib und ein Messer heraus und säbelte zwei Ranken für uns herunter.

Dann fragte er sehr besorgt, wie es denn mit dem Arm gekommen und wo es passiert sei? Er war ja im ersten Weltkrieg auch Soldat, und da war er in Straßburg, hauptsächlich als Wachposten, und er habe auch einen Orden bekommen. Aber das sei ja jetzt etwas anderes, und verwundet sei er auch nicht worden, Gott sei Dank nicht. Mein Ähne zeigte sich also sehr besorgt, und schon deshalb mußte mein Vater anders über ihn denken.

Jetzt kam auch die Ahne dazu, und sie bedauerte meinen Vater ebenfalls. Dann könne er ja jetzt gar nichts schaffen und kein Gewehr halten, meinte sie.

Ja, so sei es, sagte mein Vater, aber wir würden den Krieg schon gewinnen; man solle ihn nur wieder gesund werden lassen.

Wo er denn zur Zeit stationiert sei, wollten beide wissen.

Ach, eigentlich immer noch überall zwischen den Fronten, und auch einmal davor; das sei auf eine Art sehr gefährlich und doch wieder sicherer als ganz an der Front. Da sollten die Jüngeren hin, die rissen sich ja gerade darum; er habe sich nur deshalb freiwillig gemeldet, um seine Pflicht gegenüber dem Vaterland zu erfüllen, sagte mein Vater.

So ist es recht; und die Feld- und Stallarbeit macht dein Weib mit den Gefangenen, pflichtete mein Ähne bei.

Ja, nickte mein Vater und trank.

Da fallt mir ein: ich hab den Wein von der Hefe gelassen. Man kann ihn jetzt trinken, er ist gut geworden. Soll ich dir einen Krug voll heraufholen? fragte mein Ähne nach einer Weile. Mein Vater nickte. Der erste Krug mit Most war leer, und mein Ähne hätte sowieso nochmal in den Keller gehen müssen; denn mit einem Krug, vollends wenn noch ein zweiter oder dritter mittrank, hätte sich sein Schwiegersohn nicht zufriedengegeben, das wußte er. Es war ihm auch nicht arg, denn Most war genug da.

Nur beim Wein war er etwas zurückhaltender. Doch es war heut ein besonderer Tag, und man mußte dem Vater seines ersten und ältesten Enkels zeigen, daß man mit ihm mitlitt, wenn ihm etwas fehlte.

Wein stellte mein Ähne immer nur zu besonderen Anlässen auf den Tisch, das Faß war auch sehr klein, und im übrigen schmeckte ein rechter Most manchmal genausogut; ich bin nicht sicher, ob mein Ähne das ernst meinte, vielleicht wollte er von dem Wein auch nur so viel wie möglich für sich haben. Recht so: schließlich hatte er darum geschafft. Andere aber auch: hatten im Wengert am Rain, zwischen den Weilern und draußen am St. Martin gehackt und geschnitten, hatten Mist gefahren (doch da hatte mein Ähne den größten Anteil) und schließlich mit gelesen. Nur den Butten hatte mein Ähne allein getragen, später dann auch seine Söhne. Nun sollte er doch seine paar Krügle mehr haben als andere.

Meinem Vater schmeckte nun der Wein aber doch besser als der Most, und er bot an, selber in den Keller zu gehen. Aber da war mein Ähne auch ein Besonderer: in den Keller ging er selber, gerade zum Wein holen.

Und ich weiß nicht, vielleicht traute er meinem Vater auch schon nicht mehr; vielleicht meinte er, er könne die Stiegen hinunterfallen und sich auch noch den linken Arm brechen. Er war schon so auf den Abort hinausgeschwankt: da mußte man erst aus der Stube raus, über den kurzen Hausgang in die Küche: hinter der Küche dann war der Abort an das Haus angebaut. Dahinter kam der Garten vom Nachbarn; dazwischen war ein so schmaler Gang, durch den ich mich kaum zwängen konnte.

Der Arm mußte meinem Vater schon zu schaffen machen, denn die paar Krüge Most und die paar Gläser Wein sollten ihm doch nichts ausmachen. Soweit kannte ich ihn auch, und soweit kannten ihn auch meine Großeltern.

Sie sagten nichts mehr, auch mein Vater sagte nichts mehr. Es wurde dunkler und dunkler draußen, das Licht wurde aber noch lange nicht angemacht; da mußte man immer lange warten. Das Maul findet man mit der Hand auch im Dunkeln, sagte mein Ähne, denn was wollte man sonst machen außer essen und trinken oder schlafen, wenn es dunkel wurde? Man hatte den ganzen Tag geschafft, und jetzt war man müde. Wie ich auch. Ich gähnte und hatte mich längst auf den Boden gelegt. Mein Vater setzte sein letztes leeres Glas ab: Ja, Bub, wir müssen gehen; der Weg ist noch weit. Gute Nacht, Schwiegervater; gute Nacht, Schwiegermutter. – Gute Nacht! Hoffentlich kommt ihr auch gut hinunter, rief meine Ahne.

Gute Nacht, antworteten wir.

Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel

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