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Das Seil

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Das Mädchen – einige Jahre älter als ich – war eines Tages plötzlich da.

Sie und ihre Eltern seien ausgebombt, hieß es: sie wohnte jetzt bei ihrer Tante oder ihrem Onkel, dem Schuhmacher, in unserer Straße, nur hundert Meter von unserem Haus entfernt. Sie konnte nie normal an unserem Haus Vorbeigehen: sie mußte immer sauen.

Sie war groß und dürr und hatte lange Füße; mit denen mußte man rennen, das sah ich ein. Aber manchmal hatte ich auch den Eindruck, daß sie vor Angst so rannte, obwohl niemand hinter ihr her war. öder sie war spät dran.

Ich wußte auch nicht, mit wem sie spielte. Aber sie mußte doch Freundinnen haben, die mit ihr spielten, auch wenn sie nicht von hier war. Es war doch ein Mädchen, und Mädchen spielten immer mit Mädchen.

Schon lange hatte ich mir überlegt, wie ich es machen könnte, daß sie bei uns einmal stehenblieb. Dann kam ich auf die Idee mit der Schnur oder dem Seil.

Ich müßte es einfach über die Straße spannen, faßte ich meine Überlegungen zusammen, dann mußte sie ja anhalten. Und wenn nicht, dann . . . Aber soweit dachte ich nicht; vielmehr legte ich eines Tages ein Seil, das ich in der richtigen Länge in der Scheuer gefunden hatte, vor unserem Haus über die Straße, befestigte es am gegenüberliegenden Zaun und zog es hinter die kleine Mauer, die an dieser Stelle den Winkel zwischen dem unseren und dem Nachbarhaus begrenzte. Ich wartete; das Seil lag schlaff auf der Straße und die Zeit verging. Allmählich wurde es dunkler; dann sah sie schon nicht mehr gut. Dann mußte sie ja fallen. Aber das war mir grad recht. Jetzt hatte ich mir schon die Arbeit gemacht. Ein paar Leute kamen vorbei, einige Wagenräder und Fahrräder rollten darüber. Doch sie merkten es kaum, und dem Seil tat es nichts.

Ich hockte auf dem Boden und wartete; einmal mußte sie ja kommen, mußte heim, und sie kam immer von unten herauf, da mußte sie über das Seil.

Dann hörte ich sie kommen – im Sturmschritt, wie immer, und ich sah ihre dürren Stotzen über die Straße fliegen.

Wieder wartete ich, bis sie nahe genug heran war – und spannte das Seil mit aller Kraft an.

Da lag sie schon und schrie.

Das Mädchen war mit einer solchen Wucht in das Seil gerannt, daß es mir aus der Hand schlug.

Aber noch bevor ich das Seil wieder holen konnte, hatte sich das Mädchen wieder hochgerappelt und war davongerannt, einfach weiter, ohne sich umzuschauen, nur mit dem Unterschied zu sonst, daß sie jetzt heulte.

Noch am Abend kam ihr Onkel, der Schuhmacher, und beschwerte sich bei meiner Mutter: das Mädchen habe sich beide Knie aufgerieben und einen Ellbogen; verschrocken sei sie auch, die traue sich nun vielleicht gar nicht mehr zu rennen. Aber das glaubte ich nicht.

Mit der Schnur – es war nicht die gleiche und auch kein Seil, sondern eine neue Schnur: mit der machte ich noch etwas anders. Auf der einen Seite hängte ich einen Geldbeutel dran, legte ihn wieder vor unserem Haus auf die Straße, streute frisches Gras auf die Schnur und verschlupfte hinter der Miste.

Ich war neugierig, wer sich nach dem Geldbeutel bückte – vielleicht die alte Nachbarin, auf die hatte ich es ja hauptsächlich abgesehen, die war immer so neugierig und wollte immer wissen, was im Haus passierte.

Es war natürlich nichts drin in dem Geldbeutel; es war ein alter Geldbeutel von meinem Ähne, er machte sich die immer selbst, genauso wie seine Schuhe, und der hatte Löcher bekommen, und jetzt hatte er sich einen neuen gemacht.

Ich wollte nicht sofort an der Schnur ziehen, wenn sich die alte Frau nach dem Geldbeutel auf der Straße bückte. Ich wollte warten, bis sie so weit wie möglich unten war, denn sie würde sich ja erst umschauen und dann vorsichtig zugreifen. Dann wollte ich langsam ziehen, so daß sie an Geister glauben mußte.

So war es ja dann auch.

Das Weib kam, sah und blieb stehen. Und ich hielt die Luft an. Vorsichtig machte sie noch einen Schritt, blickte nach links und rechts und hinter sich und neigte sich nach vorne. Ihr rechter Arm schwebte schon über dem Geldbeutel, da zog ich langsam an der Schnur. Hielt inne.

Die Nachbarin richtete sich auf; ihre Hand verschwand unter dem Schurz, so verlegen mochte sie geworden sein.

Dann aber bückte sie sich zum zweiten Mal, und die rechte Hand näherte sich abermals dem Geldbeutel auf der Straße, und der Geldbeutel bewegte sich wieder. Ich hörte auf zu ziehen, sobald sie etwas zu bemerken schien. Und dann mußte sie sogar einen Schritt zur Seite machen, um näher an den Geldbeutel zu kommen. Aber der wanderte immer noch auf unsere Miste zu.

Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen; doch sie konnte nach wie vor niemand entdecken. Trotzdem brach sie ab und setzte ihren Weg fort – ich weiß nicht, wohin – in Richtung Dorfmitte. Ich aber zog den Geldbeutel ganz zu mir her, löste ihn von der Schnur und schob ihn in den Hosensack. Die Schnur wickelte ich zusammen und tat sie in den Schopf; noch wußte ich freilich nicht, für was ich sie wieder brauchen konnte.

Näher zum Himmel oder Fall Karl Simpel

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