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EINLEITUNG
BEGRIFF UND AUFGABE EINER PHILOSOPHISCHEN
THEOLOGIE § 1. Die innere Problematik einer Philosophischen Theologie

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In dem Ausdruck „Philosophische Theologie“ kommt eine eigentümliche Spannung zum Ausdruck, und zwar insofern, als die beiden Momente „Theologie“ und „philosophisch“ miteinander in Widerstreit stehen, so sehr, daß die damit gemeinte Sache unmöglich zu sein scheint. Diese Spannung läßt sich von zwei Seiten her verdeutlichen: einmal aus dem Blickpunkt der Theologie, zum andern aus dem der Philosophie.

Der eine Gesichtspunkt ergibt sich, wenn man den Begriff der Theologie in dem Sinne nimmt, in dem er sich innerhalb der Welt des Christentums seit 2000 Jahren herausgebildet hat und in dem er sich jedem, der heute das Wort gebraucht, unwillkürlich aufdrängt. In der christlichen Selbstinterpretation lebt die Theologie aus dem Gehorsam gegen die sich in den Heiligen Schriften und in der Überlieferung der Kirche äußernde Offenbarung Gottes, deren Auslegung ihr anvertraut und anbefohlen ist und deren Wahrheit sie im Glauben gewiß ist. Von daher betrachtet erscheint die Philosophie als ein Denken, das sich der Bindung an eine solche Autorität widersetzt und das sich niemandem als sich selber in der Freiheit seines Fragens verpflichtet weiß, also als ein im ausgesprochenen Sinne autonomes Denken. In dem Ausdruck „Philosophische Theologie“ verbinden sich somit zwei einander schroff entgegengesetzte Momente zu einer widerspruchsvollen Einheit: vorgegebene Autorität und voraussetzungslose Freiheit. Das aber besagt: die Philosophische Theologie erscheint als ein bedenkliches Unterfangen, voll von Widerstreit und, soll sie der Gegenstand einer ernstlichen denkerischen Bemühung sein, offenbar schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt.

Zur gleichen Problematik führt es, wenn man den Begriff der Philosophischen Theologie von der andern Seite her betrachtet: vom Moment des Philosophischen her. Zur Philosophie gehört wesenhaft ein kritisches Moment, ja, dieses ist das eigentliche Element, in dem sie sich bewegt. Philosophie ist, wie noch zu zeigen sein wird,1 radikales, sich auf sich selber stellendes Fragen. Sie ist der Entschluß, sich an nichts anderes zu binden als an diejenige Wahrheit, die der Radikalität ihres Fragens standhalten kann; darum stürzt sie alles, was als unfraglich gilt, erst einmal in den Abgrund der Fraglichkeit hinab. Wie aber kann sie dann Raum für etwas lassen, das mit dem Anspruch auf eine allem Fragen zuvorkommende Autorität ihr entgegentritt, also für einen Gott, mag er nun im christlichen Sinne als Schöpfer und Herr, oder mag er in einer der andern vielfältigen Weisen, wie sie die Geschichte der Philosophie zeigt, verstanden werden? Muß eine so radikal gefaßte Philosophie nicht vom Wesen her atheistisch sein? Muß sie nicht aus sich selber heraus die Möglichkeit einer Theologie abweisen? Das ist keine bloße Konstruktion. Denn in der Tat ist das Verhältnis der Philosophie zur Theologie auf weiten Strecken so verstanden worden. Durch die Geschichte der Philosophie zieht sich eine atheistische Strömung hindurch, die ihren Gipfel in Feuerbach und Nietzsche erreicht.2 Auch unter diesem zweiten Gesichtspunkt also wird der Versuch, Philosophische Theologie zu treiben, zu einem bedenklichen Unterfangen. Auch hier wieder erscheint der Begriff der Philosophischen Theologie als zwiespältig. Auch hier wieder scheint diese schon im Beginn scheitern zu müssen.

Muß aber die Spannung im Begriff der Philosophischen Theologie unausweichlich dazu führen, daß diese von innen her gesprengt wird? Muß sie gar um ihrer Widersprüchlichkeit willen von vornherein aufgegeben werden? Oder könnte ihr jener Widerstreit vielleicht gerade ihre fruchtbare Lebendigkeit geben, ja, könnte sie nicht eben aus ihrer inneren Spannung heraus allererst ihr eigentümliches Wesen erhalten? Solange diese Möglichkeit sich nicht ausdrücklich als unmöglich erwiesen hat, kann der Hinweis auf die Widersprüchlichkeit der beiden miteinander verkoppelten und dennoch gegeneinander widerspenstigen Momente „Theologie“ und „philosophisch“ nicht bedeuten, daß die Frage nach der Möglichkeit einer Philosophischen Theologie von vornherein als ergebnislos oder gar als sinnlos abgebrochen werden müßte.

Wohl aber ergibt sich daraus die Aufgabe, die beiden widerstreitenden Momente erst einmal in ihrem Wesen genau zu bestimmen. Vielleicht zeigt sich dabei, daß diese eine Verwandlung durchmachen müssen, um sich so zueinander fügen zu können, wie es in einer möglichen Philosophischen Theologie allein geschehen könnte. Eben diese Verwandlung, und was sich in ihr als Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Philosophischen Theologie ergibt, zu verfolgen, ist die Aufgabe, die sich die vorliegende Untersuchung stellt.

Die innere Problematik der Philosophischen Theologie über das Gesagte hinaus gerauer auszuarbeiten, ist die Aufgabe der einleitenden Erörterungen unter dem Titel „Begriff und Aufgabe einer Philosophischen Theologie“. Innerhalb der Einleitung ist zum ersten zu fragen, inwiefern die Philosophische Theologie „Theologie“ ist. Das geschieht in einem ersten Abschnitt in der Weise, daß sie gegen die Religionsphilosophie abgegrenzt (§ 2) und in ihrem Charakter als Reden von Gott ausgelegt wird (§ 3). In einem zweiten Abschnitt wird sodann die Philosophische Theologie als „Philosophie“ dargestellt, und zwar zunächst im traditionellen Sinne, demgemäß sie die höchste Spitze der Metaphysik darstellt (§ 4), sodann in einer eingehenderen Besinnung auf das Wesen des Philosophierens als des radikalen Fragens (§ 5-7).

1 Vgl. §§ 5–7.

2 Vgl. Teil II.

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