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AN DIESEM SONNTAG FREUTE SICH HARKNESS über die Störung. Er hatte schon Sorge gehabt. Weil er am Wochenende zum Bereitschaftsdienst eingeteilt war, hatte Mary vorgeschlagen, den Tag gemeinsam bei ihr zu Hause zu verbringen, wo er erreichbar wäre. Sie hatte nicht erwähnt, dass man sich dort vorkam wie zu Besuch auf einer Weihnachtskarte.

Beim Mittagessen hatte er lebendigen Knallbonbons gegenübergesessen und versucht, eine Unterhaltung mit ihnen zu führen. Außer Floskeln hatten ihre Eltern nichts zu sagen gewusst. »Heutzutage laufen alle dem Geld hinterher.« »Was man nie hatte, vermisst man auch nicht.« Und Harkness’ Lieblingsspruch: »Gott hilft dem, der sich selbst hilft.« War schon eine Weile her, seit er den Satz das letzte Mal gehört hatte, und als Marys Mutter damit herausrückte, überkam ihn eine diebische Freude, so als hätte er einen Stör aus dem Clyde gefischt.

Sie schienen entschlossen, die Probleme der Welt im Großen und im Kleinen anzugehen, übertrafen sich gegenseitig mit breit gestreuten Vorurteilen, vielleicht weil sie einen Gast hatten. Vandalismus wurde von »verzogenen Gören« verübt. Afrikaner »hatten mehr Macht, als gut für sie war«. Die Gewerkschaften machen unsere Gesellschaft kaputt. Während des gesamten Essens wurden die Klischees wie Würzsaucen über den Tisch gereicht. Harkness blieb das Essen im Hals stecken.

Danach war Marys Mutter in der Küche, räumte auf, spülte und weichte Wäsche ein. Weil Sonntag war, konnte sie die Maschine nicht anstellen, aber einweichen war in Ordnung. Anscheinend hatte sie das Kleingedruckte gelesen, das vom Berg Sinai heruntergekommen war. Marys Vater widmete sich der Zeitung. Harkness wurde durchs Haus geführt.

Es war schön, aber er fand es beunruhigend, so wie alle Häuser, die mit viel Bedacht hergerichtet waren. Das Gespräch, dem jedes Bewusstsein der eigenen Beliebigkeit fehlte, die mühsam hergestellte Gefälligkeit der Räume, das alles zusammen fühlte sich an, als wäre er gefangen in der Halluzination eines anderen. Und Marys verschämter Rückzug vor seinen tastenden Händen verweigerte ihm eine Wirklichkeit zum Festhalten. Als das Telefon klingelte, war er kurz davor, aus dem Fenster zu springen.

Marys Mutter ging sofort dran. Harkness fragte sich, ob das bedeutete, dass sie unten im Flur auf Marys Hilfeschrei gelauert hatte. Sein Vater rief aus Fenwick an.

Nichts war geeigneter, Harkness in die Realität zurückzuholen, als seine zögernd in den Hörer sprechende raue Stimme. Normalerweise war sein Vater ein sehr offener Mensch, aber am Telefon benahm er sich wie der MI5. Er traute den Dingern nicht über den Weg und hatte Harkness nur unter Protest gestattet, zu Hause einen Anschluss legen zu lassen. Bedachte man außerdem, dass er Harkness’ Tätigkeit bei der Polizei missbilligte, konnte man nachvollziehen, mit welchem Widerwillen er die Nachricht übermittelte: Harkness wurde im Büro gebraucht.

Einen freudigen Aufschrei unterdrückend, bedankte sich Harkness bei Marys Eltern und beteuerte sein Bedauern, so früh schon gehen zu müssen. Er sagte, er wolle versuchen, später noch einmal vorbeizukommen. Wenigstens kam Marys Mutter nicht mit zur Tür.

Sein Wagen parkte praktischerweise auf der Kilmarnock Road, Fahrtrichtung Glasgow. Er fragte sich, was im Büro los war, und hoffte, etwas Wichtiges. Das Wochenende war sein erstes beim Crime Squad und er hatte es nicht verstreichen lassen wollen, ohne gerufen zu werden. Sein Jahr als C.C. bei der Central Division unter Milligan war interessant gewesen, aber Harkness wollte mehr. Er war nicht sicher, worin dieses Mehr bestand, aber er hatte sich beim Crime Squad beworben, um herauszubekommen, ob er es dort finden konnte.

Seinem Vater hatte dies gar nicht gefallen, weil es bedeutete, dass sein Sohn Polizist bleiben würde. Der alte Herr hatte die Schule in den Dreißigerjahren verlassen und erst nach dem Krieg eine feste Anstellung bekommen. Er erinnerte sich, wie Streikende und Demonstranten im Westen Schottlands damals von Polizisten behandelt wurden. Er hasste sie aufrichtig und konnte seinem Sohn nicht verzeihen, einer von ihnen geworden zu sein. Da sie beide alleine miteinander wohnten, stritten sie ständig.

Aber bei der Arbeit, so wie jetzt, hatte er keine Zweifel. Er war sechsundzwanzig, körperlich kräftig und voller Zuversicht. Wie ein Motor, der auf allen Zylindern rund lief, war er voll einsatzfähig. Erst als er das Büro des Commanders erreichte, fing der Motor an zu stottern.

»Harkness«, sagte der Commander und ließ den Namen im Raum stehen. Er klang wie eine Klassifizierung, als wäre er der Erste, der Harkness je so angesprochen hatte, und als wollte er ihm Zeit geben, sich daran zu gewöhnen. Der Commander ging Papiere durch. Von seinem Standort aus sah Harkness das Foto, auf dem eine Frau und zwei Jungen dem Commander bestärkend entgegenlächelten. Der Commander legte die Papiere beiseite.

»Ein Mord. Im Kelvingrove Park. Die Leiche eines Mädchens wurde heute dort gefunden. Sexuell missbraucht und ermordet.«

Er sprach in Schüben wie ein Fernschreiber, und er schien jede Aussage noch einmal zu überprüfen, während sie bereits seinem Mund entwich.

»Sie sind ein junger Mann, Harkness.«

Das stimmte. Er hielt über der Bemerkung inne, schien sie für unwiderlegbar zu halten.

»Ein junger Mann. Aber Sie haben bereits Erfahrung.«

»Danke, Sir.«

Harkness fand seine Antwort einfältig, aber immerhin konnte er damit seine eigene Anwesenheit geltend machen. Der Commander schien mit sich selbst zu sprechen.

»Sie werden mit Detective Inspector Laidlaw an dem Fall arbeiten. Er ist einer unserer weniger konventionellen Mitarbeiter. Vielleicht haben Sie davon gehört.«

»Ich weiß, dass man sagt, er sei sehr gut, Sir.«

»Er kann sehr gut sein. Natürlich nicht so gut, wie er glaubt. Aber das ist schier unmöglich, so gut kann niemand sein. Morgen fangen Sie an.«

»Ja, Sir. Danke.«

Harkness wartete. Der Commander stand auf und sah aus dem Fenster, als wollte er sich vergewissern, dass die Stadt sich benahm.

»Es geht um ein sehr schweres Verbrechen. Möglicherweise gab es bis zur Tat keinen Kontakt zwischen Mörder und Opfer. Damit wäre der Fall sehr schwer lösbar. Aber die Zeit drängt. Es handelt sich auch um eine sehr aufsehenerregende Straftat. Die Presse wird das Thema ausschlachten. Die Menschen haben Angst. Ein so schwer gestörter Mann kann eine solche Tat jederzeit wiederholen. Wir stehen unter Druck. Deshalb bin ich einverstanden, wenn Laidlaw ein paar Tage lang eigene Wege geht. Innerhalb gewisser Grenzen, versteht sich. Und an der Stelle sind Sie gefragt. Sie bilden das Bindeglied zwischen Detective Inspector Laidlaw und den Hauptermittlungen, die Detective Inspector Milligan von der Central Division führen wird. Sie werden feststellen, dass sich Laidlaw bisweilen in der Stadt verliert. Wie nennt er das? ›Zum Reisenden werden‹, glaube ich. Sie können ihn gerne fragen, was das bedeuten soll. Ich weiß es jedenfalls nicht. Egal, schön und gut. Er neigt dazu, den Kontakt zu uns schleifen zu lassen. Das werden Sie verhindern. Sie halten täglich Rücksprache mit Detective Inspector Milligan, führen ihm Informationen zu und erhalten im Gegenzug neue von ihm. Wenn die beiden Ermittlungsstränge sich nicht gegenseitig befruchten, ist die ganze Sache sinnlos. Sie werden den Vermittler spielen, sozusagen das Düngemittel.«

»Ja, Sir«, sagte Harkness, der sprechende Dünger.

»Sie werden Laidlaw morgen um halb zehn bei der Central Division treffen. Er kommt direkt von der Autopsie zu Ihnen. Außerdem möchte ich, dass Sie jetzt gleich bei D.I. Milligan dort vorstellig werden. Das ist für Sie doch wie in alten Zeiten, nicht wahr? Schauen Sie mal, ob er schon Aufgaben für Sie hat.«

»Verstanden, Sir.«

»Viel Glück. Lassen Sie sich von Laidlaws Art nicht abschrecken. Er hat eine recht raue Schale. Das ist alles.«

»Danke, Sir.«

»Harkness«, sagte der Commander.

Harkness hatte das Gefühl, wie eine Akte abgeheftet worden zu sein. Irgendetwas an der Art des Commanders machte Harkness verlegen. Aber er verstand es nicht. Grinsend vor Vorfreude trat er hinaus in den Gang, bis ihm einfiel, dass der Mord an einem Menschen seiner großen Chance vorausgegangen war. Und da grinste er nicht mehr.

Laidlaw

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