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»ES WAR EINMAL EIN MÄDCHEN namens Margaret. Sie war zwölf. Hatte keine Geschwister. Sie lebte alleine mit ihrer Mammy und ihrem Daddy. Ooooh! Eines Abends wollte ihr Vater ins Kino gehen. Ihre Mutter war einverstanden. Aber es war ein Film für Erwachsene, also konnte Margaret nicht mit. Sie beschlossen, dass sie einen Babysitter brauchten. Margaret war eingeschnappt. ›Ich bin schon zwölf‹, sagte sie. ›Ich bin kein Baby mehr. Ich kann auf mich selbst aufpassen.‹ Aber ihre Mutter bestand darauf, dass ein Babysitter kam. Anne wohnte in derselben Straße, sie war neunzehn und passte gerne auf Margaret auf. Zufällig wusste Margarets Mutter, dass Anne am Abend nichts vorhatte. Und Margarets Vater sagte, außerdem sei es verboten, Kinder in Margarets Alter alleine zu lassen. Aber Margaret bestand darauf. Sie hatte einen Wutanfall. Genau wie unser Jack, wenn er an den Tischbeinen knabbert. Also gingen Margarets Eltern ins Kino. Und Margaret saß am Kamin und sah fern. Hatte das Haus ganz für sich allein.

Sie dachte: ›Das ist toll! Wie eine Erwachsene.‹ Aber plötzlich? …«, Laidlaw schnippte mit den Fingern, »ging das Licht aus. Der elektrische Kamin erlosch. Der Bildschirm wurde schwarz. Es herrschte vollkommene Dunkelheit. Als wäre Margaret blind. Sie hatte große Angst.«

Laidlaw genoss die Pause. Dies war der Moment, den sie alle mochten. Deshalb nannten sie das Spiel: »Was geschah dann?« Er hatte die Geschichte absichtlich erzählt, um einen Luftschutzbunker gegen Enas Vorwürfe zu errichten. Ihre Angriffe auf ihn hatten in letzter Zeit ihre moralische Berechtigung eingebüßt. Früher hatte sie die Kinder davon ausgenommen. Jetzt bombardierte sie Dresden. Nur um ihn zu treffen, feuerte sie vor den Kindern Geschosse ab wie: »Kein Wunder, dass du letzte Nacht schlecht geträumt hast, Jack. Dein Daddy war nicht hier, um dich zu beschützen, mein Sohn.« Die Wut, die Laidlaw angesichts eines solchen Missbrauchs seiner Kinder empfand, erschreckte ihn selbst.

Als er jetzt aber in ihre Gesichter blickte, verflog diese Wut. Moya, mit zehn Jahren die Älteste, reagierte leicht zynisch in Bezug auf die anderen beiden. Doch hinter all ihrer Distanziertheit dachte auch sie sich mögliche Szenarien aus. Sandra, ein Jahr jünger, machte keinen Hehl daraus, unbedingt vor ihrer großen Schwester auf die Lösung kommen zu wollen. Jack war mit sechs Jahren noch zu sehr damit beschäftigt, sich mit Margaret und ihrer Angst zu identifizieren.

»Was ist dann passiert?«, fragte Jack.

»Margaret hat sich hingesetzt. Sie hatte viel zu große Angst, um sich von der Stelle zu rühren. Dann hörte sie die Hintertür. Jemand – oder etwas? – probierte, ob sie abgeschlossen war. Sie wollte schreien. Aber dann hätte man sie gehört. Sie stand auf und stieß sich an einem Stuhl. Es tat so weh. Aber sie machte keinen Mucks, tastete sich zur Vorderseite des Hauses. Dort war es genauso dunkel. Sogar die Lampen draußen waren ausgegangen. Es war stockfinster. Als sie dort stand, hörte sie, dass die Klappe des Briefschlitzes in der Haustür angehoben wurde. Sie stellte sich vor, wie zwei Augen ins Haus starrten. Zwei Augen? Oder vielleicht sogar drei? Würdet ihr glauben, dass es neun waren? Sie schrie.«

Das Telefon klingelte. Ena ging dran. Laidlaw hoffte, dass es nicht für ihn war, aber er wurde enttäuscht.

»Was ist dann passiert?«, fragte er die Kinder auf dem Weg zum Telefon.

Der Commander des Crime Squad war am Apparat und teilte ihm mit, dass im Kelvingrove Park die Leiche eines Mädchens gefunden worden sei. Milligan von der Central Division würde die Ermittlungen als D.I. leiten. Aber Laidlaw sollte ihn unterstützen. Zunächst dachte er aber nur an Enas unvermeidliche Reaktion. Und er wurde nicht enttäuscht. Sie war in der Küche. Er machte die Tür zu, damit die Kinder sie nicht hörten, vertröstete sie mit der Lösung des Rätsels auf »später«.

»Es hat einen Mord gegeben«, sagte er.

Ena hielt über dem Gemüse inne, das sie schon für die Suppe am Montag putzte. Sie starrte stur geradeaus auf die verschrammte Scheibe des Wandschranks.

»Ich möchte nur ein Mal einen schönen ungestörten Sonntag erleben«, sagte sie.

»Ich weiß.«

»Nein, weißt du nicht. Du hast keine Ahnung. Was interessiert’s mich, wer ermordet wurde? Meine Kinder brauchen einen Vater.«

»Ach, komm«, sagte Laidlaw. »Greif nicht schon wieder von der Seite an. Mein Verhältnis zu den Kindern ist unerschütterlich und nicht gefährdet und das weißt du auch.«

»Weiß ich das? Wissen sie das? Du sagst, du weißt es. Weißt du, was so was mit mir macht? Mit der ganzen Familie? Ich meine, wie oft kommt das vor? An uns werden auch Verbrechen verübt. Aber das weißt du ja.«

Ena fuchtelte geistesabwesend mit dem Messer.

»Ja, das weiß ich. Ich kenne auch den Unterschied zwischen Hedda Gabler und East Lynne und du bist East Lynne. Du tust so, als sei der ganze Rest der Welt nur ein notwendiges Übel. Jemand ist tot. Das mag dir lästig sein. Aber für die Betreffende ist es noch ein ganzes verdammtes Stück härter.«

Er merkte, dass er geschrien hatte.

»Hör auf zu fluchen. Die Kinder können dich hören.«

»Leck mich am Arsch! Ein paar Schimpfwörter werden ihnen nichts anhaben. Was ihnen wirklich zusetzt, ist deine Gleichgültigkeit gegenüber allem außer ihnen.«

Im Gehen verteilte er noch hastig Küsschen an die Kinder wie blaue Flecke. Sie sagten nichts. Im Wagen war er immer noch angespannt wie eine geballte Faust. Es wurde immer schlimmer. Jetzt stritten sie sich schon in Steno. Die Toleranz, die sie sich gegenseitig entgegenbrachten, war beinahe vollständig aufgebraucht. Alleine im Wagen konnte er sich eingestehen, wie ungerecht sie gegeneinander waren. Über die Jahre hatten sie eine ungestüme Direktheit entwickelt, weil sie begriffen hatten, dass der andere etwas vertrat, womit man sich nicht einverstanden erklären durfte. Sobald eine einzige Bemerkung am Horizont auftauchte, wusste man bereits, für welchen Ansturm an unakzeptablen Ansichten sie die Vorhut bildete.

Laidlaw konnte sich eingestehen, wie unangemessen seine Wut vor dem Hintergrund des Geschehenen wirkte. Aber er wusste auch um das Ausmaß der Gefahr, auf die er in Wirklichkeit reagierte. Deshalb fühlte er sich unwohl bei den Freunden, die sie gemeinsam besuchten. Jenseits der genau abgesteckten Gebiete dessen, was sie in Gesprächen kultivierten, den Gartenlauben der Freundschaft, den ausgeschmückten Klischees, den sorgsam präsentierten Interessen, lag ein Ödland des Schweigens, auf dem alles verrottete, was sie nicht direkt betraf. Auf der Straße erhaschten sie bisweilen einen Blick auf die fremden Gestalten, die durch ihr Schweigen huschten, oder vernahmen in einer Zeitungsschlagzeile das schauerliche Echo des überirdischen Klangs seiner Leere. Aber die Tür, die von dort zu ihnen führte, blieb fest verschlossen. Laidlaw konnte das nicht akzeptieren. Die Realität trat sie immer wieder auf.

So wie heute. Die Fahrt von Simshill in Cathcart zum Kelvingrove Park entsprach der Distanz zwischen Vorspiegelung und Tatsache. Er stellte den Wagen oberhalb des Parks ab und betrat ihn bergab, sodass er das Geschehen sofort im Blick hatte. Anziehend wirkte es nicht.

Es hätte auch ein Film gedreht werden können. Die Absperrung bildete einen Halbkreis am Fluss, der äußerste Winkel lag knapp siebzig Meter vom Flussufer entfernt. Innerhalb des abgesperrten Bereichs eilten Polizisten umher, gingen ihren verschiedenen Aufgaben nach, wie Maden auf einem Kadaver. Zwei sandten Spürhunde aus. Jemand machte Fotos. Ein Mann und ein Junge gaben Aussagen zu Protokoll. Die Leute bewegten sich wie bizarre Techniker, als wollten sie die undichte Stelle in einer Gasleitung finden.

Aber nicht sie waren das Bizarrste an diesem Schauplatz, sondern die Menschentraube auf der anderen Seite der Absperrung. Laidlaw mochte nicht hinsehen. Eine seltsame Einigkeit, die ihm schon öfter bei solchen Versammlungen aufgefallen war, verband sie. Sie reckten die Hälse und verständigten sich untereinander, eine Hydra im Selbstgespräch. Ein Vater trug ein Mädchen auf den Schultern, ihre Füße unter seinen Achseln. Ein kleiner Junge hatte einen Lutscher im Mund. Laidlaw verstand sie nicht. Sie konnten nicht helfen, waren lediglich Voyeure einer Katastrophe.

Er wollte nicht Teil von ihnen werden und bahnte sich unsanft mit den Ellbogen einen Weg bis zu dem Beamten an der Absperrung. Dann drehte er sich um und rief: »Nur für Karteninhaber!«

»Was stimmt denn nicht, Sir?«, fragte der Polizist.

»Sehen Sie sich die Leute doch an«, sagte Laidlaw. »Was wollen die hier? Und dann glauben die wahrscheinlich noch, der Tod des Mädchens sei das Unfassbare. Halten den Täter für abartig.«

»Die Leute sind nur neugierig, Sir.«

»Allerdings.«

»So schlimm ist das nicht.«

»Welcher Heilsarmee gehören Sie denn an? Lassen Sie die bloß nicht aus den Augen. Die bringen es fertig und nehmen einen Fußnagel als Andenken für die Kinder mit nach Hause.«

»Das ist sehr zynisch, Sir.«

»Mir müssen Sie das nicht sagen. Sagen Sie’s ihr.«

Er ging dorthin, wo sie lag. Sie war blau, scheinbar vor Kälte. Teilweise wurde sie vom Laub verdeckt, eine obszöne und verdrehte Parodie dessen, was man Kindern erzählt. Born under a gooseberry bush. Stattdessen lag sie jetzt tot im Gebüsch. Ihre Beine erschreckend schamlos. Ihre Verletzungen waren verkrustet, Schenkel, Gesicht und Bauch schwarz verfärbt, und ihre linke Brust wirkte ebenfalls wie verkohlt, wie die Asche eines bösen Feuers. Unwillkürlich musste Laidlaw an Moya denken. Er erinnerte sich, wie er sie zum ersten Mal gesehen hatte, zerschunden nach der Geburt. Nicht leicht gekommen, nicht leicht gegangen. Ein Polizist bedeckte sie wieder mit dem Mantel.

»Oha, Interpol.«

Als er aufsah, blickte Laidlaw an Milligan vorbei.

»Jetzt ist uns die Aufklärung ja garantiert«, beharrte Milligan.

»Wir haben den Büstenhalter gefunden, Sir.«

Der junge Polizist hielt ihn Milligan entgegen. Er war gelb mit weißer Spitze.

»Du liebe Zeit, wie bei einer Schnitzeljagd«, sagte Milligan. »Ich hoffe nur, dass der Täter so weitermacht. Könnte uns direkt zu ihm führen.«

»Das ist alles, abgesehen von dem Schlüpfer«, sagte der Polizist.

Laidlaw sah dem jungen Polizisten zu, wie er den Büstenhalter zu den anderen Sachen legte, der braunen Schultertasche, den gelben Plateauschuhen, dem roten T-Shirt, dem Jeansanzug. Ja. Fehlte nur noch eins. Er wollte nicht nachsehen, weil er wusste, dass er es finden würde. Er beugte sich über das Mädchen, hob den Mantel an. Ihr Kopf saß seltsam verdreht auf ihrem Hals, als wollte sie horchen. Sachte schob er ihr das Haar von der Stirn. Die Haare waren steif – sicher nicht von zu viel Haarspray, dachte Laidlaw. Wahrscheinlich war es gefrorener Schweiß und Schmutz. Auf ihrer linken Schläfe entdeckte er das Muttermal, von dem sie geglaubt hatte, es könne ihre Chancen schmälern. Er richtete sich auf.

»Hör zu«, sagte er zu Milligan. »Ich denke, ich weiß, wer das ist. Die Eltern wohnen in Drumchapel. Ardmore Crescent.«

Der junge Polizist sah ihn ehrfürchtig an. In solchen unschuldigen Augenblicken werden Legenden geboren.

»Bud Lawsons Tochter!«, sagte Milligan sofort. »Natürlich. Sie ist nicht nach Hause gekommen.«

»Genau«, sagte Laidlaw. »Ich bin mit dem Wagen da. Ich hole ihn.«

»McKendrick. Sie fahren mit«, sagte Milligan. Dann an Laidlaw gewandt: »Nur für den Fall, dass du uns etwas mitzuteilen vergisst.«

»Ich habe nichts dagegen, euch alles zu sagen«, erwiderte Laidlaw. »Du kapierst sowieso nichts. Und meint ihr, wir könnten uns ein bisschen beeilen? Das Mädchen aus dem Rampenlicht ziehen.«

»Aus welchem Rampenlicht?«, fragte Milligan.

»Schafft sie einfach weg.«

»Detective Inspector Laidlaw. Sie müssten wissen, dass das jetzt noch nicht geht.«

Die Stimme klang laut und autoritär. Laidlaw drehte sich um und entdeckte den Staatsanwalt hinter der üblichen Wolke aus Zigarrenqualm. Damit hielt er sich den Geruch der Welt vom Leib. Heute gewährte er dem Park eine Audienz.

»Der Gerichtsmediziner wird jeden Moment hier sein. Vorher wird sie nicht bewegt. Ich hätte gedacht, Sie hätten dies aus langjähriger Erfahrung inzwischen gelernt.« Milligan genoss die Rüge. »Sie darf nicht bewegt werden, bevor ihr Tod nicht offiziell bestätigt wurde. Und bis es so weit ist, werden ihr die Unannehmlichkeiten nicht mehr allzu viel ausmachen.«

»Weil sie tot ist«, sagte Laidlaw. Er blickte zur Menschenmenge. »Ich möchte nicht, dass sich ihr Vater erst eine Eintrittskarte kaufen muss, um seine Tochter zu sehen. Ich bringe ihn ins Leichenschauhaus.«

McKendrick hatte der Wortwechsel gefallen. Weil ihm beim Anblick des Mädchens schlecht geworden war, hatte er das Gefühl, Laidlaw habe auch in seinem Namen gesprochen. Er hatte gehört, wie Milligan Laidlaw als Amateur abgetan hatte, und jetzt erleichtert festgestellt, dass es reine Verleumdung gewesen war. Im Wagen hätte er Laidlaw gerne angesprochen, respektierte aber dessen Schweigen, bis dieser selbst es brach.

»Wie heißen Sie?«, fragte Laidlaw.

»McKendrick.«

»Und mit Vornamen?«

»Ian.«

»Also Ian. Sie können im Wagen warten, wenn Sie wollen. Liegt bei Ihnen.«

McKendrick dachte an Milligan.

»Ich denke, ich sollte mitkommen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Wie Sie möchten. Ich dachte nur, dass es nicht so toll ist, Menschen schlechte Nachrichten zu überbringen, und dass wir es Ihnen, dieses eine Mal vielleicht noch, ersparen könnten.«

»Ich denke, ich werde mich dran gewöhnen müssen«, sagte McKendrick. »Nicht, dass ich Ihren Vorschlag nicht zu schätzen wüsste. Es ist nur … na ja. Ich muss mich dran gewöhnen.«

»Wahrscheinlich haben Sie recht, Ian. Aber gewöhnen Sie sich nicht zu sehr daran. Ich kenne Kollegen, die’s nicht mal mehr merken. Die liefern Leichen ab, als wären’s Fleischerpakete.«

Drumchapel umfing sie wie Treibsand.

»Das ist vielleicht eine Gegend hier«, sagte Laidlaw.

»Hier muss es ein paar schreckliche Leute geben.«

»Nein«, sagte Laidlaw. »Das meine ich nicht. Die Menschen hier sind sehr beeindruckend. Der Ort ist schrecklich. Denken Sie mal an Glasgow. In allen vier Ecken stehen diese Wohnsiedlungen. Drumchapel, Easterhouse, Pollok und Castlemilk. Wir haben den größten sozialen Wohnungsbau in Europa. Und was findet man hier? Kaum etwas anderes als Häuser. Architektonische Müllhalden, auf denen Menschen abgeladen werden wie Gülle. Architektur als Strafe. Die Glasgower müssen sehr freundliche Leute sein, sonst hätten sie Viertel wie dieses schon vor Jahren niedergebrannt.«

Laidlaw erkannte Bud Lawsons Wagen. Sie parkten dahinter und gingen über die Außentreppe zum Eingang. Die Lawsons wohnten im Souterrain, rechts. Laidlaw drückte auf die Klingel, aber sie hörten nichts. Er blickte McKendrick an, drückte noch einmal und wollte gerade klopfen, als aufgemacht wurde.

»Tut mir sehr leid. Haben Sie geklingelt? Die Klingel ist kaputt. Brummt nur noch ganz leise. Ich bin dem Verwalter schon länger hinter …«

Jetzt hatte sie McKendricks Uniform wahrgenommen. Die Frau war klein, ihr Gesicht wirkte älter als der Rest. Ihr Körper hing an ihr, wie fremde Kleidung. Ihre Entschuldigung wegen der Klingel hatte etwas erstaunlich Angestrengtes, und jetzt war ihre Aufmerksamkeit ebenso eigensinnig auf McKendrick übergegangen. Laidlaw hatte diese Art des willentlichen Perspektivwechsels schon öfter bei Menschen wahrgenommen, die sich von ihrer Umgebung unter Druck gesetzt fühlten. Als hätte sie die Härte ihrer Erfahrungen überholt und beraubt und als müssten sie nun den Rest ihres Lebens eingeschüchtert verbringen.

Jetzt sah man ihrem Blick an, dass ihr allmählich klar wurde, weshalb sie wirklich hier waren. Worte waren nicht nötig. Sie wusste, dass der schlimmste Fall eingetreten war, weil sie immer damit gerechnet hatte.

»Oh Gott«, sagte sie. »Ich wusste es, ich wusste es, ich wusste es. Oh Gott! Was ist mit ihr?«

»Mrs Lawson?«, sagte Laidlaw.

»Oh Gott! Etwas Schreckliches ist geschehen.«

»Frau. Komm von der Straße weg.«

Bud Lawson trat zwischen sie. Hinter ihm hörten sie seine Frau zwar noch, aber sie klang jetzt, als habe sich eine Tür vor ihr geschlossen.

»Was ist?«

»Dürfen wir hereinkommen, Mr Lawson?«, fragte Laidlaw.

McKendrick schloss die Tür und gemeinsam gingen sie ins Wohnzimmer. Mrs Lawson schien vor ihnen herzuwehen, wie Papier im Wind. Ziellos blieb sie vor der altmodischen, verkratzten Anrichte stehen, starrte auf eine Porzellanfigur, eine alte Frau auf einer Bank, und schüttelte den Kopf. Bud Lawson stand mitten im Zimmer.

»Es tut mir leid, Mr Lawson«, sagte Laidlaw. »Tut mir sehr leid. Ich denke, Mrs Lawson sollte sich setzen.«

»Sagen Sie einfach, was Sie uns zu sagen haben.«

»Es geht um Jennifer, fürchte ich. Ich glaube, wir haben sie gefunden. Tut mir leid. Wenn sie es ist … dann ist sie tot.«

Mrs Lawsons Stimme erhob sich und wurde zu einem Geräusch, das McKendrick nicht ertrug. In Bud Lawsons Gesicht geschah dagegen nicht mehr, als dass sich ein Knoten in seiner rechten Wange bildete, wo er die Zähne aufeinanderbiss. Er wandte den Kopf leicht von seiner Frau ab.

»Wie ist das passiert?«, fragte er.

Laidlaw schüttelte den Kopf und ging auf Mrs Lawson zu. Sie ließ sich zu einem Sessel führen und setzte sich, sie weinte. Laidlaw legte eine Hand auf ihre Schulter.

»Wie ist das passiert?«

»Nein, Mr Lawson«, sagte Laidlaw. »Zuerst müssen Sie Jennifer identifizieren. Ob sie es auch ist. Danach können Sie Ihrer Frau die Einzelheiten erklären. Ich erzähle Ihnen alles Nötige im Wagen.«

Bud Lawson nahm seine Jacke vom Stuhl und zog sie an. Er war bereit zu gehen.

»Mr Lawson«, sagte Laidlaw. »Wollen Sie vielleicht einer Nachbarin Bescheid sagen, damit sie sich um Ihre Frau kümmert?«

Bud Lawson sah ihn an, als verstünde er ihn nicht. Laidlaw nickte McKendrick zu. McKendrick ging zur Wohnungstür gegenüber und sagte der Frau dort Bescheid. Sie erklärte es kurz ihrer Familie und kam sofort rüber, setzte sich zu Mrs Lawson auf die Sessellehne, legte den Arm um sie. Als sie gingen, sagte sie: »Sadie, Sadie, oh Sadie.«

McKendrick setzte sich nach hinten. Er starrte Bud Lawsons von Kratern übersäten Nacken an, wie die Oberfläche eines fremden Planeten.

Laidlaw

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