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SEINE HÄNDE, BLEICH IM VORÜBERZIEHENDEN LICHT, hoben sich und fielen hilflos auf das Lenkrad zurück. Sie waren riesig, hatten dreißig Jahre lang in der Werft Metallblech vernietet. Hilflosigkeit waren sie nicht gewohnt. Jetzt strahlten sie eine Wut aus, die sich in Ermangelung eines Angriffsziels gegen alles und jeden richtete. Bud Lawson war wütend auf Laidlaw, die Polizei, seine Tochter, seine Frau, die Stadt.

Er verabscheute die Strecke, die er nach Hause fahren musste: über die Autobahn zum Kreuz am Clyde Tunnel, Richtung Anniesland weiter und dann links ab auf die Great Western Road. Der erste Teil erinnerte ihn zu sehr an das, was sie der Stadt angetan hatten, die er einmal gekannt hatte. Riesige Autobahnauffahrten hatten die Vergangenheit verdrängt. Als würde man die Eingeweide eines Menschen durch Plastikschläuche ersetzen. Wieder dachte er an die Gorbals, die übervölkerte Wohnsiedlung, den Lärm, das Gefühl, seinen Nachbarn am Kopf kratzen zu können, wenn man sich im Bett nur genug streckte. Für ihn war’s ein verlorenes Paradies. Er wünschte sich dorthin zurück, als könnte er Jennifers Verschwinden dadurch ungeschehen machen.

Er wusste, dass es ernst war, schon weil sie ihm so etwas niemals freiwillig antun würde. Sie kannte die Regeln. Nur ein einziges Mal hatte sie je versucht, dagegen zu verstoßen: Als sie sich mit dem Katholiken traf. Aber dem hatte er ein Ende gemacht. Er hatte es nicht vergessen, und vergeben gleich gar nicht. Schon von Natur aus bewegte er sich auf eingefahrenen Gleisen. Für ihn gab es nur eine Linie. Wollte man anders fahren, hatte man in seinem Leben nichts zu suchen.

Diese Unbeweglichkeit wurde ihm jetzt zum Verhängnis. In gewisser Weise hatte er Jennifer längst verloren. Selbst wenn sie heute noch zurückkäme, hatte sie seiner Auffassung nach bereits genug verbrochen, um ihr Verhältnis zu ihm für immer zu zerstören. Mit brutaler Sentimentalität dachte er an vergangene Zeiten, als sie noch so war, wie er sie haben wollte. Er erinnerte sich an ihren ersten gemeinsamen Ausflug ans Meer, da war sie drei gewesen. Der Sand hatte ihr nicht gefallen. Sie hatte die Füße eingezogen und geweint. Er erinnerte sich an Weihnachten, als er ihr ein Fahrrad geschenkt hatte. Sie war darübergefallen, weil sie zu der Stoffpuppe wollte, die Sadie für sie genäht hatte. Er erinnerte sich, wie sie angefangen hatte zu arbeiten. Und wie er abends auf sie gewartet hatte, bis sie zu Hause war.

Jetzt hatte er die Goodyear-Reifenfabrik hinter sich gelassen und befand sich inmitten der dreistöckigen grauen Wohnhäuser von Drumchapel. Zu Hause fühlte er sich hier nicht. Er hielt an, stieg aus und schloss den Wagen ab.

Als er reinkam, saß Sadie am Kamin. Sie trug den Morgenmantel, den sie aus dem Klub-Katalog ihrer Schwester Mary bestellt hatte. An ihr wirkten die aufgedruckten Blumen verwelkt. Sie blickte zu ihm auf, wie sie es immer tat, mit seitlich geneigtem Kopf, als wäre er so groß, dass sie sich nur noch an den Wänden entlang in die Räume schieben konnte. Mit ihrer puren Anwesenheit flehte sie auf eine Art um Entschuldigung, die ihn reizbar machte.

»Was gehört, Bud?«, fragte sie.

Er starrte auf das Spitzendeckchen, das vom Kaminsims hing, dort wo King Billy auf seinem Paradepferd thronte.

»Bin zur Polizei.«

»Ach nein, bist du nicht, oder?«

»Was zum Teufel soll ich machen? Mein Mädchen ist verschwunden.«

»Was haben sie gesagt?«

Er setzte sich und starrte ins Feuer.

»Jetzt wo ich da war, hoffe ich, dass wirklich was los ist.« Er sah auf die Uhr. Es war Viertel vor sieben. »Wenn jetzt nichts ist, schwör ich dir, es wird was sein, wenn ich sie in die Finger kriege.«

»Sag so was nicht, Bud.«

»Halt den Mund, Frau.«

Sein Schweigen erfüllte den schäbigen Raum. Er zog seinen Schal aus und warf ihn auf den Sessel hinter sich. Sadie schaukelte sachte, machte eine Wiege aus ihren Sorgen. Er blickte zu ihr rüber. Sie sah so unbedarft aus, dass ganz allmählich ein Verdacht in ihm Gestalt annahm.

»Du weißt doch nichts, das ich nicht weiß, oder?«

»Wie meinst du das?«

»Du weißt, was ich meine. So was hat sie in ihrem ganzen Leben noch nie gemacht. Die hatte doch nichts vor, wovon ich nichts weiß, oder?«

»Bud. Wie kannst du bloß so was denken? Ich verheimliche dir doch nichts.«

»Hast es schon mal versucht. Als sie mit dem Katholiken rumgemacht hat. Bis ich’s beendet hab.«

»Hab nichts davon gewusst. Erst als du’s rausgekriegt hast.«

»Jaja, hast du behauptet. Und du bleibst dabei. Bei euch weiß man nie, ob ihr nicht unter einer Decke steckt. Ich warne dich.«

Er starrte sie an, sie brachte ihn mit ihrer dürren Unterwürfigkeit auf. Ein einziges Kind. Mehr zu produzieren war sie nicht imstande gewesen. Dazu vier Fehlgeburten, kleine Bündel aus Blut und Knochen, die nicht genug von ihr bekommen hatten, um menschliche Wesen zu werden. In ihr war kein Platz, um weitere Kinder auszutragen. Sie sah seinen Blick und sprach zu einer Nebelwand.

»Willst du Tee, solange wir warten, Bud? Soll ich einen machen?«

Da er nicht Nein sagte, stand sie auf.

Eine ratlose Wut gärte in ihm. Normalerweise stürzte er sich frontal auf was auch immer ihm bedrohlich erschien. Diesmal war es anders. Der Dunst verdichtete sich. Und das, was anders war, ließ seine Wut ins Ungeheuerliche wachsen.

Sadie hatte immer wieder nachgelegt. Jetzt drohte das Feuer auszugehen. Er nahm den Schürhaken und hielt inne. Jennifer hatte eine Gasheizung einbauen wollen. Aber er mochte Kohle. Über diesen nebensächlichen Gedanken verlor er sich in einsamer Raserei.

Als er sich wieder beruhigt hatte, starrte er auf den jetzt völlig verbogenen Schürhaken in seinen Händen. Ein Schuldschein, ausgestellt auf einen Unbekannten.

Laidlaw

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