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DER RAUM WAR EIN EINZIGES SCHÄDELBRUMMEN. Wenn er hier aufwachte, musste Harry Rayburn immer erst mal mit sich selbst klarkommen. Hier verbrachte er den Großteil seiner Zeit, überall standen die Trümmer vergangener Standpunkte, die sich wiederum in einem unauflöslichen Zwist miteinander befanden, in dem er als äußerst erschöpfter Vorsitzender fungierte. Die beiden Beardsley-Drucke wirkten neben den gerahmten Boxerfotos verlegen. Das größte zeigte Marcel Cerdan. Der kunstvoll gemusterte Lampenschirm prallte auf die asketische Weißheit der Wände, gab dem Raum etwas von einem calvinistischen Bordell. Das runde Bett entsetzte ihn, verpflichtete ihn, nächtens in der eigenen Beschämung zu versinken. Sein Morgenmantel war ein Kimono.

Mehr als einmal hatte er hier gelegen und über seine Anmaßung gelacht. Der Raum war ein Schrank voller psychischer Verkleidungen. Aber an diesem Morgen hatte er keine Zeit, von seinen Versuchen Abstand zu nehmen, sich mit der eigenen Natur zu arrangieren. Das Telefon zog ihn aus dem Bett, und ohne weiter nachzudenken, warf er sich den Kimono über. Er stolperte in einer Verwirrtheit auf das Telefon zu, die teilweise seinem Kater geschuldet war, teilweise seinem Lebensstil. Augenblicklich packte ihn das schlechte Gewissen, in einem solchen Durcheinander ans Telefon zu gehen. Als er den Hörer abnahm, fuhr er sich mit der anderen Hand durchs Haar.

»Hallo?«

»Harry? Hier ist Tommy. Tommy Bryson.«

Der Name stach wie ein Speer.

»Tommy! Wo bist du? Willst du kommen?«

Ihm fiel auf, dass das letzte Wort seltsam klang, es sei denn, es bedeutete, nach oben, ins Zimmer. Wieder fingerte er in seinen Haaren herum.

»Ich kann nicht, Harry.«

So wie er den Namen aussprach, spaltete er Harrys Gefühle. Es war eine Bitte und Harry hatte sich danach gesehnt, aber sie war so mit Schmerz befrachtet, dass ihm davor graute, worin sie bestehen mochte. Er wartete ab, was er zu fühlen hatte.

»Es ist was passiert. Was Schreckliches.«

»Was denn, Tommy?«

»Ich brauche deine Hilfe. Ich hab ein Mädchen umgebracht.«

Die Aussage legte eine Wüste zwischen sie.

»Tommy«, sagte Harry.

Sie lauschten hoffnungslos ins Schweigen des anderen.

»Tommy.«

Der Name verklang. Harry war erstaunt, dass seine Stimme wusste, was sie sagen musste.

»Was soll ich machen? Was willst du?«

»Bring mir einen Zettel und einen Stift. Ich muss es aufschreiben. Ich muss wissen, was passiert ist.«

Erbärmlich, wie einer, der nach Hustenpastillen verlangt, obwohl er längst an Rachenkrebs stirbt.

»Aber würdest du bitte zuerst zu meiner Mutter gehen? Erinnerst du dich an die Adresse?«

»Ja, ich erinnere mich.«

»Erzähl ihr was. Denk dir was aus. Ich will nicht, dass sie zur Polizei geht. Das will ich nicht.«

»Du kannst herkommen, Tommy. Hier suchen sie dich nicht.«

»Nein, ich kann nicht«, sagte Tommy, »Nein, ich kann nicht.«

»Wo bist du?«

Die Pause diente der Selbsttäuschung, als gelte es über Vertrauen zu entscheiden, dabei war die Entscheidung längst gefallen.

»Ich bin in der Bridgegate. In der Nähe vom Jocelyn Square. Ein leer stehendes Haus. Über Alice’s Restaurant. Der Eingang ist mit Blech vernagelt, aber ich hab’s zurückgebogen. Komm noch nicht. Erst wenn sich alles beruhigt hat. Aber geh zu meiner Mutter. Jetzt gleich.«

»Tommy«, sagte Harry.

»Wirst du’s machen?«

»Ich mach’s.«

»Gut.«

»Ich liebe dich, Tommy. Vergiss das nicht.«

Aber er hatte schon aufgelegt. Erst als er es gesagt hatte, wurde Harry bewusst, dass es wirklich stimmte. Er legte ebenfalls auf und wusste, dass das Gespräch ein Ende markierte. Es war eine Art Ankunft. Er musste nicht mehr so tun, als würde es ihm nichts ausmachen, dass er Tommy seit zwei Wochen nicht mehr gesehen hatte. Alle falschen Vorspiegelungen, mit denen er sein Haus ausstaffiert hatte, waren hinfällig, oder zumindest ihre Zwangsläufigkeit. Sollte er irgendeine dieser Rollen noch einmal bemühen, dann nur um Tommy zu helfen.

Er wusste noch, was er Tommy beim letzten Mal gesagt hatte. »Du hast Angst, schwul zu sein. Aber ich weiß, dass ich’s bin.« Und obwohl er sich seine Homosexualität bereits vor langer Zeit eingestanden hatte, hatte er dies nur getan, um sich wirksamer vor anderen zu schützen. Sein ganzes Leben lang hatte er sich Eigenschaften zugelegt, die ihm nicht angeboren waren, ihm aber überleben helfen sollten. Die Härte seiner eigenen Erfahrungen ließ ihn Tommy augenblicklich vergeben, egal was er getan hatte. Ginge es nach Rayburn, so hätte jeder andere es verdient, für Tommy zum Sündenbock zu werden.

Die antrainierte Härte würde jetzt einem ehrenwerten Zweck dienen. Er würde Tommy helfen zu entkommen. Das war seine Rache an der eigenen Erfahrung.

Laidlaw

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