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III. Sozialisation und Erziehung in der frühen Kindheit

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Problemverhalten und Krisen der Erziehung:

„Das Kleinkindalter könnte man überschreiben: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“. „Die Grundlage der Erziehung“, meint der Ratgeber, „muss in dieser Zeit unbedingt gelegt werden“ (8/54/375). Doch sollte man nichts zu erzwingen versuchen, auch wenn man, wie wir bereits gehört haben, bei Kindern in den ersten Lebensjahren „ohne Schläge“ nicht auskommt. Wie sollen sich Eltern beispielsweise verhalten, wenn der kleine Sohn abends nicht ins Bett gehen will? Hier ist es „nicht einfach damit getan, dass man dem Jungen einen tüchtigen Klaps hintendrauf gibt und ihn mit Strenge ins Bett befördert“. „Vielmehr sollten“, schreibt der Ratgeber, die Eltern erst „einmal versuchen, herauszubekommen, warum unser kleiner Junge oder unser Töchterchen nicht ins Bett gehen will“. Der Ratgeber beschließt seine Fallgeschichte mit einem Appell an die Eltern: „Haben wir ein wenig Geduld, ermutigen wir das Kind...“ (10/57/730f).

Ein anderes Beispiel für eine Problemsituation: Die Eltern fahren mit ihrem Kind zum Baden, doch dieses ist nicht zu bewegen, ins Wasser zu gehen. Auch hier ist nach Auskunft des Ratgebers mit zwang nichts zu erreichen; es bleibt vielmehr den Eltern nur eines übrig: „das Kind ganz ernst zu nehmen! Ernst zu nehmen in seiner Scheu vor dem vielleicht ungewohnt kühlen Wasser... Am besten macht man“, rät der Ratgeber, „nicht viel Aufhebens von dem Vorfall und kränkt das Kind nicht dadurch, dass man es auslacht. Anderen Leuten erzählen wir in seiner Gegenwart nichts von seiner Angst vor dem Wasser... Wir lassen den Kleinen im Sand spielen... gehen freundlich auf seine Gespräche ein, lassen uns Zeit und verlieren die Geduld nicht über dem einen Ziel: Das Kind muss selbst ins Wasser wollen und Freude daran haben“ (7/58/572).

Dieses Beispiel von wasserscheuen Kindern wurde so ausführlich zitiert, weil es stellvertretend für viele andere die geforderte Grundhaltung von Eltern in Problemlagen und Krisensituationen aufzeigt, nämlich: Ruhe bewahren, überlegen, welche Ursachen das gezeigte, unerwünschte Verhalten des Kindes hat und – Geduld bei dem Versuch durch geeignete erzieherische Maßnahmen eine Besserung des Verhaltens herbeizuführen.

Nun sind die Schwierigkeiten des Zubettgehens und die Wasserscheu von Kindern relativ „harmlose“ Beispiele für Problemsituationen, vor die Eltern in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder gestellt sein können. Wie und mit welcher erzieherischer Grundhaltung sollen Eltern aufs „Bettnässen“, auf „Zerstörungswut“, „Aufsässigkeit“ und „Aggression“, „Trotz“ und „Ungehorsam“ reagieren? Und wie stellt sich der Ratgeber zum Thema „Sauberwerden“, bis heute für Mütter immer noch eine Herausforderung?

Was das letztere angeht, sieht sich der Ratgeber veranlasst die Mütter aufzufordern_ „Bitte, liebe Mütter, machen wir das Sauberwerden nicht zu einer solchen Staatsaktion, die unsere Kleinen bis in den Schlaf verfolgt! Es rächt sich ja an uns selbst!“ (10/57/730).

Trotziges Verhalten des Kindes „lässt sich manchmal vermeiden, wenn man“, so der Ratgeber, „seine Anordnungen und Verbote wohl in bestimmtem, aber nicht befehlendem Ton gibt und dem Kind genügend Zeit lässt, diese innerlich zu verarbeiten“. Konsequenz im Verhalten der Eltern ist allerdings notwendig. So „muss die Mutter auf ihrem Willen beharren und nicht aus Bequemlichkeit nachgeben“ (7/58/574).

Gerade im sog. Trotzalter, in dem, wie der Ratgeber die Eltern aufklärt, jedes „normal entwickelte Kind“ sich durch „Experimente“ Erfahrungen sammelt, entstehen oft „Machtkämpfe“, die den Eltern sehr an die Nerven gehen können, „wenn sie die Ursachen nicht kennen und sich nicht richtig verhalten...“ (vgl. 7/58/573).

Allgemein wird den Eltern geraten „die gärende Aktivität dieser Trotzperiode zu steuern, aber nicht zu unterdrücken versuchen“ /9/60/914).

Hygiene, Kleidung und äußeres Erscheinungsbild:

Eine Mutter berichtet im Ratgeber über ihre Beobachtungen am Spielplatz: Ein kleines Mädchen wird von seiner Mutter eindringlich ermahnt sich beim Spielen nicht schmutzig zu machen. „Wo es auch ging und stand, immer hörte es Muttis mahnende Worte: Nicht schmutzig machen!... Ich bekam“, berichtet uns die Mutter weiter, „allmählich Mitleid mit dem Kind... Zu meinem Erstaunen stellte ich nämlich fest, das sich das ‚Schmutzigmachen’ nur auf das Kleidchen und die Hände bezog. Das ‚Schmuddelnäschen’ und das nasse Höschen waren nicht einbegriffen. Da hatten meine beiden Dreckspatzen doch andere Sauberkeitsbegriffe“ (5/58/410). Der Mutter ist es egal, ob sich andere Kinder auch so schmutzig machen wie die eigenen. Sie weiß, dass „das richtige Empfinden für Sauberkeit“ nicht durch ständige Mahnung ‚Mach dich aber nicht schmutzig’ geweckt wird. In Heft 5 vom Jahre 1960 meint der Ratgeber: „Damit Kinder in Ruhe spielen können, müssen sie richtig angekleidet sein... ‚Schöne’ Anzüge, die nicht schmutzig werden dürfen, eignen sich nicht“ (vgl. 5/60/456). Dass ein Kind am Sonntag zum Spaziergang mit den Eltern aber nicht seine „Spielkleidung“ trägt, ist in den 50er Jahren selbstverständlich.

Umgangsformen:

Gutes Benehmen „in allen Lebenslagen“ ist für den Ratgeber der 50er Jahre ein häufig angesprochenes Thema, das periodisch in der „Fibel des guten Tons, höflich und nett von A bis Z“, aufgegriffen wird.

Doch „wo anfangen, wo aufhören, wenn man beginnt, vom ‚guten Ton’ zu sprechen?“ „Schon das kleine Kinde“, erklärt der Ratgeber seinen Lesern, „vernimmt, sobald es einigermaßen Verstand hat, immer wieder die Worte ‚Das schickt sich nicht’ oder ‚Das gehört sich nicht’, und so begleiten uns die Anstandsregeln sozusagen von der Wiege bis zur Bahre. Manche glauben“, fügt der Ratgeber hinzu, „sich über diese Regeln hinwegsetzen zu können – welch ein Irrtum! Denn dann geht das Leben meistens über sie hinweg... /1/54/6).

Doch sollte man in der „Erziehung zum guten Benehmen“ nicht allzu streng sein und schon von den kleinen Kindern vollendete Formen etwa bei Gruß und Anrede erwarten. Für „sinnlos“ hält es der Ratgeber jedenfalls, schon die ganz Kleinen „mit dem ‚schönen Händchen’ zu quälen. Dass sie es meistens doch wieder vergessen, lassen sie das Händchen lieber ganz bleiben, zeigen sich verstockt, halten schnell beide Hände auf dem Rücken und spielen Trotzkopf. Und der Erfolg? Mutti ärgert sich. Der Gruß des Kindes – ob mit dem linken oder rechten Händchen – ist immer beglückend. Man sollte ihm die Ursprünglichkeit nicht rauben, indem man das Kind zwingt, sich zu früh auf ‚Formen’ zu konzentrieren, die es ohnedies einige Zeit später ganz allein lernt und selbstverständlich findet“ (11/57/845). Doch wie gesagt, gute Manieren entstehen nicht von alleine. Erste Gelegenheit „zum Üben“ ergeben sich für das Kind beim Verhalten am Esstisch: Schon das Kleinkind kann man „mit Energie und Ordnung in den Tischsitten“ zum Einnehmen seiner Mahlzeiten anhalten, „ohne viel Geschichtenerzählen...“ (10/55/662).

Veränderungen von Verhaltensstandards im Bereich familialer Erziehung und Sozialisation seit 1945

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