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Krisenerscheinungen im Spätmittelalter
ОглавлениеDer »schwarze Tod«
Städtechroniken vom Oberrhein berichten vom 14. bis ins 15. Jahrhundert zunehmend von verheerenden Krankheiten. So heißt es zum Beispiel in der Straßburger Chronik: »Im Jahr 1349 war das größte Sterben, das je gewesen, es ging von einem Ende der Welt bis zum andern, diesseits und jenseits des Meeres.« Und ähnlich schreibt ein Chronist in Konstanz: »1349 in dem Winter war der große Tod in Konstanz.« Es war die Pest, der »schwarze Tod«, eine Seuche, die halb Europa heimsuchte und eine tiefe Zäsur bewirkte. Die Zeit der Prosperität mit ihren »normalen« Unregelmäßigkeiten ging offenbar zu Ende. Denn es blieb nicht bei einer einmaligen Pestwelle. Die Epidemie brach in den folgenden Jahrzehnten immer wieder über die Menschen herein. Straßburg, das eine kontinuierliche Überlieferung besitzt, erlebte Pestseuchen 1349, 1358, 1363, 1381, 1387, 1397, 1410, 1414, 1417, 1419, 1424 und 1427. Heidelberg wurde von Epidemien 1313/14, 1348, 1388/89, 1407, 1420, 1426, 1428, 1437/38, 1450, 1459/60/61, 1474, 1480/83, 1490/91 wie auch im 16. Jahrhundert heimgesucht. |42|Die schweren Bevölkerungsverluste waren auf die Dauer nicht mehr auszugleichen. Die Menschen erlebten ihre Existenz als krisenhaft, unsicher, bedroht. Der demographische Einbruch bewirkte tiefe Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Die sozialen Beziehungen und Solidaritäten wurden zutiefst erschüttert.
Was die Ursache der Seuche betrifft, so wurde die Pest in Wirklichkeit von Flöhen der Ratten übertragen. Sie hatte sich von den Hafenstädten Italiens und Südfrankreichs aus über die großen Handelswege rasch ausgebreitet. Die Städte waren jeweils zuerst und besonders heftig befallen. Von einer Pestwelle in Basel berichtet Enea Silvio Piccolomini, man habe täglich 300 Tote gezählt. Wohlhabende flohen aufs Land und infizierten dort die Bevölkerung, wenn diese sich nicht bereits auf anderem Wege angesteckt hatte. Die Verluste waren verheerend. Eine der frühesten statistischen Quellen, der liber taxationis der Diözese Konstanz von 1353, nennt als Beispiel eine Pfarrei, die vor der Pest 40 domicilia (Haushalte) zählte, fünf Jahre daraufwaren es nur noch 22. Am heftigsten wütete die Pest jeweils unter den gesundheitlich Geschwächten, den Unterernährten. Inzwischen ist nachgewiesen, dass die Pest mit Missernten und Versorgungskrisen zusammenhing. Wo die Quellen unserer Region von schlechter Witterung berichten, d.h. wenn es lange, kalte Winter, späte Fröste, Hagel, zu nasse oder zu trockene Sommer gab und wenn Ungeziefer und Schädlinge das Land heimsuchten, dann kam es in der Folge zu Mangel und Hunger und dann zu Krankheiten und Seuchen. Offenbar traf in den Krisenperioden alles zusammen: Missernten und Teuerung, Hungersnot und Pest. 1356 wurde der Oberrhein auch noch von einer Erdbebenkatastrophe heimgesucht. In Basel stürzte das Münster ein, fast die ganze Stadt wurde zerstört. In anderen Jahren trat der Rhein über die Ufer und überschwemmte das Land.
Judenverfolgungen
Aus dem Kontext solcher Krisen entstanden die schwersten Judenverfolgungen des Mittelalters. Dass eine Massenpsychose die Juden zu Sündenböcken machte und ihnen die Schuld an allem Übel anlastete, ist ein Symptom der desolaten Bewusstseinslage. Zunächst, so berichtet die Straßburger Chronik, wollten die Mächtigsten in den Städten die Juden in Schutz nehmen. Doch dann gaben sie dem Druck der Menge nach. »Nun wurden die Juden in vielen Städten verbrannt, etliche auch ausgetrieben, die wurden dann von den Bauern gefangen, erstochen oder ertränkt.« So der Bericht der Straßburger Chronik. Man hatte, u.a. in Breisach und Freiburg, von Juden Geständnisse erpresst, in denen sie zugaben, die Brunnenstube vergiftet zu haben. Aber der nüchterne Chronist aus Straßburg weiß die Wahrheit: »Was man den Juden schuldig war, galt als bezahlt, alle Pfänder und Schuldbriefe wurden zurückgegeben. Das Bargeld der Juden nahm der Rat und verteilte es unter das Handwerk. Das Geld war auch die Ursache, warum die Juden getötet wurden; wären sie arm und die Landesherren ihnen nichts schuldig gewesen, so hätte man sie nicht verbrannt.« Selbst Kaiser Karl IV. bestätigte den Städten, recht an den Juden gehandelt zu haben.
Auswirkungen der Krise
Die vielfältigen Krisen des Spätmittelalters mit den schweren Bevölkerungsverlusten hatten kurz- und langfristige Folgen. Missernten bewirkten zunächst einen starken |43|Preisanstieg für Agrarprodukte, dem die ärmeren Schichten nicht gewachsen waren. So stieg vor allem unter ihnen die Sterblichkeit, und die Kinderzahl sank. Die Bevölkerung nahm ab, wenn auch die Zahl der Höfe nicht gleich schrumpfte. Der Bevölkerungsrückgang ließ aber dann in normalen Erntejahren die Preise für Getreide, Milchprodukte und Fleisch fallen. Die Preise für gewerbliche Erzeugnisse zogen indes an, denn Arbeitskräfte waren knapp, und die Löhne stiegen. »Geld wurde teurer« heißt es in der Konstanzer Chronik: Bauern bekamen für ihre Erzeugnisse weniger, mussten aber für das, was sie von Handwerkern und Händlern kauften, mehr bezahlen. Auch die Steuern und Abgaben wurden drückender, denn Adel, Kirche und Landesherren erhoben immer mehr Abgaben in Geld. Die Belastung der Landbevölkerung stieg. Doch der Druck bewirkte auch innovative Veränderungen. Die Verknappung der Arbeitskräfte erhöhte den Sog der Stadt. Mehr Menschen vom Land wanderten in die Städte, die damit ihren Bevölkerungsverlust ausgleichen konnten. Die sozialen Sicherungen der Handwerker wurden ausgebaut, Gesellen konnten besseren Lohn fordern, ihn zuweilen sogar mit Streiks durchsetzen. Die Bauern orientierten sich stärker als zuvor an Märkten. Es wurde mehr Fleisch und auch mehr Wein erzeugt und verkauft. Die große Masse der Landbevölkerung hatte davon freilich wenig. Man reagierte nicht mit der nötigen Elastizität auf den Markt, produzierte in guten Jahren zu viel und minderte damit den Preis, während man in schlechten Erntejahren, wenn die Preise hoch lagen, nichts zu verkaufen hatte und selbst nicht satt wurde. Nur große Betriebe, die gut organisiert waren wie manche Klosterhöfe, konnten jetzt wohlhabend werden und expandieren. Siedlungen auf schlechten Böden und in höheren Lagen mussten aufgegeben werden. Grenzertragslagen lohnten nicht mehr. Ganze Dörfer, vor allem im nördlichen und südlichen Schwarzwald, verödeten und wurden zu Wüstungen: Ein Vorgang, der sich nicht landesweit auf einzelne Jahre datieren lässt, der aber die Krisenhaftigkeit und Destabilisierung der Verhältnisse des Spätmittelalters charakterisiert. Die wirtschaftliche Diskontinuität war indes nur eines der Merkmale der Epoche. Unsicherheit herrschte auch in rechtlicher Hinsicht. Es war eine Periode unzähliger Fehden und Rivalitäten. Noch war nicht entschieden, wer die stärkste ordnungsstiftende Gewalt an sich bringen werde: die Fürsten oder die städtischen Gemeinwesen oder der König und Kaiser. Städte (oder wer in ihnen das Sagen hatte, Patriziat und Zünfte also) trieben im 14./15. Jahrhundert Politik wie autonome Körperschaften. Sie schlossen Bündnisse untereinander: die Bodenseestädte einen Seebund, die Reichsstädte in Schwaben den Schwäbischen Städtebund, dem auch Städte am Oberrhein angehörten, während andere sich dem Rheinischen Städtebund anschlossen oder eine Gruppe für sich bildeten. Andererseits konnte es passieren, dass Reichsstädte sich unversehens in der Hand eines Landesherren wiederfanden (so wurden z.B. Mosbach pfälzisch, Neuenburg habsburgisch). Häufig lagen Bürger und Stadtherr miteinander im Streit.