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2. Goldenes Zeitalter und Büchse der Pandora (Hesiod)
Оглавление„Früher nämlich lebten auf Erden die Stämme der Menschen
Weit von den Übeln entfernt und ohne drückende Plage,
Lästigen Krankheiten fern, die den Männern Tode bereiten.
Jäh befällt ja die sterblichen Menschen im Elend das Alter.
Aber die Frau entfernte den großen Deckel des Kruges,
Leerte ihn aus und sann den Menschen schmerzliche Leiden.
Einzig die Hoffnung verblieb im unzerbrechlichen Hause,
Drinnen unter den Lippen des Kruges, und nicht aus der Öffnung
Flog sie heraus; sie hatte zuvor den Deckel des Kruges
Zugeworfen nach Willen des Zeus des Wolkensammlers.
Sonst aber zahllose Leiden entschwirrten unter die Menschen.
Voll ist nämlich von Übeln die Erde und voll das Wasser,
Krankheiten gehen bei Tag und Krankheiten gehen bei Nacht um
Unter den Menschen von selbst und bringen den Sterblichen Unheil,
Lautlos, da ihnen Zeus der Berater die Stimme herausnahm.
Also ist es unmöglich, dem Sinn des Zeus zu entrinnen“
(Hesiod, Werke und Tage, V. 90–104).
Hesiod, der zweite Epiker der griechischen Antike, lebte um 700 v. Chr. Er wurde in Askra (Boiotien) geboren, wohin sein Vater, der aus dem aiolischen Kyme stammte, ausgewandert war. Er ist im Unterschied zu Homer als historische Person greifbar. Seine Berufung zum Dichter schildert er in einem Musenanruf. Er bedeutet Nachweis der Legitimation seines dichterischen Auftretens und Garantie für den Wahrheitsgehalt seiner Dichtung:
„Diese (d.h. die Musen, WP) nun lehrten einst den Hesiod schönen Gesang,/als er Schafe weidete unter dem gotterfüllten Helikon./Dieses Wort aber sprachen die Göttinnen zuerst zu mir,/die olympischen Musen, die Töchter des ägishaltenden Zeus:/‚Ihr Hirten draußen, üble Burschen, nichts als Bäuche,/wir wissen viel Falsches zu sagen, dem Wirklichen Ähnliches,/wir wissen aber auch, wenn wir wollen, Wahres zu verkünden.‘/So sprachen die Töchter des großen Zeus, die rechtredenden./Und sie gaben mir einen Stab, einen Zweig vom blütenreichen Lorbeer/Schneidend, einen ansehnlichen. Und sie hauchten mir eine weissagende/Stimme ein, damit ich rühme, was sein wird und was vorher war,/und sie forderten mich auf, das Geschlecht der seligen (Götter) zu preisen, der ewig seienden,/sie selbst aber zuerst und zuletzt stets zu besingen“ (Hesiod, 1985, V. 22–34).
Betont wird nicht nur der Kontrast zwischen seiner einfachen Herkunft und seiner hohen Berufung, sondern auch die weissagende und daher göttliche Qualität seiner dichterischen Botschaft. Als Rhapsode hat Hesiod auf Euböa bei Leichenspielen einen Dreifuß als Preis erhalten.
Seine beiden Hauptwerke sind die Theogonie mit 1022 Versen und Werke und Tage mit 828 Versen. Hesiods Sprache ist bedächtig, gelegentlich sogar schwerfällig. Gleichwohl wurde er im Altertum sehr geschätzt und in der Regel mit Homer in einem Atemzug genannt. Seine Dichtung zeigt Einflüsse des Vorderen Orients, so z.B. die Sukzessionsmythen, die bis ins 2. Jahrtausend v. Chr. zurückreichen.
In der Theogonie beschreibt Hesiod die Entstehung der Welt und der Götter. Beide bilden eine Einheit: Theogonie ist zugleich Kosmogonie. Mit der Frage nach dem Anfang der Welt wird nicht nur ein Mythos entworfen, sondern Perspektiven philosophischer Spekulation eröffnet (vgl. Gigon, 1968). Hesiod beschreibt diesen Anfang so:
„Zuallererst wahrlich entstand das Chaos, aber dann/die breitbrüstige Gaia, der niemals wankende Sitz von allen/Unsterblichen, die das Haupt des schneebedeckten Olymp bewohnen,/und der dämmerige Tartaros im Innern der breitstraßigen Erde/und der Eros, der schönste unter den unsterblichen Göttern,/der gliederlösende. Von allen Göttern und von allen Menschen/bezwingt er in der Brust den Sinn und den klugen Ratschluß./(...) Gaia aber erzeugte als erstes, ihr selbst gleich,/den sternreichen Uranos, damit er sie ganz umhülle (und)/damit er den seligen Göttern für immer der nicht wankende Sitz sei“ (Hesiod, 1985, V. 116–128).
Das Chaos ist keineswegs eine bloße Unordnung, auch nicht das Nichts, sondern, der Etymologie des Wortes entsprechend, ein ‚gähnender Schlund‘. Auch das Chaos ist entstanden wie alle Götter; aber nachdem sie entstanden sind, sind sie unsterblich. Bemerkenswert ist, dass Gaia (die Erde) nicht aus dem Chaos entstand, sondern nach ihm, d.h. gleichursprünglich. Die Götter repräsentieren, wie bei Homer, Wirklichkeitsbereiche der Welt. Das Entstehen wird in biologischen Kategorien als Erzeugen und Gebären gedacht. Die Welt zu verstehen, heißt zu erkennen, wie sie geworden ist. Das Wesen einer Sache besteht in ihrem Ursprung. Ebenso kennt man einen Menschen erst dann, wenn man seine Eltern kennt. Hesiod entwickelt eine poetische Ontologie, die den Charakter einer Genealogie hat. Die Entstehung der Götter und der Welt stellen eine Vorgeschichte zu aller menschlichen Geschichte dar. Es handelt sich um ein mythisches Apriori. Während Homer den Okeanos als den Ursprung von allem bezeichnet, ist es bei Hesiod das Chaos. Hesiods Götter sind mythische Mächte. Sie haben vielfach einen Status, der zwischen Person und Sache liegt. So ist die Erde keine bloße Sache, aber sie hat auch keine personale Qualität. Gleichwohl zeigt sich in seiner Mythologie ein matriarchalisches Denken: Es ist Gaia (die Erde), die Uranos (den Himmel) hervorbringt. Hesiod bewegt sich damit mythengeschichtlich in einer, gegenüber Homer, älteren Epoche.
Hesiods Anthropologie entfaltet sich am Leitfaden von Mythen, die er aneinanderreiht und in einem lockeren gedanklichen Zusammenhang zu einem Ganzen verbindet. Es sind vornehmlich vier Mythen. Sie berichten davon, wie es dazu kam, dass die Menschen den Göttern Opfer darbringen, ferner, wie sie in den Besitz des Feuers kamen und schließlich in zwei weiteren, wie die gegenwärtige elende Situation des Menschen entstanden ist. Ausgangspunkt dieser Geschichten ist die Aufhebung der ursprünglichen Gemeinschaft der Menschen mit den Göttern. Hesiod formuliert diesen Vorgang so: „Als nämlich die Götter und die sterblichen Menschen sich trennten“ (Hesiod, 1985, V. 535). Mit der Trennung entsteht ein konfliktreiches Verhältnis zwischen Göttern und Menschen. Dieses hat ein Pendant in der Götterwelt selbst. Es ist der Konflikt zwischen Prometheus, dem Vertreter der ehemaligen, von Zeus gestürzten, Götterwelt und Zeus selbst, dem Repräsentanten der neuen olympischen Götter. Prometheus tritt als Freund und Anwalt der Menschen auf und versucht, ihre Stellung gegenüber Zeus zu behaupten. Der Konflikt zwischen Göttern und Menschen wird auf diese Weise von Hesiod eingekleidet in die konflikthafte Ablösung des älteren Mythos durch einen neuen.
Das erste Beispiel ist der von Zeus zwar durchschaute, schließlich aber doch erfolgreiche Versuch von Prometheus, Zeus bei der Aufteilung eines Rindes zu täuschen. Der Zorn über den Betrug trifft jedoch zunächst nicht Prometheus, den Betrüger, sondern die Menschen. Um diesen Zorn zu besänftigen, bringen die Menschen den Göttern Opfergaben dar: „Von da an verbrennen die Geschlechter der Menschen auf der Erde den Unsterblichen weiße Knochen auf rauchenden Altären“ (ebd. V. 556f.). Die Opfergaben haben also nicht den Sinn, die Götter zu Wohltaten zu veranlassen, sondern sind als eine Bitte um Versöhnung zu verstehen. Die Strafe, die Zeus den Menschen zudachte, bestand darin, ihnen das Feuer vorzuenthalten. Auch hier ist es Prometheus, der den Menschen zu Hilfe kommt. Er stiehlt es, transportiert es versteckt in einem hölzernen Rohr und gibt es den Menschen. Auch in diesem Fall trifft die Strafe des Zeus die Menschen. Über sie berichtet Hesiod in zwei Versionen. Während in der Theogonie die Männer mit unverträglichen und faulen Ehefrauen bestraft werden, ist es in Werke und Tage eine einzige Frau, die allen Menschen Unheil bringt. Sie wird eigens für diesen Zweck von Hephaistos geschaffen:
„Und dem Hephaistos befahl er, dem weitberühmten, daß schnellstens/Erde mit Wasser er mische und eingebe menschliche Stimme,/Stärke auch, angleiche dann unsterblicher Göttin Antlitz/Und die schöne Gestalt des reizenden Mädchens“ (Hesiod, 1966, V. 60ff.).
Der Name dieses Mädchens lautet Pandora (ebd. V. 81). Ihre Geschichte wird überliefert unter dem Titel ‚Die Büchse der Pandora‘, obwohl Hesiod von einem Krug spricht (vgl. Text). Bemerkenswert ist, dass Pandora, die ihrer Aufgabe nach als ein unsterbliches Wesen zu denken ist, nach dem Handwerkermodell, genauer nach dem eines Töpfers, aus Erde und Wasser hergestellt wird, während im Übrigen für die Beschreibung des Entstehens biologische Kategorien verwendet werden. Hesiods Frauenbild ist ambivalent. Es schwankt zwischen Ausdrücken der Misogynie und der Utopie eines harmonischen Zusammenlebens der Geschlechter.
Die Erzählung enthält in aller Kürze alle Elemente einer Verfallsgeschichte. Erinnert wird an ein glanzvolles ‚Früher‘. Dieses hat seinen Platz in einer mythischen Vorgeschichte. Es ist ein Leben in der Gemeinschaft der Götter und daher ganz ohne Übel. Der Übergang zur realen Geschichte stellt einen Bruch dar, der nicht mit Jahreszahlen zu datieren ist. Im Gegensatz dazu ist der gegenwärtige Zustand voller Elend, bestimmt durch Krankheit, Leid und Tod. Er ist unerträglich und erklärungsbedürftig. Die Erklärung leistet der Mythos. Bemerkenswert ist der Hinweis auf die Hoffnung, die auf Anweisung von Zeus im Krug verbleibt. Sie ist hier nicht als eine trügerische Hoffnung zu verstehen, sondern als Ausdruck einer realen Aussicht auf Besserung. Gerade die aber ist den Menschen verwehrt. Die Lage des Menschen ist elend und zudem, so der Sinn der Erläuterung, völlig hoffnungslos. Dazu kommt: Krankheiten und alle Arten von Übel kommen schleichend und lautlos.
Die zweite, sich unmittelbar daran anschließende, ausführlichere Verfallsgeschichte ist die vom ‚Goldenen Zeitalter‘. Auch diese beginnt mit der Schilderung der Gemeinschaft von Menschen und Göttern. Hesiod beginnt sie mit folgenden Worten:
„Wie aus derselben Geburt geworden sind Götter und Menschen./Golden war ja zuerst das Geschlecht der sprechenden Menschen/(…) Und sie lebten wie Götter und hatten das Herz ohne Kummer,/Ohne Plagen und Jammer. Sogar das klägliche Alter/Nahte nicht (…)/Freuten sich am üppigen Mahl und kannten kein Unheil. Wie vom Schlaf überwältigt, starben sie; alles Erwünschte/War ihnen eigen“ (ebd. V. 108–117).
Bemerkenswert ist, dass Hesiod nicht den Grund für das Ende des ‚goldenen Zeitalters‘ nennt.
Übergangslos heißt es: „Wieder ein zweites Geschlecht, ein viel geringeres, schufen/Silbern die Götter dann später (…)“ (ebd. V. 127ff.). Für dieses gilt, dass das Leben der Menschen in ihm kurz war und „von Leiden erfüllt“. Die Menschen lebten „ohne Vernunft“ und ehrten die Götter nicht.
Das dritte von Zeus erschaffene Geschlecht war aus „Erz“. Es betrieb „Ares’ grausige Werke“. Ihr Aussehen war „ungeschlacht“ und „klobig“. In fortwährendem Krieg bereiteten sie sich selbst ein Ende, und „von den eigenen Händen bezwungen,/Stiegen sie hinab in das dumpfe Haus des eisigen Hades“ (ebd. V. 153).
Das vierte Geschlecht „war gerechter und besser“. Es ist das Zeitalter der Heroen, die den Krieg vor Troja führten. Einige von ihnen wurde eine besondere Ehre zuteil, denn „Zeus der Vater“, „ließ sie wohnen am Rande der Erde./Und da wohnen sie nun und haben das Herz ohne Kummer/Auf den Seligeninseln, wo tief der Okeanos wirbelt“ (ebd. V. 168).
Das fünfte Zeitalter, das eiserne, ist das, in dem Hesiod selbst leben muss. Er klagt: „wär zuvor ich gestorben, später geboren!“. Das Leben der Menschen ist völlig trostlos, denn „niemals am Tage/Ruhn sie von quälender Mühe und Jammer, und immer die Nächte/Reiben sie auf mit drückenden Sorgen, Geschenken der Götter“ (ebd. V. 176ff.). Es gilt das „Faustrecht“, die „Eidestreue“ wird nicht gewürdigt und der „frevelnde Täter /Steht viel höher in Ehren“; „nur trauriges Elend/Bleibt den sterblichen Menschen, und nirgends ist Abwehr des Unheils“ (ebd. V. 200).
Die Verfallsgeschichte wirft Fragen auf. So wird nicht deutlich, warum das goldene Zeitalter durch das silberne abgelöst wird. Anders als im biblischen Paradiesmythos (vgl. Kap. II, 1) geschieht es nicht durch die Schuld der Menschen. Dazu kommt, dass das Dekadenzschema nicht strikt eingehalten wird. So fällt das vierte Zeitalter heraus. In Erinnerung an die vorbildlichen Epen Homers bekommt es gar eine herausgehobene Stellung. Bemerkenswert ist auch der Gedanke, dass die Verfallsgeschichte mit dem fünften Zeitalter offensichtlich nur einen vorläufigen Endzustand beschreibt, denn sonst wäre der Wunsch, in einem späteren zu leben, unverständlich. Zwar deutet sich nicht der Gedanke eines Kreislaufs der Zeitalter an, aber Hesiod sieht gleichwohl einen Ausweg aus der gegenwärtigen elenden Situation.
Es ist der Gedanke des Rechts, der die Ethik von Hesiod bestimmt, und der darüber hinaus eine gesellschaftliche Utopie enthält. Zu seiner Entwicklung konfrontiert er den gegenwärtigen rechtlosen Zustand mit dem zukünftigen, rechtlichen. Das in seinem Zeitalter geltende ‚Recht des Stärkeren‘ erläutert Hesiod in einer Fabel: Ein Habicht hält eine Nachtigall in ihren Krallen und verhöhnt die „Sängerin“: „Fressen tu ich dich, ganz wie ich Lust hab, oder ich laß dich“. Nur ein „Narr“ versuche es, sich einem Stärkeren zu widersetzen. Hesiod wählt die Tierfabel nicht zufällig. In einer direkten Anrede an seinen Bruder Perses, mit dem er einen Rechtsstreit führt, hält Hesiod ein eindrucksvolles Plädoyer für das Prinzip des Rechts:
„Höre du jetzt auf das Recht und schlag die Gewalt aus dem Sinn dir!/Denn ein solches Gesetz erteilt den Menschen Kronion:/Fische zwar sollten und wildes Getier und gefiederte Vögel/Fressen einer den andern, weil unter ihnen keinen Recht ist./Aber den Menschen gab er das Recht bei weitem als bestes/Gut“ (ebd. V. 274ff.).
Das Recht ist die Alternative zur Gewalt. Bedeutsamer ist aber der Gedanke, dass das Recht im Vergleich zu den Tieren ein spezifisch anthropologisches Kriterium ist. Hier wird – vielleicht zum ersten Mal – neben dem dominanten Vergleich des Menschen mit den Göttern, der Tier-Mensch-Vergleich eingeführt, um den Menschen zu definieren. Während in späteren Verwendungen dieses Vergleichs der Mensch gegenüber dem Tier Mängel aufweist (vgl. Kap. V), verfügt er hier ihm gegenüber im wörtlichen Sinne über ein Vorrecht. Das Recht ist ein Privileg. Es ist auch ein Beispiel dafür, dass der Mensch von den Göttern nicht nur „üble Geschenke“ erhält.
Die Beachtung des Rechts ist nicht nur eine Pflicht gegenüber dem Gott Zeus und der Göttin des Rechts, Dike, sie garantiert auch Wohlstand und Glück. Die ‚Verletzung des Rechts‘, die selbst eine mythologische Redeweise darstellt, erläutert Hesiod in einem eindrucksvollen Bild und kontrastiert es mit der Schilderung der positiven Folgen der Einhaltung des Rechts:
„Dike jedoch geht weinend durch Städte und Länder der Völker,/Schwebt in luftigem Kleid und bringt den Menschen Verderben,/Die sie jagten hinaus und nicht gerade verteilten./Die aber jedem sein Recht, dem Fremden und den Heimischen, geben/(...) Denen gedeiht die Stadt, die Menschen blühen darinnen,/Friede liegt über dem Land und nährt die Jugend, und niemals/Drückenden Krieg verhängt über sie der Weitblick Kronions./Auch kein Hunger verfolgt gerade richtende Männer,/Schaden bleibt ihnen fern, nur Glück erblüht ihren Werken“ (ebd. V. 221–230).
Der Gedanke des Rechts verbindet sich bei Hesiod in einer für die Antike einzigartigen Weise aber auch mit dem der Arbeit. Die Alternative zu einem gewaltsamen, d.h. unrechtmäßigen, Erwerb von Reichtum ist die Arbeit. Sein Plädoyer lautet so:
„Arbeit macht ja die Männer so reich an Herden und Habe,/Auch macht die Arbeit sie viel lieber unsterblichen Göttern./Wirst auch lieber den Sterblichen sein, sie hassen den Faulen./Arbeit ist nimmermehr Schande, doch Scheu vor der Arbeit ist Schande“ (ebd. V. 307ff.).
Die Arbeit eröffnet die Perspektive auf einen friedlichen Wettstreit. Hesiod unterscheidet zwei Arten des Streits, die gute und die schlechte ‚eris‘. Die gute besteht, in einem ganz wörtlichen Sinne, in der Konkurrenz. Hesiod bemerkt:
„Jeden ergreift die Lust zur Arbeit, wenn er des andern/Reichtum sieht, schon eilt er zu pflügen, zu pflanzen/Und das Haus zu bestellen. Der Nachbar läuft mit dem Nachbarn/Um die Wette nach Wohlstand; so nützt diese Eris den Menschen“ (ebd. V. 21–24).
Die bösartige ‚eris‘ dagegen sucht „Hader und Händel“ und schreckt auch vor Raub nicht zurück. Das Fazit ist: Die gegenwärtige Situation des Menschen ist elend. Sie kann aber von ihm selbst durch Arbeit und Beachtung des Rechts entscheidend verbessert werden.
Die Wirkungsgeschichte von Hesiod reicht weit. Die Mythen vom ‚goldenen Zeitalter‘ und der ‚Büchse der Pandora‘ sind Allgemeingut geworden. Der Gedanke des Rechts wird von Solon weiter verfolgt. Das Dekadenzschema der Zeitalter findet in Platons Hierarchie der fünf Regierungsformen eine interessante Entsprechung. Das Konzept der Verfallsgeschichte ist ein in vielen Variationen sich durchziehender Typus der Geschichtsbetrachtung. Sie wird von Heidegger, im Rückgriff auf die griechische Antike, in neuer Weise entwickelt (vgl. Kap. VI, 3).