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II. Der Mensch, ein Geschöpf Gottes – Das kreationistische Konzept
ОглавлениеDer biblische Schöpfungsmythos, wie er im ersten Buch Mose, der Genesis, dargestellt wird, ist Teil der Geschichte Jahwes mit seinem Volk. Sie nimmt ihren Ausgang in der Errettung des Volkes aus der Knechtschaft in Ägypten und dessen Auszug unter der Führung von Mose. Diese Errettung geht einher mit einem Bund, den Gott mit seinem Volk schließt und der als der Alte Bund seither das Selbstverständnis des Judentums bestimmt.
Das Christentum hat daran angeknüpft und in dem durch Christus besiegelten Neuen Bund nicht eine Ablösung des Alten Bundes gesehen, sondern seine Erfüllung. Daher stellte es eine religionsgeschichtlich bedeutsame Herausforderung dar, als das Christentum sich anschickte, sich über die Grenzen Israels hinaus ins Römische Reich hinein auszubreiten. Es war eine Herausforderung nicht nur in Bezug auf die dort vertretenen Kulte und Glaubensrichtungen, sondern auch eine spezifisch intellektuelle. Sie bestand darin, sich mit den philosophischen Schulen der Zeit auseinanderzusetzen. Spuren davon sind bereits bei Paulus zu erkennen.
Die entscheidende Auseinandersetzung erfolgte jedoch durch Augustinus. Die Aussagen des Alten und des Neuen Testaments mussten in ein Verhältnis zu der griechischrömischen Philosophie gesetzt werden. Augustinus formulierte für diese Auseinandersetzung das zentrale Thema: ‚fides et ratio‘ – Glaube und Vernunft. Seine Erörterung bildet einen erheblichen Teil der Geschichte des europäischen Denkens, das der Theologie ebenso wie das der Philosophie. Für Augustinus hat die geoffenbarte Wahrheit der Bibel einen absoluten Vorrang gegenüber der durch natürliche Vernunft gewonnenen Erkenntnis. So ist es für ihn unstrittig, dass die philosophische Grundannahme von der Selbständigkeit der Welt und der in ihr herrschenden Kreisläufe der Natur falsch ist. Die Welt ist eine Schöpfung Gottes und hat einen zeitlichen Anfang und ein zeitliches Ende. Erkenntnisse der natürlichen Vernunft können nur dann akzeptiert werden, wenn sie den Aussagen der Bibel nicht widersprechen.
In dem Maße nun, in dem die mittelalterliche Philosophie selbst die theologisch bestimmten Glaubensvoraussetzungen übernahm, fand eine einzigartige Durchdringung von Philosophie und Theologie statt. Sie hatte von seiten der Philosophie ihr Zentrum in Gottesbeweisen, in denen freilich aus dem ‚Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs‘ der ‚Gott der Philosophen‘ (Pascal) wurde.
Von theologischer Seite aber führte der bis in die Neuzeit nicht ernsthaft in Frage gestellte Wahrheitsanspruch dazu, die vertretene Glaubenswahrheit fundamentalistisch auszuweiten und sie an die Stelle unvoreingenommener wissenschaftlicher Forschung zu setzen. Ein Beispiel hierfür ist die Verfolgung derjenigen Wissenschaftler, die sich zu Beginn der Neuzeit aufgrund astronomischer Erkenntnisse für die Ersetzung des geozentrischen durch ein heliozentrisches Weltbild einsetzten, wie z.B. Galilei. Ein weiteres ist der im Namen des Kreationismus geführte Kampf gegen Darwin und die Evolutionstheorie.
Es zeigen sich drei Möglichkeiten des Verhältnisses von Vernunft und Glaube: a) Der Glaube bildet die unhintergehbare Grundlage von Aussagen der Vernunft (Augustinus) und b) die Aussagen der Vernunft bilden den Anfang. Sie werden durch Glaubenswahrheiten überhöht und vollendet (Thomas von Aquin). Die dritte, hier nicht mehr dargestellte Möglichkeit, sei erwähnt: Vernunft und Glaube sind durch eine Kluft getrennt, die nur durch einen Sprung überwunden werden kann (Kierkegaard).