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Beispiele der Kognitiven Dissonanz

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Die kognitive Dissonanz treibt seltsame Blüten: Beispielsweise fand ich einen schweren Fehler an einem Bauteil, der sich mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit katastrophal auswirken hätte können. In jedem Falle benötigte ich eine andere Person, die den Sachverhalt unabhängig kritisch prüft und ihn eventuell bestätigt. Zunächst erklärte sich über mehrere Stunden niemand bereit, dies zu tun, obwohl es sich um ein sicherheitsrelevantes Problem (Glossar) handelte und Zeitdruck vorhanden war. Daraufhin hörte ich nach stundenlanger Diskussion darüber das „Argument“: „Das wurde von einer externen Firma gemacht, das kann nicht falsch sein".

An diesem Argument kann man die unterschiedliche Interpretierbarkeit von Fakten darstellen: Dieses Pseudoargument (Wer diese Arbeit ausgeführt hat, spielt für die korrekte Ausführung keine Rolle) stellt für den Sprecher der Beleg dar, alles richtig gemacht zu haben. Für mich hingegen bestätigte es, dass tatsächlich ein Fertigungsfehler vorlag: Denn ich wusste, dass diese Arbeit sehr komplex war. Und ich wusste auch, dass meine Firma extreme Kommunikationsprobleme hat und somit diesen Arbeitsgang einem Unterauftragnehmer niemals korrekt kommunizieren kann. Was aber für das Thema wichtig ist, dass das Gehirn versucht, Vorurteile „mit Gewalt“ aufrecht zu erhalten und eigene Fehler zu vermeiden, obwohl sie vorhanden sind.

Mit welcher Vehemenz das Gehirn dies macht, mag folgendes Beispiel verdeutlichen: Ein Freund berichtete, dass es in seiner Firma immer Probleme mit elektrischen Signalen der Sensoren gäbe, die letztendlich die Leistungsabgabe dieser Maschine regeln. Gleichzeitig erklärte er mir, dass die Sache eindeutig ist: Es wurden diese Signalleitungen direkt neben Kabeln verlegt, die mehrere 100 Ampere Strom führen und die mit Frequenzen bis zu einigen Kilohertz „gepulst“ sind. Und da diese Ströme immer den elektrischen und elektromagnetischen Gesetzmäßigkeiten folgen, stören die Pulse mit ihren elektrischen Feldern die Signale in den Leitungen. Dies führte dann dazu, dass die Regelung der Maschinen nicht korrekt funktionierte. Dummerweise hatte genau er auch immer die Beschwerden des Servicepersonals auf dem Tisch. Er hatte seine Theorie, warum die Maschinen diese häufig nicht reproduzierbaren Fehler zeigten, an seine Vorgesetzten weitergeleitet. Diese reagierten nicht und ignorierten seine Lösungsvorschläge. Bis externe technische Berater kamen, die dieses Problem erkannten: die Starkstromleitungen wurden von den Signalleitungen räumlich getrennt und die Signalleitungen wurden alle abgeschirmt (Glossar) ausgeführt. Damit waren die Probleme gelöst11 .

Für jeden Nichttechniker, der dies liest, wäre die „normale“ Vorgehensweise klar: Man könnte bei den Anlagen, bei denen das Problem häufig auftritt, testen, ob die Probleme durch die vorgeschlagene Lösung beseitigt werden. Die involvierten Personen konnten dies jedoch offensichtlich nicht; sie hätten nämlich zugeben müssen, dass sie Basiskenntnisse einfach nicht besitzen. Und deshalb werden Argumente dieser Art ignoriert. Das Schlimme daran ist, dass Gehirne so programmiert sind, dass sie die plausible Lösung komplett blockieren. Zum Wohle der Sache fordert man offensichtlich am besten das Gegenteil der plausiblen Lösung: in diesem Falle will das Gehirn der anderen involvierten Personen zeigen, dass man Unrecht hat und wählt so die korrekte Lösung.

Der Autor möchte hier aber davor warnen, dass man die geschehenen Ereignisse liest und sich denkt, wie dumm „die Anderen“ sind. Wenn man die Betrachtung von außen hat, so fällt es relativ leicht, sich ein Urteil zu bilden und neutral zu entscheiden. Im konkreten Falle ist man jedoch Bestandteil dieses Ereignisses und es fällt ungleich schwerer, sich ein halbwegs neutrales Urteil zu bilden.

Ein Bekannter erzählte mir, dass sein Kollege an der Universität völlig rücksichtslos handelte. Als er sich über diesen beschwerte, hörte er als Gegenargument: "Der kennt doch den Dohnanyi" (Klaus von Dohnanyi war ein Politiker in Hamburg). Hier wird die Dissonanz darüber ausgelöst, dass jemand obrigkeitshörig ist. Dadurch wird dessen Wirklichkeit so geändert, dass sie davon ausgehen, dass Personen, die Prominente kennen, immer alles korrekt machen.

Ein weiteres Beispiel: In einer Firma sollte ein neues technisches Gerät entworfen und gebaut werden. Es war so, dass das Projekt viel zu eng terminiert war12 . Der „Wasserkopf“ war groß und aus Amerika bekam man etwa alle 14 Tage eine Mail, dass es einen neuen Geschäftsführer („CEO“) gäbe. Ein Kollege berichtete, dass Samstags die Firma für die externen Mitarbeiter eher einem Internetcafé denn einem Engineering13 glich. Fachlich bekam man einige totale Desaster mit. Beispielsweise wurden große Aluminiumstrukturen in Containern über den Atlantik geschickt und es wurde vergessen, die Entfeuchter zu öffnen; das Aluminium war dann durch das Salzwasser so korrodiert, dass man mehrere Millionen DM wegwerfen musste. Oder der Vorstand beschloss etwas, das Millionen kostete und zuletzt in Gerichtsverfahren endete, die dann wieder einen Millionenbetrag verschlangen. Viele Angestellte waren quasi beliebig hoch bezahlt. Diese warnten natürlich nicht. Zudem bekommt man als Angestellter nicht alle Desaster erzählt, da Vorstände diese nicht breittreten. Es gab sicher mehr davon. So weit die Fakten.

Ich warnte, dass „die Firma pleite geht, wenn die Führung so weitermacht“. Jedem Mitarbeiter meiner Abteilung waren obige Millionendesaster bekannt. Das Gegenargument lautete: „Wir haben doch den Bayerischen Staat als Bürgen, da kann nichts schief gehen“. Die Historie dieser Firma zeigt, welche Argumente valide waren - im Jahre 2002 war sie insolvent. Irgendwann kommt dann der „plötzliche Zeitpunkt“. Dann bekam man von der Belegschaft zu hören, dass „wir doch noch übernommen werden“. Auch hier nutzte die „Rosa Brille“ nichts, die Firma wurde zerschlagen. Interessanterweise haben sich die Kollegen nicht einmal während der Insolvenzphase um einen neuen Arbeitsplatz gekümmert; auch nicht im Ansatz. Als ich diesen empfahl, sich doch um eine Alternativlösung zu kümmern, wurde ich als Störfaktor empfunden.

Daraus lernt man, dass Dinge nicht existieren, die man sich nicht vorstellen kann. Sie werden vom Gehirn komplett „ausgeblendet“. Es heißt ja auch: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“. Die meisten Gehirne gehen in eine „Streikposition“, wenn es darum geht, bedrohliche Konsequenzen (relativ) neutral zu bewerten.

Ein Kollege, Elektrotechniker, fuhr gerne Fahrrad und präsentierte seinen Naben-Dynamo. Er fand diesen toll und argumentierte: „Ich spüre auch gar nicht, wenn er angeschaltet ist“. Für ihn war das ein Zeichen dafür, dass er gut ist. Eigentlich ist dies aber nicht möglich, denn wenn man Energie entzieht, muss man sie an einer anderen Stelle aufbringen. Der Energiesatz ist auch für einen Elektrotechniker uneingeschränkt gültig. Mein Kollege hatte sich offensichtlich ein „Perpetuum Mobile“ an sein Fahrrad gebaut. Eine Internetrecherche brachte Klarheit: Er konnte tatsächlich nicht spüren, wenn der Dynamo eingeschaltet ist: er hatte im ausgeschalteten Zustand nämlich nahezu denselben Widerstand wie im eingeschalteten. Die kognitive Dissonanz wirkt sich hier positiv aus, mein Kollege war glücklich.

Auch hört man häufig, wenn man einen Gegenstand kritisiert, das Argument: „Das ist doch patentiert“. Dies sagt überhaupt nichts aus und ist ein „Pseudoargument“ - ich möchte nicht wissen, wie viele Dinge patentiert sind, die überhaupt nicht funktionieren oder ein Perpetuum Mobile darstellen.

Viele haben sich in den letzten Jahren eine kleine Kompakt-Digitalkamera gekauft. Diese bekommen immer mehr „Megapixel“. Die Bilder werden immer besser, da sie größer werden - das ist Fortschritt, oder?

Die Physik „sagt“ aber: Viel mehr Megapixel als 6(!) sind bei den kleinen Bildsensoren von ca. 5 x 6 mm (es betrifft nur die kleinen Sensoren) nicht sinnvoll – bei blauer Farbe mit kürzerer Wellenlänge mag das Optimum vielleicht bei 8 oder 9 Megapixel liegen. Ist der Abstand der Pixel zu klein, schlägt sozusagen die Physik zu. Im Physikunterricht lernte man diesen Sachverhalt beim „Doppelspaltexperiment“, um zu zeigen, dass Licht auch „Wellencharakter“ hat. Und wenn die Spalte bzw. Pixel sehr dicht stehen, taucht dieses Wellenmuster bzw. Artefakte auf, das man in einer Kamera glätten muss.

Hier suggerieren die Hersteller einen Vorteil vor der Konkurrenz. Der Kunde wünscht es dann so und denkt, er/sie bekäme bessere Bilder. Und jeder ist glücklich mit der neuen 18 Megapixel-Kamera, weil sie besser ist als die alte mit 10. Das Gehirn schließt ganz logisch, dass „18“ besser als „10“ ist. Die Bilder sind aber nicht besser, sondern lediglich vom Speicherbedarf größer. Leider kann man gar keine dieser Kameras mit weniger als 12 Megapixel mehr kaufen. Der Markt geht vor der Qualität und diesem muss man sich beugen. Und die Computerindustrie ist begeistert, da die Festplatten zum Überlaufen gebracht werden können. Das System funktioniert.

Ein im Allgemeinen gutes Instrument, die kognitive Dissonanz zu überwinden, stellen in meinen Augen Bilder dar. Deshalb empfehle ich beispielsweise Fehlerdokumentation von Programmen mit Screenshoots (Bildschirmfotografien) und mit markierten Fehlern. Bilder kann man nicht einfach wegdiskutieren – sollte man denken.

Aber selbst eindeutige Bildinhalte können über die kognitive Dissonanz ignoriert werden: Doppelseitige Klebebänder lösten sich wegen eines Verarbeitungsfehlers an einer der beiden Klebeflächen. Mehrere Fotos sandte ich zur Dokumentation dem Hersteller des Artikels. Dieser bestritt den Sachverhalt vehement, obwohl eindeutig zu erkennen war, dass sich die Verklebung des Herstellers löste und nicht die Verklebung, mit der das Produkt angebracht worden war. Der Mann war sich einfach sicher, dass sein Produkt perfekt sei. Da ich auf das Produkt angewiesen war, überredete ich den Hersteller des Klebebandes, dass dieser versucht, den Hersteller des Produktes telefonisch zur Vernunft zu bringen. Aber nach einer halben Stunde kam sein verzweifelter Rückruf, in dem er sagte: „Dem Mann ist einfach nicht zu helfen“. Da ich dann gezwungen war, eine andere Lösung zu suchen, hatte sich der Hersteller des Produktes mit dieser Ignoranz übrigens selbst stark geschadet.

Ein weiteres Beispiel findet man bei der Firma Siemens. Hier gab es den Vorstand Löscher, der Ende Juli 2013 entlassen wurde. Wenn man das Internet nach diesem durchforstet, findet man, dass er an der TU München einen „Lehrstuhl für Wirtschaftsethik“ eröffnet/finanziert hat. Anfang des Jahres 2013 machte er öffentlich die Bemerkung, dass man 1800 Personen entlassen müsse, um wieder auf die 12 % Rendite zu bekommen. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass man, um Aktionäre zufrieden zu stellen, die Entlassung von fast 2000 Arbeitern als ethisch ansieht. In jedem Falle sehen Gehirne von Vorständen keinen Widerspruch in der Finanzierung eines Lehrstuhles für Wirtschaftsethik und der gleichzeitigen Entlassung von mehreren tausend Personen, um irgendwelche Zahlen zu erreichen. Auch dies ist kognitive Dissonanz. Man findet sie überall.

Wer kennt es nicht, das Mäzenatentum der Unternehmer und Großindustrie? Hier haben wir Personen, die für kulturelle Zwecke oder auch als Mitglieder von Wohltätigkeitsvereinen wie beispielsweise dem Lions-Club Geld für Randgruppen spenden. Gleichzeitig werden aber die Angestellten der eigenen Firmen bisweilen schlecht oder sogar miserabel bezahlt.

Bei dieser Logik kann man in einigen Fällen noch weiter gehen: Die Bezahlung ist teilweise so schlecht, dass für die Wohnungsmiete die Sozialkasse, also die Allgemeinheit, in Anspruch genommen werden muss. Gleichzeitig beklagen sich dieselben Unternehmer, die niedrige Löhne bezahlen, dass die Lohnnebenkosten zu hoch seien. So hat man (wieder einmal) einseitige Informationen.

Spenden haben einen großen psychologischen Vorteil gegenüber einem leistungsgerechten Gehalt der Mitarbeiter: Zunächst genießen die Firmeninhaber in der Gesellschaft ein hohes Ansehen. Wer kennt die Veranstaltungen nicht, in denen sich Leute in Anzug und Schlips gegenseitig öffentlich auf die Schultern klopfen, um sich gegenseitig Großzügigkeit zu bescheinigen? Auch hier ist die Kognitive Dissonanz zugegen: Es handelt sich hier um ein „freikaufen“ von den eigentlichen Pflichten als Arbeitgeber, denn Eigentum verpflichtet – wie es in der Verfassung festgelegt ist (Artikel 14). Dies ist somit eine Muss- und mitnichten eine Soll-Bestimmung. Weiterhin erregen Spenden ein viel größeres gesellschaftliches Aufsehen als eine leistungsgerechte Bezahlung der Mitarbeiter. Und zuletzt ist es so, dass unterbezahlte Angestellte gegen die unkritische Meinung der Mehrheit der Gesellschaft keine Chance haben, da die Gesellschaft zunächst die Spenden sieht und dies als primäre Information bekommt. Wenn sich dann Leute über ihr niedriges Gehalt beschweren, wird natürlich zuerst argumentiert: „Der ist doch so wohltätig, das kann doch gar nicht sein“. Und so haben sie wiederum über die perfekt erzeugte Kognitive Dissonanz der Gesellschaft keine Chance. Ein perfides System.

Der Beweis, dass ich mit obigen Behauptungen zumindest nicht ganz unrecht habe, kann leicht erbracht werden: Man stelle sich vor, man spendet wirklich (nur) für eine Sache, die einem „am Herzen liegt“: Warum muss in diesem Falle der Name des Spenders veröffentlicht und über alle Medien breitgetreten werden? Ehrliche Spenden, mit denen man nicht die Absicht hat, sich freizukaufen, sind nun einmal anonym. Gott sei Dank gibt es solche Leute auch.

Auch die Projektplanung in Firmen hat sich grundsätzlich dieser Rosa-Brillen-Politik zu unterwerfen. Selbst bei firmenkritischen Problemen, bei denen Millionen auf dem Spiel stehen, gibt es genau eine Lösung beziehungsweise eine Vorgehensweise. Eine „Parachute“- Lösung (Parachute = Fallschirm) wird nie geplant, weil man immer davon ausgeht, dass alles funktioniert. Was alleine aus der Betrachtung fragwürdig ist, dass es vorher schief gegangen ist. Aber für Alternativlösungen gibt es kein Geld. Funktioniert nur ein Teil dieser Lösung nicht, riskiert man die Firma. Aber Hauptsache ist, dass man Geld spart.

Der Druck ist extrem.

Ingenieure - Status und Perspektiven

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