Читать книгу Paulusstudien - Friedrich W. Horn - Страница 31

1 Einleitung

Оглавление

Die jüngere Paulus-Forschung hat die Interdependenz von BiographieBiographie und Theologie betont und über deren möglichst präzise Wahrnehmung einen neuen Zugang zu Paulus gesucht.1 Hier ist etwa zu erinnern an etliche Arbeiten zum vorchristlichen PaulusTod des Paulus, die sich um eine detailreiche Verortung der jüdischen Existenz des Apostels und ihrer bleibenden Bedeutung für die christliche Theologie bemühen.2 Es ist zu verweisen auf Untersuchungen über die Anfänge der apostolischen Wirksamkeit zwischen der Zeit in Damaskus und dem Wechsel nach Antiochia, in denen der Einfluss der frühchristlichen Theologie auf Paulus erarbeitet wird.3 Sodann liegen eine Reihe hervorragender Arbeiten zu den jeweiligen Stätten der paulinischen Missionsarbeit, ihren jeweiligen Bedingungen und Möglichkeiten vor.4 Schließlich nenne ich die Aufmerksamkeit für alle Fragen zur ChronologieChronologie des Paulus als Voraussetzung zum Verständnis der Theologie.5 Während aber bislang vornehmlich die Anfänge der paulinischen Wirksamkeit dieser Fragestellung, theologische Positionen von ihrem biographischen Hintergrund her zu erhellen, ausgesetzt wurden, werden Arbeiten zum Ende des Paulus auf einem entsprechenden Niveau vermisst.6

Dieser Sachverhalt ist nicht der Quellenlage anzulasten. Während für die Zeit des vorchristlichen Paulus und für die Zeit seiner Wirksamkeit vor der ersten Missionsreise nur wenige Quellen zur Verfügung stehen, wird das Ende des Paulus – der Tod des Paulus und die auf ihn hinführenden und ihn verursachenden Faktoren – in etlichen neutestamentlichen und frühchristlichen Texten angesprochen, zumindest aber reflektiert. Unter ihnen wiederum befinden sich mehrere Selbstzeugnisse des Paulus. Allerdings kulminieren hier die historischen und theologischen Probleme, die je für sich wohl öfters angesprochen worden sind, einer wirklich gründlichen Zusammenschau aber noch entbehren.

Nach Röm 15,22–33$Röm 15,22–33 tritt Paulus eine JerusalemreiseJerusalemreise an, die der Übergabe der in den heidenchristlichen Gemeinden gesammelten KollekteKollekte an die Jerusalemer Urgemeinde dient, jedoch mit der Befürchtung, diese Kollekte werde von der judenchristlichen Gemeinde nicht angenommen, und der Angst vor der Feindschaft der jüdischen Gemeinde. Der Bericht der Apostelgeschichte benennt wohl die Umstände, die nach der Ankunft in Jerusalem zur Festnahme des Paulus geführt haben, verschweigt dem Leser aber den Ausgang des langwierigen und in allen Sachfragen (Anklagegrund, Zuständigkeit der Behörden, Appellationsrecht) ungenau beschriebenen Prozesses gegen Paulus, obwohl im Handlungsgang der Apostelgeschichte bereits in Act 20,25 ein deutlicher Hinweis auf das Ende des Paulus gegeben worden ist. Dieses relativ offene Ende der Apostelgeschichte lässt Fragen aufkommen: Hat Paulus in Rom noch wirksam sein können? Hat er hier möglicherweise den Philemon-7 und Philipperbrief8 oder zumindest Teile dieses letzteren Schreibens und auch den 2. Timotheusbrief9 diktieren können? Ist 2 Tim 4,16f.$2Tim 4,16f., selbst wenn der Brief kein authentisches Schreiben des Paulus sein sollte, „ein uraltes Zeugnis für die Befreiung des P. aus seiner sonst bekannten römischen Gefangenschaft und eine erfolgreiche Wiederaufnahme seiner Missionsthätigkeit im Occident“10? Wie wäre der Philipperbrief aufzunehmen und auszulegen, wenn man ihn konsequent als Brief eines Gefangenen in Rom versteht, der mit der Möglichkeit des Todesurteils rechnen muss? Hat Paulus die römische Gefangenschaft verlassen können, wie Euseb, hist eccl II 22,2 $Euseb, hist eccl II 22,2 berichtet, um – mit Bezug auf 2 Tim – nochmals auf Missionsreise in den Osten oder aber nach Actus Vercellenses 1–3$Actus Vercellenses 1–311 und Canon Muratori 38$Canon Muratori 3812 hingegen eben nach Spanien13 zu gehen und im Anschluss an diese Reise in Rom bei einem zweiten Aufenthalt das Martyrium zu erleiden. Kann die Auskunft, Paulus sei mit seiner Predigt bis an die Grenze des Westens gelangt (1 Clem 5,5–7$1Clem 5,5–7)14, auf Spanien bezogen werden und aus welchem Wissen oder aus welcher Überlieferung leitet sich diese Notiz ab? Weshalb fehlen Berichte über diese Spanienmission? Was soll diesen zweiten Romaufenthalt motiviert haben, will Paulus doch nach Röm 15 Rom nur aufsuchen, um mit der Hilfe der römischen Gemeinde die Spanienmission antreten zu können?

Schließlich ist die Frage zu stellen: Hat es neben Act 21–28 einen weiteren Reflex in den neutestamentlichen Schriften über die Überführung des Paulus als Gefangener nach Rom gegeben? Martin Hengel hat vorgeschlagen, den Jakobusbrief als antipaulinische Polemik zu verstehen, genauer „als Rundschreiben an die außerhalb Palästinas liegenden, ganz überwiegend heidenchristlichen Gemeinden einige Zeit nach der Verhaftung des Paulus bzw. seiner Überführung als Angeklagter nach Rom zwischen 58 und 62“15. Die vorgeschlagene Frühdatierung des Jakobusbriefs und Zuweisung der Autorschaft an den Herrenbruder JakobusJakobus, der im Jahr 62 n. Chr. hingerichtet wurde (Jos, ant 20,197–203), erfreut sich gegenwärtig wieder etlicher Zustimmung, teilweise allerdings in Verbindung mit Sekretärshypothesen. Ob der Herrenbruder Jakobus in solch hohem Maße in einen Gegensatz zu Paulus gestellt werden darf, erscheint doch von den Aussagen der Act wie von denjenigen des Jak her problematisch. Nach der Quellenlage der Act einerseits sind es doch Jakobus und die bei ihm versammelten Ältesten, die Paulus vor einer judenchristlichen, deutlich antipaulinisch eingestellten Gruppierung warnen (Act 21,18–26). Für die Auslegung des Jakobusbriefs andererseits ist an das Votum des neuen Kommentars von Christoph Burchard zu erinnern: „die Mindermeinung wächst, daß Jak […] sich weder mit dem Apostel direkt oder in Gestalt von Paulusbriefen […] auseinandersetzt.“16

Solange die kritische Zusammenschau der Quellen, die den jeweiligen historischen, theologischen und literaturgeschichtlichen Aspekten Rechnung trägt, unterbleibt, gedeihen Spekulationen, die an den Texten oft einen geringen, gelegentlich aber auch keinen Anhalt haben. Überwiegend wird der Tod des Paulus in der Regierungszeit Neros angesetzt, ohne dies mit der neronischen Verfolgung der Christen und den bei Tacitus, ann XV 44, genannten Strafen zu verbinden. Die Paulusakten; Tertullian, praescr 36,3; Euseb, hist eccl II 25,5; dem ev III 5,65; Hippolyt, comm in Dan II 36 u.a. sprechen recht einmütig von der Enthauptung durch das Schwert als Todesart des Paulus.17

Hier ist auch die Überlieferung der römischen Gemeinde zu bedenken, in der allerdings eine Angleichung der Martyrien des Petrus und des Paulus aneinander stattgefunden hat.18 Aus der gegenwärtigen Forschung zähle ich zu den problematischen Mutmaßungen, Paulus sei als freier Mann nach Rom gereist.19 Hierfür muss der Apostelgeschichte-Bericht gegen seine Aussagen herhalten. Das Martyrium des Paulus in Rom wird häufig ohne präzise Verknüpfung mit den Konflikten, welche die paulinische Mission begleitet haben, und ohne Berücksichtigung der näheren Umstände, die zur Festnahme in Jerusalem geführt haben, betrachtet. Es wird sodann isoliert von dieser Vorgeschichte im Umkreis der neronischen Christenverfolgung angesiedelt.20 Häufig werden der „relativ offene Schluß der Apostelgeschichte“ und die Angaben erneuter missionarischer Wirksamkeit des Paulus in den Pastoralbriefen als Hinweise auf die Möglichkeit einer erfolgten SpanienmissionSpanienmission nach der Freilassung aus römischer Gefangenschaft betrachtet.21 Mit dieser Möglichkeit rechnen auch Martin Hengel und Anna Maria Schwemer, wenn sie in der beigefügten Zeittafel ihres gemeinsamen Werks auf die Romreise im Jahr 59/60 n. Chr. die Spanienreise im Jahr 62 n. Chr. (mit Fragezeichen versehen) folgen lassen und das Martyrium nach einer Rückkehr nach Rom im Jahr 64 n. Chr. ansetzen. 22 Deutlicher ist die Einleitung von Donald A. Carson u.a., die auf den ersten Rombesuch eine Mission im Osten und sodann eine erneute Verhaftung und Hinrichtung in der Zeit Neros annehmen.23 Schließlich bedarf das frühchristliche, außerneutestamentliche Quellenmaterial einer kritischen, aber unvoreingenommenen und gründlichen Sichtung.24

Paulusstudien

Подняться наверх