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1. Der Weg zur Methode literarkritischen Arbeitens

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Ich rufe nur in Erinnerung, dass Walter SchmithalsSchmithals, Walter bereits in der im Jahr 1954 vor der Theologischen Fakultät der Philipps-Universität in Marburg eingereichten Dissertation „Die Gnosis in Korinth“ die Einleitung der Korintherbriefe mit einer literarkritischen Analyse eröffnete: „Unverständlich ist jedoch, daß die Notwendigkeit einer literarkritischen Analyse der Korr. überhaupt noch immer weiterhin bestritten wird […] Ihr Erfordernis kann aber nur in Abrede gestellt werden, wenn man darauf verzichtet, die Briefe wirklich als Briefe zu werten.“1 In den Nachträgen zu den weiteren Auflagen dieses Werkes hält Walter Schmithals den Kritikern entgegen: „Die beachtlichen Differenzen in den verschiedenen Analysen dürfen nicht zu dem Schluß führen, dadurch widerlegten die Analytiker selbst die Möglichkeit oder Notwendigkeit einer literarkritischen Analyse der Briefe […]“2 Auch die Habilitationsschrift ist der literarkritischen Methode verpflichtet, verbindet sie aber gleichzeitig und für die Folgezeit durchgehend3 mit der Frage nach der Gestalt der ältesten Sammlung von Paulus-Briefen: „Das Vorhandensein der Briefkompositionen im Korpus Paulinum erklärt sich hinreichend nur, wenn man in dem Redaktor zugleich den Herausgeber der ersten Sammlung sieht, der wesentlich durch die Erfordernisse dieser seiner Sammlung von 7 Briefen zu den Kompositionen insgesamt bestimmt wurde, so daß diese Kompositionen alle von der gleichen Hand stammen.“4 Die Situation der einzelnen Briefe und ihr Ursprungsort, die Zeit und die Situation der Hauptsammlung und ihres Redaktors sind also stets im Blick zu behalten.

In den folgenden Jahren wurden von Walter Schmithals mehrere Monographien und Aufsätze vorgelegt, in denen literarkritische Entscheidungen zur sachgemäßen Beantwortung theologischer Fragen vor allem zu den Korintherbriefen5 und zum Römerbrief6 einen wesentlichen Stellenwert einnahmen, aber auch andere Briefe, wie zuletzt den Kolosserbrief7, einbezogen. Jedoch sind literarkritische Entscheidungen auch für die Rekonstruktion des Verhältnisses von Neuem Testament und Gnosis unerlässlich.8 In dieser Frage scheute sich der Jubilar nicht, an der eigenen zurückliegenden Forschung auch größere Korrekturen anzubringen9, ohne jedoch grundsätzlich die literarkritische Methode in Frage zu stellen.

Auch ist Walter Schmithals sich in einleitungswissenschaftlichen Entscheidungen, die in Verbindung mit literarkritischen Fragen stehen, treu geblieben. Die paulinische Briefkorrespondenz mit der Gemeinde in Thessalonich ist aus beiden Thessalonicherbriefen zu rekonstruieren, da die apostolische Verfasserschaft für beide Briefe reklamiert und ihre Abfassung für den Zeitraum der sog. 3. Missionsreise angenommen wird.10 Diese von der vergangenen und gegenwärtigen Forschung mehrheitlich nicht geteilte These wird in Einzelheiten an späterer Stelle modifiziert, aber gegenüber der einleitungswissenschaftlich dominierenden Annahme einer frühen Abfassung des 1. Thessalonicherbriefs und einer pseudepigraphen Verfasserschaft des 2. Thessalonicherbriefs aufrechterhalten.11 Schließlich bildet die IrrlehrerIrrlehrerfrage von Anfang an einen wesentlichen Maßstab, literarkritische Urteile zu fällen, da eine Darstellung des Ablaufs der Ereignisse in den einzelnen Gemeinden Aktion und Reaktion zwischen dem Apostel und seinen Gegnern nachzeichnet, welche in der Korrespondenz ihren Niederschlag gefunden hat.12

Literarkritik ist also eine in den Jahrzehnten sich durchhaltende und für die exegetische Arbeit Walter Schmithals’ grundlegende Methode gewesen. Der Begriff Literarkritik ist in der alttestamentlichen Wissenschaft präziser eingeführt und auch forschungsgeschichtlich eindeutiger besetzt als in der neutestamentlichen Wissenschaft.13 Walter Schmithals ging, wenn ich sein wissenschaftliches Werk recht überschaue, im Rekurs auf Forschungsergebnisse des ausgehenden 19. Jh. und des beginnenden 20. Jh. von dem Tatbestand aus, dass die paulinischen Briefe vielfach mit der Annahme von TeilungshypotheseTeilungshypothesenn und GlosseGlossen analysiert worden sind. Methodisch argumentierten diese literarkritisch orientierten Forscher mit subjektiven, methodisch gelegentlich kaum nachvollziehbaren oder gar überprüfbaren Argumenten. Da textkritisch keine Originale dieser Briefe mehr vorhanden sind, diese sich vielmehr einer kirchlichen Sammlung verdanken, die jetzt insgesamt sieben Paulusbriefe umfasst, geht Walter Schmithals von dem für ihn sicheren Faktum einer Hauptsammlung aus und fragt von ihr aus zurück nach deren Vorlagen. Auch seine Rückfrage ist keineswegs frei von subjektiven Erwägungen14, sie versucht allerdings in grundsätzlicher Anlehnung an die durch Ferdinand Christian BaurBaur, Ferdinand Christian vermittelten Geschichtsperspektiven15, Literarkritik mit den Ereignissen der urchristlichen Geschichte eng zu verzahnen. In den jüngeren Studien sind die methodischen Fragen der Literarkritik weiter ausgearbeitet worden. Auf diese Beiträge soll im Folgenden ausführlicher eingegangen werden.

Zunächst allerdings sei ein kurzer Blick in die gegenwärtige neutestamentliche Forschung geworfen, um versuchsweise zu klären, wie die Literarkritik der neutestamentlichen Briefe behandelt wird. Die Lektüre neuerer Lehrbücher zeigt deutlich, dass die Literarkritik der paulinischen Briefe sowohl hinsichtlich der Briefteilungshypothesen als auch hinsichtlich der Annahme von Glossen gegenwärtig nicht angezeigt erscheint. Udo Schnelle widmet der Literarkritik der paulinischen Briefe einen kurzen Abschnitt, lehnt aber eine Teilungshypothese für jeden Brief ab.16 Martin Meiser referiert ausführlich Briefteilungshypothesen und bietet eine Kriteriologie ihrer Beurteilung. Mit Helmut Merklein sei zu fragen, ob „der zu teilende Text ohne die Annahme unterschiedlicher Situationen nicht oder nur sehr unzulänglich erklärt werden kann“.17 Zeichen der veränderten Perspektive ist sicher auch, dass Meiser zu jedem angesprochenen Paulusbrief abschließend etliche Vertreter der Einheitlichkeit nennt.18 Das Arbeitsbuch von Hans Conzelmann und Andreas Lindemann spricht TeilungshypothesenTeilungshypothesen mit Ausnahme derjenigen zum 2. Korintherbrief nur noch in Petitdruck und sehr knapp als Gegenstand der Forschungsgeschichte an19, Thomas Söding reduziert den Sachverhalt insgesamt auf eine einzige knappe Anmerkung.20 Die führenden Kommentare zum 1. Korintherbrief21 und zum Römerbrief22 gehen von der Integrität der Schreiben aus. Sogar der 2. Korintherbrief23 gewinnt wieder zunehmend Verfechter seiner Einheitlichkeit. Glossen werden in den paulinischen Briefen in geringem Maße noch anerkannt, wiewohl auch in dieser Hinsicht Meiser den Trend als rückläufig einstuft.24

Walter Schmithals hat seinen „Briefen des Paulus in ihrer ursprünglichen Form“ zwei Zitate von Johannes Weiß vorangestellt, deren erstes mit Nachdruck einen leicht vergessenen kanongeschichtlichen Sachverhalt in Erinnerung ruft. Ich zitiere es hier aus dem Original, einem kurzen Beitrag in den Theologischen Studien und Kritiken aus dem Jahr 1900: „Wir können uns nicht energisch genug mit dem Gedanken durchdringen, daß wir weit davon entfernt sind, irgendwie das Original Paulinischer Briefe zu besitzen. Wir haben nur ein Buch, welches im 2. Jahrhundert, meinetwegen auch schon früher, ‚herausgegeben‘ ist, ein Buch, in welchem sicher echte Paulinische Briefe, aber vielleicht doch auch wohl Pseudepigraphen aufgenommen sind.“25 Michael Theobald hat jüngst dieses Zitat gleichfalls aufgenommen und zugleich darauf hingewiesen, dass innerhalb der gegenwärtigen alttestamentlichen Exegese die Redaktion auf kanonischer Ebene bei der Analyse der einzelnen Teile mitbedacht wird, und Analoges sollte, so Theobald, auch beim Corpus Paulinum gelten.26

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