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III. Paulus als Begründer des Christentums

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Paulus ist nicht der Begründer des Christentums, wirkungsgeschichtlich jedoch ist das Christentum, jedenfalls in der Gestalt der großen abendländischen Kirchen, ohne Paulus, und hier vor allem ohne seinen Brief an die Römer, nicht zu denken.1 Hans Hübner hat es drastischer formuliert: „Ohne Paulus wäre das Christentum zunächst eine jüdische Minisekte geblieben, bald reif für den Kehrricht der Weltgeschichte“.2 An Paulus haben sich die Geister geschieden. Das JudenchristentumJudenchristentum des zweiten Jahrhunderts erkennt in ihm einen ApostatenApostat, einen Abgefallenen.3 Weil Markion Paulus schätzt, nennt Tertullian Paulus den haereticorum apostolus.4 Doch nicht nur bei Markion, der ausschließlich einen Kanon mit paulinischen Briefen und dem Lukasevangelium gelten ließ5, auch in der christlichen Gnosis der Nag Hammadi Codices aus Oberägypten begegnen Autoren in bewusster Paulustradition und mit bewusster Paulusrezeption.6 Wirkungsgeschichtlich ist nicht zu verkennen, dass die paulinischen Briefe für die sich ausbildende Kirche hinreichend Argumentationshilfen bereithielten, um sich vom Judentum zu distanzieren.

Die überragende Bedeutung, die Paulus für die Begründung der christlichen Religion zukommen sollte, ist engstens verknüpft mit der Ausbildung des neutestamentlichen KanonsKanon und hierbei wiederum mit der dominanten Stellung paulinischer Briefe gegenüber allen anderen apostolischen Dokumenten. Ab der zweiten Missionsreise begegnen uns in den Paulusbriefen eine Vielzahl von Namen, die so etwas wie einen engeren und weiteren MitarbeiterkreisMitarbeiterkreis wiedergeben.7 Gelegentlich zeichnen diese Mitarbeiter, wie etwa Timotheus und Silvanus, bereits im Präskript der Briefe als Mitverfasser. Hans Conzelmann hat von einer Schule des PaulusSchule des Paulus gesprochen, ohne dies näher auszuführen.8 Bereits eine Generation nach Paulus schreiben die Mitarbeiter oder Schüler Briefe an urchristliche Gemeinden oder an Privatpersonen im Namen des Paulus. Es sind dies pseudepigraphe Schreiben; aus ihnen spricht zunächst eine formale Bindung an Paulus, da in ihnen nicht einfach paulinische Theologie wiedergegeben wird. Paulus ist die maßgebliche Gestalt, die Autorität, und wer in seinem Namen schreibt, gewinnt Anteil an seiner Autorität. Zur gleichen Zeit verfasst LukasLukas, der gleichfalls zur weiteren Paulus-Schule gehört (Kol 4,14; 2 Tim 4,11), in weiten Teilen seiner Apostelgeschichte eine erste Paulus-Biographie, wenn auch nicht im streng literaturgeschichtlichen Sinn des Wortes. Die primäre Paulusrezeption scheint zunächst von der Person des Paulus bestimmt zu sein, nicht von seinen Schriften und der in ihnen festgehaltenen Theologie.

Wirkungsgeschichtlich bedeutsam ist der Befund, dass man in den urchristlichen Gemeinden recht früh begonnen hat, die BriefeBriefe des Paulus zu sammeln, auszutauschen und abzuschreiben. Sie ersetzen den Apostel während seiner Abwesenheit und werden in den Gemeindeversammlungen verlesen. Hinzu kommen noch Grußschreiben (Röm 16,1–23), Gemeindebriefe an den Apostel (1 Kor 7,1), Gemeinderundschreiben (Apg 15,23–29), Empfehlungsbriefe (2 Kor 3,1) u.a. Diese SammlungenBriefsammlungen bilden den Grundstock dessen, was einmal die Größe „Neues Testament“ werden soll. In den einzelnen Ortsgemeinden wird das Neue des christlichen Glaubens noch vor jeglicher dogmatischen, organisatorischen und institutionellen Verfestigung gesucht und gefunden im Lesen, im Austausch und in der Sammlung frühchristlicher Briefe. Frühe Sammlungen von Paulusbriefen werden für EphesusEphesus und RomRom vermutet, zunächst wohl als sog. Kleinsammlungen, in denen die großen Gemeindebriefe dominieren. Die Pastoralbriefe setzen bereits eine frühe Zusammenstellung der Paulusbriefe voraus und ergänzen sie in testamentarischer Absicht. Freilich ist der Prozess dieser Sammlung nur hypothetisch zu erschließen und die gegenwärtige Forschung bewegt sich hier in recht gegensätzlichen Positionen.9

Der Protestantismus hat ein besonders positives Verhältnis zu dem RömerbriefRömerbrief des Paulus, auch wenn dieses Schreiben nicht mehr das Paradebeispiel für Lehrstreitigkeiten zwischen protestantischer und römisch-katholischer Exegese darstellt. Philipp Melanchthon hat 1521 das erste große systematische Werk der Reformation verfasst, die „Loci communes“, die aus Vorlesungen über den Römerbrief entstanden sind. Die zentrale Botschaft des Römerbriefs, dass der Mensch allein im Glauben ohne Werke des Gesetzes gerechtfertigt wird (Röm 3,28; auch Gal 2,16), gab der reformatorischen Bewegung den Impetus und wurde zugleich ein Kanon im Kanon für die protestantische Schriftauslegung. Auch in der Folgezeit schärfte die Auslegung des Römerbriefs das kirchliche Selbstverständnis und setzte deutliche Neuakzentuierungen.10 Dieses Schreiben hat eine von seinem Verfasser nicht zu ahnende Wirkung und prägende Kraft auf christliche Theologie und Kirche gehabt, die noch längst nicht abgeschlossen ist. Sieht man einmal von den Bedingungen der Abfassungssituation dieses Schreibens ab, die man für seine Interpretation nicht überbewerten sollte, dann kommt dieser Brief einer grundsätzlichen Darlegung des christlichen Glaubens sehr nahe.11 Die gegenwärtige exegetische Beschäftigung mit Paulus und seinem Brief an die Römer steht unter den Leitworten „Paul and the new perspectivenew perspective on Paul“ oder „new approach“.12 Angloamerikanische Anfragen begegnen der vorwiegend lutherisch geprägten deutschen Paulus-Exegese und stellen vor allem deren anti-legalistische bzw. hamartiologische Interpretation massiv in Frage. Wenn mit Hermut Löhr abzuwarten bleibt, „wieweit sich in Folge solcher neuen Wahrnehmung eines nur allzu bekannten Textes dieser selbst wieder als ‚ökumenisches‘ Schreiben zu erweisen mag, das die Konfessionen sachlich näher zusammenzuführen vermag“13, dann wird auch die Ausgangsfrage, ob Paulus der Gründer des Christentums ist, zukünftig noch einmal gestellt und möglicherweise auch eindeutiger beantwortet werden können.

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