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2.2 Die Aufforderung zur Fürbitte und die Situation des Paulus

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Übergeordnet ist die Aufforderung an die römischen Christen, zusammen mit Paulus für ihn zu kämpfen vor Gott durch Gebete. Ulrich Wilckens nennt diese Bitte angesichts der Situation, in der Paulus sich befindet, einen kirchenpolitisch-diplomatischen Akt.1 Der Inhalt der Gebete soll sein, dass Paulus vor den Ungläubigen errettet und dass die Kollekte angenommen werde.2 Die Aufforderung zum Gebet wird begründet und motiviert διὰ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ καὶ διὰ τῆς ἀγάπης τοῦ πνεύματος. Dieser Satzteil hat in der Verbindung von stellvertretendem Gemeindegebet und Wissen um den Beistand des Geistes bzw. den Beistand Jesu Christi eine gewisse Nähe zu Phil 1,19$Phil 1,19. Paulus spricht hier die Erwartung aus, dass die Gefangenschaftssituation sich wenden wird zum Heil διὰ τῆς̤ ὑμῶν δεήσεως καὶ ἐπιχορηγίας τοῦ πνεύματος Ἰησοῦ Χριστοῦ. Auch ist an die Verbindung von Gemeindegebet, Gabe des Geistes und Freimut zum Zeugnis in Act 4,29–31 bzw. an den Beistand des Geistes bei den Bekennern vor feindlichen Behörden (Mk 13,11; Mt 10,20) und an die Errettung aus Todesnot durch das Gemeindegebet (2 Kor 1,10f.3) zu erinnern. Es scheint sich hierbei um einen relativ festen Motivbereich zu handeln, auf den im Angesicht äußerster Bedrängnis zurückgegriffen wird; in Phil 1,19 und 2 Kor 1,11 in Todesbedrängnis. In Phil 1,20–24 wird das erwartete Heil, die Christusgemeinschaft, durch den Tod, speziell wohl erst im Tod des Märtyrers, erreicht.4 Ob das Bewusstsein, die Jerusalemreise als MärtyrerreiseMärtyrerreise anzutreten, für Paulus in Röm 15,30f. vorauszusetzen ist, mag einstweilen noch offen bleiben. Der in Röm 15,30f. verwendete Motivbereich steht hierzu in großer Nähe und hält auf jeden Fall fest, dass diese Reise in die Situation äußerster Bedrohung führen wird.5

Es ist nun den beiden Gebetsinhalten nachzugehen, in denen die römische Gemeinde sich mit Paulus zusammenschließen soll. Möglicherweise kommt in der zuerst genannten Bitte, vor den Ungläubigen in Judäa gerettet zu werden, auch eine stärkere Gewichtung, d.h. eine deutlichere Sorge gegenüber der zweiten Bitte um die Annahme der Kollekte zum Ausdruck.6 In ihr thematisiert Paulus ja sein persönliches Schicksal angesichts der Reise nach Jerusalem, von Klaus Haacker mit einem „Himmelfahrtskommando“7 verglichen. Das Verb ῥύεσθαι wird von Paulus ausschließlich in solchen Zusammenhängen gebraucht, wo es, wie in Röm 15,31, um Errettung aus Todesgefahr (2 Kor 1,10; Röm 7,24; auch 2 Thess 3,2) oder um eschatologische Rettung (Röm 11,30; 1 Thess 1,10) geht. Dieses ῥύεσθαι ἀπὸ τῶν ἀπειθούντων bezieht sich auf die Juden (vgl. das Verb ἀπειθεῖν exklusiv in Bezug auf die Juden auch in Röm 10,21 [Jes 65,2LXX], 11,31; in Bezug auf Juden und Heiden in Röm 2,8; vgl. auch 11,32). Die lokale Bestimmung ἐν τῇ Ἰουδαίᾳ lässt zudem an keine andere Gruppe denken. Allerdings ist der Unterschied zu der zweiten lokalen Bestimmung in Röm 15,31 εἰς Ἰερουσαλήμ nicht zu missachten. Die Gegnerschaft in der jüdischen Gemeinde erstreckt sich auf ganz Judäa (solcher Sprachgebrauch in extensivem Sinn auch in Gal 1,22; 2 Kor 1,16; 1 Thess 2,14) und ist nicht auf Jerusalem begrenzt.

Was begründet diese Feindschaft? Haacker hat in der jüdischen Nachstellung, die in Act 20,3 erwähnt wird und die sodann zur Umstellung des Reisewegs nach Jerusalem führt, den konkreten Anlass für die Fürbitte in Röm 15,30f.$Röm 15,30f. gesehen.8 Doch ist nicht sicher, wie hoch der redaktionelle Anteil an der Verursachung der Änderung der Reiseroute durch jüdische Intervention ist.9 Daher wird man einen weiteren Kontext zu beachten haben. Paulus hat sich und seine Gemeinden mehrfach einer Feindschaft ausgesetzt gesehen, die von örtlichen Synagogen und wohl auch von den Gemeinden in Judäa und Jerusalem ausging: 2 Kor 11,26; Gal 6,12; Phil 3,2; 1 Thess 2,15; von Lukas in der Abschiedsrede Act 20,19 zentral verankert.10 Nach paulinischem Selbstzeugnis kursieren Gerüchte über seine Person in den christlichen Gemeinden in ganz Judäa: „Der uns früher verfolgte, der predigt jetzt den Glauben“ (Gal 1,23$Gal 1,23). Die Verbreitung solcher Personaltraditionen kann nicht auf den Kreis christlicher Gemeinden eingegrenzt werden, sondern wird ihn zu den jüdischen Synagogengemeinden hin überschritten haben. Eine Abgrenzung der christlichen zur jüdischen Gemeinde kann vor 70 n. Chr. ohnehin nur schwer vollzogen werden. Nach Act 21,21$Apg 21,21 bezieht sich der Herrenbruder Jakobus gleichfalls auf Gerüchte über Paulus, die nun etlichen tausend Juden, die zum Glauben gekommen und zugleich Eiferer für das Gesetz geblieben sind, zugetragen wurden: Paulus lehre alle Juden, die unter den Heiden wohnen, den Abfall von Mose und sage, sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden und auch nicht nach den Sitten leben.11 Hans Conzelmann hat bei der Auslegung von Act 21,21 m.E. mit Recht die jüdischen Vorwürfe wie folgt kommentiert: „[…] Paulus ist sich darüber im klaren: Röm 1531.“12

In der Interpretation dieser ersten Bitte liegt in dem neuen Kommentar von Haacker eine Verzerrung der Aussagen vor. Paulus bittet die römischen Christen, ihm in Gebeten zu Gott beizustehen, damit er vor den Juden gerettet wird. Des Weiteren legt Paulus in Röm 15,22–33 detaillierte Reisepläne dar. Dies schließt m.E. aus, dass Paulus, wie Haacker erwägt, mit der Reise nach Jerusalem „seine in 9,3$Röm 9,3 geäußerte Opferbereitschaft für Israel unter Beweis stellen wollte“13. Zudem sei historisch nicht auszuschließen, „daß Paulus mit seiner letzten Reise nach Jerusalem ein dortiges Martyrium bewußt in Kauf genommen, wenn nicht geradezu gesucht hat“14, was Haacker anschließend im Licht von Röm 9,3 als „Martyrium für Israel“15 interpretiert. Es ist nicht zu bestreiten, dass Paulus in Röm 9,3 seine Bereitschaft bekundet, in einer dem Sühnetod Christi vergleichbaren Handlung für sein Volk, ihm zugute, hingeopfert zu werden. Doch handelt es sich bei dem einleitenden ηὐχόμην wohl um einen Irrealis16, der nicht an eine beabsichtigte wirkliche Selbstopferung denken lässt.17 Vielmehr wird nach Zeller (Luther zitierend) der Irrealis so aufzunehmen sein: Unter dem Zeichen des höchsten Hasses gegen sich selbst macht Paulus die höchste Liebe zum anderen offenbar.18

Die zweite Bitte, es möge sein Dienst für Jerusalem von den Heiligen freundlich angenommen werden, lenkt nun den Blick von der jüdischen Gegnerschaft in Judäa hin zur judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem. Mit διακονία spricht Paulus die KollekteKollekte an, deren Einsammlung in den heidenchristlichen Gemeinden für die Urgemeinde, speziell wohl für die Armen (Gal 2,10; Röm 15,26) in ihr, er nach Gal 2,10$Gal 2,10 auf dem Apostelkonzil übernommen hatte. Ich übergehe hier die präzise Rekonstruktion des Kollektenwerks, wie es sich aus den paulinischen Aussagen und aus dem (relativen Negativ-)befund der Apostelgeschichte ergibt. Über den unmittelbaren Anlass der Kollekte herrscht in der Forschung keine Einigkeit. Denkbar ist ein rein wirtschaftlicher Ausgangspunkt, der mit der Verarmung der Jerusalemer Urgemeinde gegeben ist. Ich halte es für wahrscheinlich, dass es in der Frühzeit mehrere Unterstützungsaktionen für Jerusalem gegeben hat, die im Wesentlichen von Antiochia ausgingen.19 Als unmittelbarer Anlass für die Kollektenvereinbarung auf dem Apostelkonzil wird die Hungersnot in Palästina im Jahr 47/48 n. Chr. wie auch allgemeine Fürsorge für die Niedrigstehenden in der Urgemeinde genannt.20 Allerdings hält die Zeitform des Präsens in der Kollektenverpflichtung μόνον τῶν πτωχῶν ἵνα μνημονεύωμεν (Gal 2,10) fest, dass es sich keinesfalls um eine einmalige, sondern um eine fortwährende Aktion handeln soll. Freilich steht mit dem auf längere Zeit angelegten Werk die Kollekte auch unterschiedlichen Interpretationen offen. Paulus beschreibt sie in Röm 15,26–27 als einen gerechten Ausgleich auf der Basis einer gegenseitigen Schuldigkeit. Die Heidenchristen erhalten Anteil an den geistlichen Gütern der Judenchristen, diese wiederum Anteil an den materiellen Gütern der Heidenchristen.21 Welche Interpretation sich bei den Judenchristen in Jerusalem einstellte, entzieht sich unserer Kenntnis.22

Paulus erwähnt in Röm 15,26$Röm 15,26 ausschließlich die KollekteKollekte aus Makedonien und Achaia, über mögliche Gaben aus Galatien, die er nach 1 Kor 16,1 in einer Kollekte angeordnet hatte, schweigt er.23 Aber auch die Kollekte aus der Achaia und aus Makedonien scheint nicht reibungslos verlaufen zu sein. Nach einer ersten Anordnung muss Paulus in 1 Kor 16,1–4$1Kor 16,1–4 die Modalitäten der Kollekte erneut ansprechen und schließlich in 2 Kor 8–9$2Kor 8–9 dringlich den Abschluss anmahnen. Nach Röm 15,25 ist das Kollektenwerk jedoch abgeschlossen worden. Was begründet nun die Sorge, die Kollekte werde in Jerusalem möglicherweise abgelehnt werden? Weshalb scheint Paulus nach 2 Kor 9,3–5 plötzlich unter großem Zeitdruck zu stehen, da er eine Delegation zur Einsammlung vorausschickt? Kann man der Einschätzung von Betz folgen: „[…] es könnte mit der Eskalation der Spannungen in Jerusalem zusammenhängen. In Röm 15,30–31 scheint Paulus die Befürchtung zu äußern, daß es bereits zu spät sei, was tatsächlich der Fall war.“?24 Oder werden andere, nicht mit dem Kollektenwerk und auch nicht mit möglichen Spannungen im Urchristentum zusammenhängende Aspekte ausschlaggebend für die paulinische Sorge sein?

Haacker hat in seinem Kommentar zum Römerbrief, in dem er den kirchenpolitischen Ansatz einer Auslegung des Römerbriefs ins Allgemeinpolitische ausweiten möchte25, erneut auf den Beschluss der Aufständischen unter dem Tempelhauptmann Eleazar im Jahr 66 n. Chr. verwiesen, von Fremden keine Gaben oder Opfer mehr für den Jerusalemer TempelTempel anzunehmen. Haacker vermutet: „[…] diesem Beschluß müssen längere Diskussionen vorausgegangen sein, von denen auch Paulus Kenntnis haben konnte, und er scheint nicht auszuschließen, daß die Gemeinde in Jerusalem die Spenden der Heidenchristen ausschlagen könnte, sei es aus Rücksicht auf die Stimmung in der Bevölkerung oder sogar unter dem Einfluß dieser Abgrenzungsparolen.“26

Die von Haacker angesprochene Situation soll kurz beleuchtet werden.27 Nach Jos, bell 2,408f. überredet der Tempelhauptmann Eleazar, Sohn des Hohenpriesters Ananias, nachdem die Aufständischen die von den Römern besetzte Burg Masada eingenommen haben, die im Tempel diensttuenden Hohenpriester, sie sollten von Nichtjuden keine Gaben oder Opfer mehr annehmen (μηδενὸς ἀλλοτρίου δῶρον ἢ θυσίαν προσδέχεσθαι). Josephus wertet im Rückblick dieses Ereignis als Auslöser des Kriegs gegen die Römer. Obwohl sich nach 2,411 die einflussreichsten Bürger mit den Hohenpriestern und den bedeutenden Pharisäern für die Beibehaltung der seit Langem überkommenen Praxis, Geld für den Tempelbau und Weihegeschenke von Nichtjuden anzunehmen (2,413), aussprechen, gelingt es den Aufständischen, die neue Ordnung durchzusetzen. Dies muss ein sehr provokativer Akt gewesen sein.28 Einerseits, weil der sich widersetzende Teil der Jerusalemer je eine Gesandtschaft an Florus und an Agrippa schickt mit der Bitte, den Aufstand niederzuschlagen. Andererseits kann das jüdische Volk auf eine lange Tradition heidnischer Unterstützung zurückblicken: Jos, ant 18,81f. (jüdische Missionare werben bei Heiden um Spenden für Jerusalem); Esr 1,4; 6,8–10; 7,15–22; 2 Makk 3,2 etc.29

Die Vermutung Haackers hat in dieser Zuspitzung m.E. wenig Plausibilität. Auch wenn dem Beschluss der Aufständischen möglicherweise längere Diskussionen vorausgingen30, würden sie über zehn Jahre, also bis in die Zeit der Abfassung des Römerbriefs, zurückreichen? Weshalb hält Paulus an der Sammlung der KollekteKollekte fest, wenn er, wie Haacker vermutet, Kenntnis von dem Beschluss der Aufständischen hatte? Woher weiß Haacker, dass die Jerusalemer Gemeinde, wenn sie die Spenden ausschlägt, gegebenenfalls schon unter dem Einfluss derjenigen Zeloten steht, die doch erst zehn Jahre später einen klaren Beschluss fassen? Das ganze KollektenwerkKollektenreise und die Abmachung auf dem Konvent werden unverständlich, wenn die Vorbehalte gegenüber heidnischen Geldern schon Jahrzehnte vor Ausbruch des Aufstandes im allgemeinen Bewusstsein waren. Überhaupt wird deutlicher zu unterscheiden sein zwischen heidnischem Geld für den Jerusalemer TempelTempel (kultischer Aspekt) und heidnischem Geld für Bedürftige unter den Jerusalemer Judenchristen (sozialer Aspekt).31

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