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Staatengründungen südlich der Sahara

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Forschungen der historischen Archäologie

Schon für die Kolonialzeit haben Ethnologen auf die vielen, vormals in ganz Afrika zu beobachtenden Königtümer hingewiesen, die so zahlreiche gemeinsame sakrale Züge aufweisen, dass ein einheitlicher Ursprung anzunehmen sei. Sie gingen davon aus, dass fremde Eroberer diese komplexen und in vieler Beziehung dysfunktionalen Staatsformen nach Afrika einführten. Bei Historikern der Nachkolonialzeit gerieten die Ergebnisse ethnologischer Feldforschungen weitgehend in Vergessenheit. Ihre seit einigen Jahrzehnten zu beobachtende Hinwendung zu den erzählenden Quellen brachten zwar vielerlei Fortschritte, aber der zu enge Schriftquellenbezug, Hyperkritik gegenüber den mündlichen Überlieferungen und die Vernachlässigung ethnologischer Überreste haben den Forschungen zur Geschichte der Staatenbildungen südlich der Sahara erheblich geschadet. Intensive Forschungen der historischen Archäologie haben dagegen in den letzten Jahren wesentlich zu unserer Kenntnis über das plötzliche Auftreten der sozialen Komplexität im subsaharanischen Afrika beigetragen. Besonders im Tschadseegebiet verdichten sich die Hinweise, dass wichtige Neuerungen, wie der Städtebau und die landwirtschaftliche Vorratshaltung, sowie die Technologien der Kupfer-, Bronze- und Eisenherstellung mehr oder weniger gleichzeitig schon zur Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. auftraten. In die gleiche Zeit fällt auch der Aufstieg des saharanischen Oasenstaates der Garamanten und der Nok-Kultur im nigerianischen Middle Belt. Weiterhin gelang es Archäologen, für weite Teile des sahelischen Westafrika eine Umbruchphase in der Mitte des 1. Jahrtausends aufzudecken, für die es keine offenkundige klimatische Erklärung gibt. Offensichtlich legen diese gleichzeitigen Veränderungen Zeugnis von historischen Vorgängen ab, die im Zusammenhang mit der Verbreitung bedeutsamer Innovationen im subsaharanischen Afrika stehen.

Sporadischer Handel in der Antike

Es besteht vielfach die Ansicht, dass die wichtigsten Impulse für Entwicklungen südlich der Sahara vom überregionalen Handel ausgingen. Doch weder die hauptsächlich aus Ägypten stammenden ikonographisch bezeugten schwarzafrikanischen Sklaven der Mittelmeerwelt noch die Ausfuhr von Gold, das seit dem 4. Jahrhundert in Karthago und der Kyrenaika für die Prägung von Goldmünzen benutzt wurde, noch die seltenen Expeditionen römischer Händler zum Erwerb exotischer Tiere lassen auf einen aktiven, lukrativen und kontinuierlichen transsaharanischen Handel in der Antike schließen. Wenn jetzt die archäologische Forschung den plötzlichen Beginn der Eisenzeit ab der Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. in der ganzen Breite des Sahel nachweisen kann, dann sind die Anstöße für diese Entwicklung gewiss nicht auf die sprunghafte Intensivierung des lokalen oder überregionalen Handels zurückzuführen.

Nationallegende der Hausa – Migrationen

Schon die ältesten arabischen Autoren erwähnen umfangreiche Migrationen aus Babylon, die zur Bildung von Königreichen in Afrika führten. So berichtet al-Ya‘qubi im 9. Jahrhundert von einer Abwanderung der Nachkommen Hams, Sohn des Noah, aus Babylon nach West- und Ostafrika, wo sie die großen Staaten gegründet hätten. Da diese Nachrichten auf den biblischen Ham zurückgehen und damit die Hamiten-These zu bestätigen scheinen, betrachtet man sie mit Skepsis. Sie entsprechen jedoch dem biblisch geprägten Geschichtsschema, dem einzigen, das den arabischen Historikern zur Deutung der von Händlern übermittelten Nachrichten zur Verfügung stand. Zudem finden sie eine weitgehende Bestätigung in den heutigen mündlichen Überlieferungen großer Völker der Sahelzone. Nach der Nationallegende der Hausa, die in den staatlichen Institutionen der kulturellen Hauptstadt Daura fest eingebettet ist, wanderten die Vorfahren der Hausa aus Palästina ein, unterwarfen die lokalen Azna und integrierten diese beinahe gleichberechtigt in ihre Stadt- und Staatskultur. In Kebbi, dem westlichsten Hausaland, lässt die Kanta-Legende, die als lokale Anpassung der Geburtslegende des Sargon von Akkade anzusehen ist, einen Ursprung der eingewanderten Vorfahren in Mesopotamien vermuten. Die Ursprungslegende der Yoruba verwebt unter Verweis auf eine Wanderung aus Mekka Elemente der israelitischen und assyrischen Geschichte so authentisch miteinander, dass an einer Einwanderung aus dem Vorderen Orient kaum zu zweifeln ist. Letztlich ist noch auf die Königin-von-Saba-Legende Äthiopiens hinzuweisen, die eine Abwanderung der Vorfahren aus Israel erwähnt. Ihre Festschreibung in der vormaligen Konstitution des Kaiserreiches und die Existenz der schwarzen Falascha-Juden verleihen dieser Angabe erheblichen Nachdruck. Besonders aussagekräftig in Bezug auf Migrationen aus dem alten Vorderen Orient sind arabische Schriftquellen des Tschadseegebietes, deren wertvoller Informationsgehalt kaum anders als durch die Fortführung einer älteren – vermutlich aramäischen – Schrifttradition zu erklären ist. Nach den Königslisten der ältesten, bis heute fortbestehenden Staaten dieses Gebietes zu urteilen, versuchten Chronisten der Einwanderer unabhängig voneinander mit Hilfe von Königsnamen und vereinzelten Herrschertiteln eine Idee der Abwanderung aus Syrien-Palästina und der Ansiedlung im Zentralsudan zu vermitteln. Mit ihren sorgfältig zusammengestellten Königsnamen bieten sie in der Tat einen Abriss der altorientalischen Geschichte bis zum Ende des Assyrischen Reiches, datieren die Abwanderung auf die Zeit des letzten assyrischen Herrschers und liefern Hinweise auf die nahöstlichen ethnischen Gruppen, die an den Staatsgründungen in Afrika beteiligt waren.

Das assyrische Weltreich

Im Hinblick auf die weitreichenden Folgen des Zusammenbruchs Assyriens für die Entwicklungen in Afrika ist es unerlässlich, auf einige Details der Geschichte des assyrischen Weltreiches einzugehen. Von der Mitte des 8. bis zur zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts v. Chr. herrschte Assyrien über das gesamte Gebiet zwischen dem Zagros-Gebirge in Persien, der levantinischen Küste des Mittelmeeres und zeitweilig Ägypten. Zum Ausgleich für die eigene demographische Schwäche praktizierten seine Herrscher eine Politik intensiver Zwangsumsiedlungen, die zu einem Bevölkerungsaustausch zwischen den Ost- und West- sowie Nord- und Südprovinzen führte. Das Reich zerfiel unter dem vereinten Ansturm der Babylonier oder Meder aus dem Süden und dem Osten. Da sie als Vertreter der assyrischen Unterdrücker galten, waren I die Deportierten beziehungsweise deren Nachkommen den Racheakten der einheimischen Bevölkerung ausgesetzt. Auf Grund der assyrischen Allianz mit dem Pharao blieb den unterlegenden Gruppen als Ausweg vor den aus dem Osten vorrückenden Babyloniern und den Angriffen ihrer lokalen Widersacher hauptsächlich der Rückzug über Ägypten ins subsaharanische Afrika. So oder so ähnlich hat man sich wohl auf der Grundlage afrikanischer und arabischer Zeugnisse die Völkerwanderungen vorzustellen, die um 600 v. Chr. das Gesicht Afrikas entscheidend veränderten. Wesentliche Elemente der sozialen Komplexität scheinen auf die assyrisch geprägten Einwanderer zurückzugehen: die Staatengründungen, der Städtebau, die Technologie der Eisen- und Bronzeherstellung, die Pferdezucht und die landwirtschaftliche Vorratshaltung.

Bantu-Wanderung

Im tropischen Afrika zeugen mündliche Überlieferungen, institutionelle und sprachliche Indizien der Bantu-Königreiche von bedeutenden Außeneinwirkungen. Vieles spricht in der Tat dafür, dass die gewaltsamen Vorstöße der nahöstlichen Einwanderer während des Umbruchs zur Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. nicht nur zu den Staatengründungen des Sahelgebietes, sondern auch zu Fluchtbewegungen weiterer Völker nach Süden führten. Man muss sich deshalb fragen, ob die von den Invasoren hervorgerufenen Turbulenzen letztlich nicht auch die gewaltige Völkerwanderung der Bantu auslösten, die in dem Gebiet zwischen dem Benue und dem Kamerunberg ihren Ausgang nahm und deren Ausläufer in späterer Zeit das gesamte tropische und südliche Afrika erfassten.

Staatsformationen in Westafrika

Eine Besonderheit der westafrikanischen Staatengründungen bestand in deren Bikephalität, die dem Sufetentum Phönikiens und Nordafrikas ähnelte. Im Rahmen dieser aufoktroyierten Staatsform gelang es den indigenen Halbnomaden nach einiger Zeit, einen der beiden Pole der Macht für sich zu gewinnen und so einen starken Einfluss auf die neuen Staatsgebilde auszuüben. Zu Beginn der nachchristlichen Zeit bewirkten die autochthonen Einwohner auf dieser institutionellen Basis im subsaharanischen Afrika einen wichtigen Schub der Afrikanisierung der nahöstlichen Einwanderer. Nach den Berichten der ältesten arabischen Autoren waren in der Tat in den Sudanstaaten überall Könige an der Macht, die trotz ihrer teilweise behaupteten Fremdursprünge als Einheimische angesehen wurden: am Nigerbogen die Songhai (Songhay), in Kanem die Zaghawa und in Darfur die Fur. Es handelte sich dabei jeweils um Sprecher nilosaharanischer Sprachen, die die stark semitisch geprägten Sprecher tschadischer Sprachen politisch marginalisierten oder doch zumindest so weit beeinflussten, dass sie ihre asiatische Fremdsprache zugunsten einer rein afrikanischen Sprache aufgaben. Mit der Bildung starker, indigenisierter Staatsformationen südlich der Sahara waren die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, die nur noch des äußeren Anstoßes einer verstärkten Nachfrage nach afrikanischen Waren bedurfte, um an den Südenden der großen transsaharanischen Routen den Aufstieg überethnischer Reiche zu ermöglichen.

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