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Die Bibel im Reisegepäck: Mobilität, Migration und Mission

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Bildungs-, Entdeckungs- und Handelsreisen in andere Länder waren bis in das 19. Jahrhundert ein Elitephänomen. Reisende hatten entweder einen ausgeprägten Entdeckungs- und Eroberungsdrang, oder andere Gründe bewogen sie dazu, ihre Heimat für eine bestimmte Zeit zu verlassen. Erst mit dem Ausbau moderner Verkehrsnetze stieg die berufliche und private Mobilität. So bot Thomas Cook 1841 die erste Pauschalreise für Wohlhabende an. Erst mit der Etablierung von gesetzlichen Urlaubsregelungen und preiswerten Fortbewegungsmitteln wurden diese zu einem Massenphänomen im 20. Jahrhundert.

Bibelausgaben dürften oft zum Reisegepäck gehört haben: Sei es zur persönlichen Lektüre, als Gastgeschenk in der Fremde oder als Mitbringsel für die Daheimgebliebenen. Besonders beliebt waren illustrierte Miniaturbibeln in Daumengröße, die – erstmals in England erschienen – in ganz Westeuropa und Nordamerika Verbreitung fanden. Heute sind mehr als 300 verschiedene Thumb-Bibles nachweisbar.[1] Auch Kinderbibeln wurden zu Medien des transnationalen Wissenstransfers. So wurden die 1714 erstmals erschienenen Biblischen Historien von Johann Hübner bis 1874 in 15 europäische Sprachen übersetzt und u.a. 1826 in Harrisburg, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Pennsylvania, nachgedruckt.[2] Im Anhang dieser Ausgabe findet sich ein fünfzehnseitiges Orts- und Personenverzeichnis der „geehrten Unterstützer dieses Buchs“, das Auskunft über das Bildungsnetzwerk der deutschen Lutheraner in dieser Region gibt.[3] Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die von Christian Gottlob Barths verfasste Kinderbibel „Zwei mal Zweiundfünfzig biblische Geschichten“ (seit 1831). In 87 Sprachen übersetzt kann sie als die meistübersetzte Kinderbibel der Welt gelten.

Das Erlernen von Fremdsprachen erleichterte von jeher das Reisen. Die 1765 in Hamburg erschienene synoptische, in drei Spalten arrangierte Ausgabe des „Hübners“ in Französisch, Deutsch und Englisch diente u.a. diesem Zweck. Die zweimal 52 Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament konnten in wöchentlichen Lieferungen |94|abonniert werden.[4] Neben der Einfuhr und Übersetzung aus Europa gibt es zudem eine wachsende Zahl an Kinderbibeln, die in den USA verfasst, gedruckt und verbreitet wurden. Auf beiden Seiten des Atlantiks zeigen sich für das 19. Jahrhundert ähnliche Tendenzen bei der Auswahl und Bearbeitung der Texte: Die Autoren, Herausgeber und Übersetzer haben „in einem Verlag nach dem anderen Totschlag, Lustmord, Inzest, Verrat, Vergewaltigung und Schändung aus Kinderbibelgeschichten entfernt, weil Kindern solche negative Exempel nicht erfahren sollten.“[5]

Neben der wachsenden beruflichen und privaten Mobilität ist auch die dauerhafte Migration ein Merkmal moderner Gesellschaften. Der Nachdruck vertrauter Bibeltexte wurde in diesen oft zu einem wichtigen Identitätsfaktor in der neuen Heimat. Neben den in den USA gedruckten Ausgaben des Hübners (neben Harrisburg 1826 auch Cornersburg/Ohio 1835 und Philadelphia 1839) sind die in und für Amerika entstandenen Ausgaben und Übersetzungen des Kleinen Katechismus’ Martin Luthers zu nennen. Allein bis 1850 lassen sich 300 Ausgaben nachweisen.[6] Mit Luthers Kommentierung der Zehn Gebote und des Vater Unsers verbreiteten sich nach und nach auch dessen Verständnis biblischer Texte über den gesamten Kontinent. Dies gilt auch für den Heidelberger Katechismus, der 1766 in einer zweisprachigen (Philadelphia) und 1764 in einer amerikanischen Ausgabe (New York) erschien.

Mit der Entstehung von Bibel- und Missionsgesellschaften im 19. Jahrhundert wird die Übersetzung der Bibel professionalisiert. So feierte die aus der Württembergischen Bibelgesellschaft hervorgegangene Deutsche Bibelgesellschaft im Jahr 2012 ihren 200. Geburtstag. Bis heute ist sie besonders der Verbreitung und Revision von Luthers Bibelübersetzung verpflichtet. Weitere Gründungen sind die British and Foreign Bible Society (1804), die American Bible Society (1816), die Bible Society In Australia (1817), die Bible Society In New Zealand (1846) und die Canadian Bible Society (1904). Die 1946 als weltweite Vereinigung von Bibelgesellschaften gegründete United Bible Societies umfasst derzeit 141 Mitgliedsorganisationen aus mehr als 200 Ländern. Hinzuweisen ist zudem auf die 1942 gegründete Wycliffe Global Alliance, die sich bis heute zum Ziel setzt, die Bibel in neue und noch unerschlossene Sprachen zu übersetzen, darunter auch Zeichensprachen für Gehörlose und Bilderbibeln für Analphabeten.

Auswahl- und Gesamtübersetzungen der Bibel verbreiteten sich auch durch die Akteure und Netzwerke katholischer Missionsorden (z.B. die Salesianer Don Boscos und die Comboni Missionare) sowie Missionsgesellschaften beider großen Konfessionen. Als Beispiel aus dem katholischen Bereich sei auf die Arbeit der 1658/63 gegründeten Société des Missions Etrangères de Paris verwiesen, deren Missionare u.a. in Korea und Vietnam aktiv waren. In der Bildungsarbeit der 1815 gegründeten evangelischen |95|Basler Mission spielte die bereits erwähnte, in 87 Sprachen übersetzte Kinderbibel von Christian Gottlob Barths Kinderbibel eine zentrale Rolle. Von dieser wurden bis zur 483. Auflage im Jahr 1945 ca. drei Millionen Exemplare gedruckt und u.a. in Indien verbreitet.[7] Als weiteres Beispiel sei die 1836 gegründete Leipziger Missionsgesellschaft erwähnt, die ab 1892 Missionare nach Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) entsandte. Diese besaßen für ihre Bildungsarbeit meist eine Handbibliothek religionspädagogischer Literatur, darunter Sammlungen von biblischen Geschichten und Bilderbibeln. Deren Auswahl und Übersetzung war auch den Gegebenheiten im Missionsgebiet geschuldet. So sollten beispielsweise Texte zur Beschneidung (im Alten Testament) ausgeklammert bleiben, um nicht den Eindruck zu erwecken, die in Ostafrika bestehende Beschneidungspraxis mit dem neuen Glauben legitimieren zu können.[8]

Urlaubs-, Bildungs- und Handelsreisen in andere Länder sind heute, wie eingangs erwähnt, kein Elitephänomen mehr. Inwieweit die Bibel dabei noch zum Reisegepäck gehört, lässt sich schwer sagen. Noch immer gehören Bibeln jedoch in vielen Hotels zur Grundausstattung eines Zimmers. Insbesondere der 1899 von Geschäftsleuten gegründete und noch heute aktive Internationale Gideonbund fühlt sich der Verbreitung der Bibel in Hotels, aber auch in Krankenhäusern, Schulen und Gefängnissen verpflichtet. Neben der Verbreitung der Bibel durch Mobilität, Migration und Mission haben in den vergangenen Jahrzehnten zudem elektronische Medien an Bedeutung gewonnen. Insbesondere im WWW finden sich heute zahllose Angebote, mit denen Menschen Bibelübersetzungen auf ihren Computern und Smartphones aufrufen und lesen können.[9]

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