Читать книгу Bier - Gunther Hirschfelder - Страница 11

2. Rituelles Nahrungsmittel
und Kulturgetränk Die Biergeschichte als Zivilisationsgeschichte

Оглавление

Am Anfang stand das Bier. Seine Bedeutung für die menschliche Zivilisation spiegelt sich bereits im babylonischen Gilgamesch-Epos, einer der ältesten schriftlichen Quellen der Menschheitsgeschichte. Das Werk entstand wohl um die Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtausends im Vorderen Orient. Es erzählt von den Abenteuern König Gilgameschs, des großen Herrschers von Uruk. Die zuerst in sumerischer Sprache verfassten Keilschrifttafeln fanden weite Verbreitung in den frühen Gesellschaften Mesopotamiens. Unzählige Male abgeschrieben, überdauerten sie so den Untergang der sumerischen Sprache und gingen in die Literatur und Sprachen der nachfolgenden Zivilisationen des Zweistromlandes ein.1

Im Epos von Gilgamesch begegnet uns auch Enkidu, die Symbolfigur eines Naturmenschen. Durch den Konsum des Kulturgetränkes Bier entfremdet er sich von der Sphäre der Natur und wird zum zivilisierten Menschen. Mit Gazellen und Löwen in der Steppe aufgewachsen, gerät der wilde Enkidu ins Visier des Königs Gilgamesch. Der schickt die Priesterin und Dirne Schamchat. Sie verführt Enkidu und leitet ihn in ein Hirtenlager. Hier, an der Schwelle von Natur und Zivilisation, von nomadischen Lebensformen und sesshafter Kultur, vollzieht sich die zweite Menschwerdung Enkidus: Mit sieben Krügen Bier und gebackenem Brot tritt er in die zivilisatorische Gemeinschaft ein.2

„Brot legten sie ihm vor.

Bier stellten sie ihm hin.

Nicht aß Enkidu das Brot, ratlos schaut er in die Runde.

(Denn) Brot zu essen hatte er nie erlernt,

und Bier zu trinken blieb ihm unbekannt.

Die Dirne sagt zu ihm, zu Enkidu:

‚Iß doch, Enkidu, vom Brot, das zu dem Menschen gehört!

Trink doch, Enkidu, vom Bier, das dem Kulturland bestimmt!‘“3

Nicht nur der Mythos, auch die moderne Archäologie verfügt über schlüssige Argumente, die einen engen Zusammenhang zwischen der Entdeckung alkoholhaltiger Getränke und der Sesshaftwerdung der frühen Kulturen nahelegen. Fast alle Szenarien versetzen uns dabei in den Vorderen Orient in der Zeit vor 13.000 bis 10.000 Jahren. Die Innovationen fanden in einem Gebiet statt, das etwa von den Tempelanlagen Göbekli Tepes und den frühen Stadtformen Catal Hüyüks in Zentralanatolien über das Zagrosgebirge im nördlichen Iran bis an die Mündung von Euphrat und Tigris in den Persischen Golf reichte.

Von besonderer Bedeutung erweisen sich dabei Funde aus der Region des heutigen Palästina. Hier stoßen wir etwa 11.000 Jahre v. Chr. auf eine sich ausdifferenzierende Jäger-und-Sammler-Kultur, die nach Fundorten im Wadi an-Natuf als Natufien benannt ist. Das Natufien der Levante und verwandte regionale Kulturen hinterließen einen Horizont von Funden, in dem sich die Möglichkeit und die Fähigkeit einer ersten frühen Bierherstellung widerspiegeln. Unabdingbar für die Herstellung von Bier war damals wie heute das Vorhandensein von Getreide. Wie die Enkidu-Episode zeigt – er trinkt Bier und speist Brot –, stehen der Anbau und die Verarbeitung von Getreide und das Brauen in diesem epochalen Übergang der Zivilisationsgeschichte in einem engen Zusammenhang.4

Genau hier, an den bedeutenden Fundorten des Natufien, belegen Ausgrabungen diesen Wandel der menschlichen Lebensweisen. In Tell Abu Hureyra etwa, im heutigen Syrien, ist wilde Gerste nachgewiesen. Etwa 200 jungsteinzeitliche Siedler lebten hier ganzjährig als Jäger und Sammler, bevor sie damit begannen, aktiv Getreide zu domestizieren. Auch Vorläufer unseres Roggen, die alte Weizenart Emmer und vor allem deren biologischer Ahne Einkorn, befinden sich unter den gesicherten Nahrungsüberresten. Sachkulturelle Relikte flankieren die Funde aus den Nahrungsresten von Tell Abu Hureyra. So belegen Feuersteinsicheln eine Erntepraxis von wildem und später auch von gezüchtetem Getreide in der Zeit um 10.000 v. Chr.

Bier

Подняться наверх