Читать книгу Bier - Gunther Hirschfelder - Страница 23

Der Totengott und das Bier:
Mythologie und Gesellschaft

Оглавление

Die Geschichte des Alten Ägypten umfasst eine Zeitspanne von über 5000 Jahren von den frühen landwirtschaftlichen Kulturen des Niltales bis hin zu den vom hellenistischen Kulturkreis geprägten Jahrhunderten der Spätzeit.7 Zwischen den Pharaonen des Alten Reiches (ca. 2707–2216 v. Chr.) und den Herrschern der 31. Dynastie (um 300 v. Chr.) liegt ein längerer Zeitraum als zwischen der Gegenwart und Christi Geburt. Dennoch existieren einige wenige Konstanten, die das Leben am Nil entscheidend beeinflussten.

Über Jahrtausende prägte der große Strom die Entwicklung der ägyptischen Kulturen und schaffte die grundsätzlichen Bedingungen für Landwirtschaft und die Entstehung gesellschaftlicher Strukturen. Als Verkehrsweg und Lebensader verband der Nil die Mittelmeerküste mit dem Inneren des Landes, Oberägypten mit Unterägypten und schuf so die Basis für ein zentral regierbares Staatswesen mit tragfähiger Infrastruktur und regionaler Gauverwaltung. Die jährlichen Fluten des Nils bildeten die Grundlage für die Ernährung des Reiches. Die fruchtbaren, von Kanälen durchzogenen Ackerflächen westlich und östlich des Stromes garantierten die Versorgung der Bevölkerung mit Getreide. Mit den wichtigsten Sorten Emmer, Gerste und ab der hellenistischen Zeit auch Weizen entwickelte sich Ägypten bereits ab dem 4. vorchristlichen Jahrtausend zur Kornkammer des Mittelmeerraumes und neben Mesopotamien zur zentralen Bierkultur der bekannten Welt. Das Getreide Ägyptens, seine effiziente Verteilung, seine straff organisierte Lagerung durch die staatlichen Instanzen und nicht zuletzt seine gewerbliche, teils in industrieller Größenordnung betriebene Weiterverarbeitung zu Brot, Brei und Bier bildete den Schlüssel zum Aufstieg Ägyptens zu den großen Kulturen des Altertums.8

Der Wohlstand des Reiches oblag dem Pharao, dem absoluten Alleinherrscher über Land und Leute. Als Vertreter des Göttlichen auf Erden und Mittler zwischen Mensch und Jenseits war es die Aufgabe des Pharaos, das Maat aufrechtzuerhalten. Beim Maat handelt es sich um das zentrale Ordnungsprinzip des Alten Ägypten.9 Als transzendentes Konzept von Gerechtigkeit und Wahrheit steht Maat für die gottgegebene Ordnung der Welt. Spätestens ab dem frühen 3. vorchristlichen Jahrtausend etablierte sich die Vorstellung des Pharaos als Hüter des Maat. Er steht dadurch auch in der Verantwortung seinem Land gegenüber – Hungersnöte oder Naturkatastrophen sind seinem Versagen geschuldet. Auch im Duath, dem Jenseits, bleibt das Maat gültig. Der Verstorbene setzte dort das Leben fort, das er auf Erden geführt hatte.10 Die Ausgestaltung der Grabstätte hatte so dem Status des Toten zu entsprechen.

Es ist also kein Zufall, dass sich in Meketres Grab spielzeugartige Modelle seiner weltlichen Besitztümer finden: seine Kornspeicher, sein Hofstaat, seine Gebäude und nicht zuletzt sein Brot und sein Bier. So bleibt Meketre auch im Jenseits Teil der Aristokratie, die von Dienern versorgt wird und nicht auf die Speisen der Toten angewiesen ist. In einem Sargtext beharrt der Verstorbene auf seiner weltlichen Ernährung: „Ich esse Brot aus hellem Spelt. Ich trinke von dem Bier aus gelbem Spelt.“11 Oder in einem Kapitel des Ägyptischen Totenbuches: „Ich lebe von Brot aus hellem Weizen, mein Bier ist aus gelber Gerste.“12

Bier gerät in der Ideenwelt des antiken Ägypten zum Zeichen für ein gutes Leben, zum Symbol von Wohlstand und rechtmäßigem Konsum. Wo Bier getrunken wird, herrscht Ordnung, ist das Maat im Gleichgewicht. Trotz der Bedeutung des Maat als kulturellen Wandel eher hemmendes Konzept ist Vorsicht im Hinblick auf die Annahme einer kontinuierlichen Bier- und Braukultur für Ägypten geboten. Durch die intensiven Handelsbeziehungen Ägyptens im Mittelmeerraum und den kulturellen Austausch mit Nachbarstaaten scheint eine einheitliche Bierkultur, die über 2.000 Jahre unverändert blieb, unwahrscheinlich.

Bei der Suche nach den Ursprüngen des Bieres in der Kultur des Alten Ägypten stoßen wir auf die Mythologie. Wie in Sumer betrachteten auch die Ägypter das Bier als Gabe der Götter. Mit dem Thema stehen gleich mehrere Götter des altägyptischen Pantheons in Verbindung. Am bedeutendsten ist die Rolle des Totengottes Osiris. Als Herr der Unterwelt gilt er zugleich als Fruchtbarkeitsgott, aus dem neues Leben erwächst. Osiris, in dessen Mythos von Tod und Wiedergeburt sich die jährlichen Nilfluten, die Aussaaten und Getreideernten spiegeln, bildet so den symbolischen Körper, aus dem das Getreide, das Rückgrat der altägyptischen Wirtschaft und Gesellschaft, emporwächst. Es ist naheliegend, dass die Glaubenswelt des Alten Ägypten diesen Gott auch mit der Erfindung des Bieres in Verbindung brachte. In einem Totenopfer wird Osiris angerufen: „Komm doch zu diesem deinem Brot, diesem deinem Bier, zu dieser deiner Trankspende, damit du über alle guten Dinge verfügst.“13 Griechische Autoren identifizieren den weit über die Grenzen Ägyptens hinaus bekannten Osiris darum häufig mit dem griechischen Gott des Weines und der Trunkenheit, Dionysos. Noch im 1. vorchristlichen Jahrhundert schreibt Diodor im 20. Kapitel seines Geschichtswerkes Bibliotheca Historica über Osiris’ Erfindung des Bieres im für Weinbau ungeeigneten Klima Ägyptens:

„Und so zog Osiris schließlich durch die ganze Welt und bereicherte alle Menschen durch das Geschenk edelster Früchte. Wenn aber ein Land den Weinstock nicht annehmen wollte, dann lehrte er die Einwohner, sich aus Gerste ein Getränk zu brauen, das an Stärke und Wohlgeruch dem Wein fast gleich kam.“14

Die Antikenrezeption des Humanismus bewahrt im deutschsprachigen Bereich die Erinnerung an Osiris als Erfinder der Braukunst,15 die heute gerade im populärkulturellen Bereich reüssiert. So produziert die Brauerei Sun King Brewery aus Indianapolis seit einigen Jahren ein „Osiris Pale Ale“.16 Dabei handelt es sich allerdings um kein trübes, ägyptisches Brotbier, sondern ein fruchtig-bitteres, stark gehopftes Pale Ale kalifornischer Prägung. Dass Hopfen im Alten Ägypten weder bekannt war noch im Brauvorgang eine Rolle spielte, tut der modernen Lust auf bittere, klare Biere wohl keinen Abbruch.

An den 5,6 % Alkohol im Osiris Pale Ale hätte auch die Göttin Hathor ihre Freude gehabt. Sie tritt in der ägyptischen Mythologie als Herrin des Bieres auf. In einer Wunschformel heißt es, „möge der Korngott Dir Brot geben und Hathor Bier“.17 Seit der Zeit des Mittleren Reiches zählte die Göttin zu den wichtigen Figuren im altägyptischen Pantheon. Zu ihren Festen konsumierten die Teilnehmer Bier, vermutlich versetzt mit Gewürzen und Datteln. Eine besondere Verbindung Hathors zum Thema Bier offenbart sich im Mythos von der Himmelskuh: Der altägyptische Sonnengott Re zeigt sich erzürnt über den Ungehorsam der Menschen. Er schickt seine Tochter Hathor, um die Menschen zu vernichten. Um die vom Blut berauschte Hathor zu besänftigen und von den noch überlebenden Menschen abzulenken, ließ Re Bier mit Ocker rot färben und auf der Erde ausgießen. Hathor, die das Bier für Blut hielt, trank es: „Ihr Gesicht wurde davon heiter und sie trank, das war angenehm für ihr Herz. Trunken kam sie und konnte die Menschen nicht mehr erkennen.“18 Die Menschheit war durch den Rausch Hathors gerettet.

Bier

Подняться наверх