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Lebensweise im Wandel:
Der Rausch als Motor des Sesshaftwerdens?

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Ebenfalls gut 11.000 Jahre alt sind Überreste von Gebäuden in Bad el-Dhra auf dem Gebiet des heutigen Jordanien. Die in ihnen gefundenen Spuren verarbeiteter wilder Gerste legen die Verwendung der Bauwerke als Kornspeicher oder womöglich sogar als Darren für Getreide nahe. Gerade die Lagerung von Getreide musste einen gewaltigen Schritt für die Domestizierung und gezielte Aussaat von Samen in den Kulturen an der Schwelle zur Sesshaftwerdung bedeutet haben.

Um diesen Zeitpunkt setzte 2012 auch ein Team von Nahrungsarchäologen um Brian Hayden den Beginn der Kulturgeschichte des Brauens an. Das Besondere: Hayden betrachtet die Herstellung von Bier als wesentliches Moment in der Sesshaftwerdung sowie der Domestizierung von Getreide.5 Diese aufregende Verbindung von Bier und Zivilisationsgeschichte geht dabei von einer prinzipiellen Frage aus, die bis heute nicht abschließend beantwortet werden kann: Warum gaben die Jäger und Sammler des Natufien und ähnlicher Kulturen eine gesicherte nährstoff-, fleisch- und proteinreiche Ernährung auf und vollzogen den Schritt zu einer extrem aufwendigen und – angesichts mangelnder Anbau- und Ernteerfahrung – auch äußerst riskanten Ernährung auf der Grundlage domestizierter Gräser?

Die kanadischen Wissenschaftler folgerten, dass nur eine besondere, rituelle Verwendung dieser Nahrungsmittel – etwa in Tempelanlagen wie Göbekli Tepe, in dessen Nähe der Anbau von Einkorn nachgewiesen ist – den enormen Aufwand von Getreideanbau und die Beschaffung von Getreide von entfernten Orten sinnvoll begründeten. Gerade in ansonsten nahrungsreichen Siedlungsstätten, wie in Tell Abu Hureyra, erschienen religiöse Gründe und ritueller Rausch als einzig plausible Erklärung für die unverhältnismäßigen Mühen, die sich aus der Domestizierung und dem Transport von Korn ergaben.6 Hayden kommt zum Schluss:

„Die Herstellung von Bier ist einer von wenigen möglichen Kandidaten für die Motivation, frühe Getreidearten zu beschaffen und deckt sich mit dem exzessiven Aufwand, der auch heute noch in traditional geprägten Gesellschaften betrieben wird, um Bier herzustellen.“7

Der Wunsch nach Rausch als Motor für die Sesshaftwerdung der Menschheit? Bier als Treibstoff für einen der größten Epochenwandel der Menschheit? Andere Forscher äußern sich dazu weitaus zurückhaltender.8 So könnte auch ein Einbruch der Temperaturen im Rahmen eines kleinen Klimawandels und ein Fernbleiben der großen Wildtierherden zu einer zivilisatorischen Revolution der Jäger und Sammler der Jungsteinzeit an Orten wie Tell Abu Hureyra oder Bad el-Dhra geführt haben. Der britische Prähistoriker Andrew Sherratt etwa sieht in der Entdeckung des Bieres lediglich einen zweiten Folgeschritt der Domestikation von Getreide. Doch unabhängig von der Frage, ob das Bedürfnis nach Bier den Anbau von Getreide beflügelte, oder – wovon die meisten Forscher heute ausgehen – der vergärte Gerstensaft ein Begleitprodukt der neolithischen Revolution um 10.000 v. Chr. bildete, markiert der Beginn der Brau- und Bierkultur einen markanten Punkt in der Geschichte der Menschheit: Die frühen Gesellschaften beginnen, sich über eine komplexe Verarbeitung von Ernährung kulturell auszudifferenzieren.9 Biergeschichte gerät zur Zivilisationsgeschichte.

Die Spezialisierung der Arbeitsschritte führte zu einer Ausdifferenzierung einzelner Landwirtschafts- und Handwerkszweige und ließ Ernährung zum Statussymbol werden. Bier als Luxusprodukt markierte nun nicht nur besondere religiöse und rituelle Anlässe im Jahreslauf und formierte so im Sinne der Anthropologin Mary Douglas über den Rausch eine Gemeinschaft, sondern avancierte rasch zum Konsumgut von Herrschaftseliten, Beamten oder Priestern. Der Anthropologe Alexander Joffe führt einen breiten Bestand an ikonographischem Schmuck und keramischen Entwicklungen an, die ab 5000 v. Chr. im frühen Sumer die bedeutende soziale Rolle des alkoholischen Getränks Bier betonten. Der Beitrag von Bier und anderen alkoholischen Getränken zur sozialen Ausdifferenzierung und Urbanisierung der frühen mesopotamischen Stadtstaaten sei, so Joffe, als kulturstiftendes Element kaum zu unterschätzen.10

Bier

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