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Eine vergleichende Kulturgeschichte des Kriegsausgangs in zeitlicher Tiefe

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Gleichzeitig mit einer Erneuerung der Methoden, die den nationalen Bezugsrahmen für Untersuchungen hinter sich lassen, erleben wir seit rund 15 Jahren neben neuen Studien zum Nationalsozialismus und zum Zweiten Weltkrieg23 auch eine grundlegende Erneuerung hinsichtlich der Geschichte des Ersten Weltkriegs auf beiden Seiten des Rheins, aber auch in Großbritannien, Belgien24, Irland und den Vereinigten Staaten.

Im Zentrum dieser neuen Arbeiten steht die Frage nach der „Kriegserfahrung als Gewalterfahrung“25 und nach deren Auswirkungen auf kurze, mittlere und lange Sicht. Es geht vor allem darum, zu verstehen, wie „derjenige, der den Krieg erlebt hat, einen ungestillten Hass hervorbringen konnte, der sich in den Taten und Gesten der ‚Freikorps‘ und der SA-Trupps ausdrückte, sich vielleicht auch in den Aktionen der Croix-de-Feu zeigte, und gleichzeitig pazifistische Überzeugungen und Bewegungen schaffte“26. Diese Frage drückt im Prinzip die Möglichkeit und die Formen dessen aus, was John Horne die „kulturelle Demobilisierung“ nannte. Sie wird auch von George L. Mosse gestellt, wenn er von der „Brutalisierung“ der europäischen Gesellschaften durch den Ersten Weltkrieg spricht27.

Die Berücksichtigung dieses Phänomens zur „Erklärung“ der Nachkriegszeit schließt wohlgemerkt den Einfluss anderer, eher politischer Faktoren nicht aus – wie etwa die Niederlage, den Versailler Vertrag, den Sturz des bestehenden politischen Systems, die gescheiterte Revolution, die fehlgeschlagenen Putschversuche der extremen Rechten sowie eher konjunkturelle, wirtschaftliche und soziale (Hyperinflation, Weltwirtschaftskrise ab 1929, Arbeitslosigkeit) oder sogar lokale Faktoren, im Falle der besetzten oder unter Mandat stehenden Gebiete wie dem Saargebiet. Eine der Schwierigkeiten für den Historiker liegt genau darin, das Gewicht der einzelnen Faktoren sowie ihre Gesamtwirkung zu bestimmen.

Die gewählte Zeiteinteilung ist eine weitere Schwierigkeit des Unterfangens. Sie ist tatsächlich in erster Linie politisch und deutsch, denn sie korrespondiert auf den ersten Blick mit den kurzen 15 Jahren der Weimarer Republik. Die Frage der Verletzungen und ihrer Behandlung – oder der Unmöglichkeit ihrer Behandlung – erlaubt es gerade, den chronologischen Rahmen hinter sich zu lassen, der politisch gesehen keine Relevanz für Frankreich besitzt, obwohl im Januar und Februar 1934 auch die Frage nach dem Umgang Frankreichs mit dem Erbe des Ersten Weltkriegs gestellt wird, denn die Akteure des 6. Februar 1934 sind in erster Linie Kriegsveteranen. So wichtig dieses Ereignis auch sein mag, es besitzt für die französische Geschichte dennoch bei weitem nicht das Gewicht, das in der deutschen Geschichte dem „Tag von Potsdam“ zukommt, der symbolischen Machtübergabe zwischen dem alten Feldmarschall und dem kleinen Gefreiten fünfzehn Jahre nach Kriegsende.

Der Zugang über die Frage des Kriegsausgangs erlaubt es also auch, einen Vergleich über den starren chronologischen Rahmen der deutschen Politikgeschichte hinaus anzustellen, der sonst einfach über den französischen Fall übergestülpt würde. Er erlaubt außerdem den bereits von anderen vor uns unternommenen Versuch, „den Verzerrungseffekt zu überwinden, der aus der außerordentlichen Aufmerksamkeit resultiert, die der Nationalsozialismus auf sich zieht und der den Blick auf das zeitgenössische Deutschland als Ganzes vernebelt“28. Der gleichzeitige Blick auf Deutschland und Frankreich sowie auf die Entwicklungsgeschichte des untersuchten Zeitraums verhindert die Fokussierung auf die Weimarer Republik als letzten chronologischen Abschnitt des Sonderwegs, der von Bismarck zu Hitler oder bei einigen sogar von Luther zu Hitler führte, oder auch als Zeit der „Krise der klassischen Moderne“29.

Es ist richtig, dass der Nationalsozialismus, der Höhepunkt des gewählten Zeitabschnitts, implizit auch der Ausgangspunkt dieser Studie ist. Der Vergleich, aber vielleicht noch mehr die Reflexivität30 dieser Arbeit und all jener, die sie ermöglicht haben, lassen uns die Teleologie beleuchten, welche die Darstellung dieses Zeitabschnitts mehr als jeder andere beinhaltet, und sogar die Bedeutung von Zufälligkeiten herausarbeiten. Ohne der im Nachhinein so bezeichneten „Zwischenkriegszeit“ eine hypothetische Einheit bezüglich des Vorausgegangenen und dem Folgenden zuzuschreiben und ohne den Zeitraum auf einen simplen „zwangsläufigen Übergang“ von einem Krieg zum nächsten zu reduzieren, geht es darum, die beiden Ländern gemeinsamen und unterschiedlichen, voneinander abhängigen und getrennten, transnationalen und nationalen kulturellen und sozialen Dynamiken herauszuarbeiten, die diesen fünfzehnjährigen Frieden im dreißigjährigen Krieg belebten.

Das vorliegende Werk möchte daher die deutsch-französische Geschichte von 1918 bis 1932/33 eher erforschen denn ex cathedra präsentieren31. Diese Erforschung beinhaltet zunächst eine ausführliche Darstellung, die als Untersuchungsrahmen dient und es dem Leser ermöglicht, die ausgewählten und von der Herangehensweise bestimmten Fälle einzuordnen32.

Diesem einleitenden Abschnitt folgen einzelne Schlaglichter, die es erlauben, die methodischen Werkzeuge der vergleichenden Geschichte, der Geschichte der Transfers und der Geschichte der Verflechtungen anzuwenden. Wir untersuchen in ganzer chronologischer Breite über den Gesamtzeitraum die von der Geschichtsschreibung neu gestellte Frage nach den Verletzungen des Krieges und den Mitteln, die von den Individuen und der Gesellschaft zur Verfügung gestellt wurden, um sie zu überwinden.

Anschließend beschäftigen wir uns mit Fragen, die ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Sozial- und Kulturgeschichte erneut untersucht werden: Die Besetzung des Rheinlands und des Ruhrgebiets sowie die Völkerbundsmandate über das Saarland und Oberschlesien – wo Frankreich eine zentrale Rolle spielte – werden heute als Orte der direkten Wechselwirkung ganz unterschiedlicher Natur zwischen Deutschen und Franzosen betrachtet. Diese Frage der Interaktion, der transnationalen Begegnungen wird ebenfalls zwei thematische Kapitel füllen; sie sind dem kulturellen und intellektuellen Transfer in dieser Zeit gewidmet, einem Pionierthema hinsichtlich der deutsch-französischen Untersuchungen. Das Buch schließt mit einem Kapitel, das die zwei jüngsten Interpretationen des behandelten Zeitraums präsentiert und hier unter dem Fokus der deutsch-französischen Herangehensweise genauer beleuchtet.

1 WINTER 2004 [417], S. 1077. Die weiter unten zitierten Zahlen zur Kriegsbilanz stammen, falls nicht anders vermerkt, alle aus diesem Artikel.

2 TUCHOLSKY, Staatsmorphium, in: Die Weltbühne 17.11.1925, zitiert nach http://www.textlog.de/tucholsky-staatsmorphium.html [28], siehe auch dasselbe auf Französisch in TUCHOLSKY 1981 [83], S. 84.

3 WERTH 1919 [86], S. 313.

4 PIGNOT 2006 [655].

5 U. a. AUDOIN-ROUZEAU 1993 [258].

6 GAY 1968 [199], S. 25–26

7 SOLCHANY 2003 [225], S. 22.

8 Um einen Ausdruck im Titel des Werkes von KRUMEICH/SCHRÖDER 2004 [632] zu übernehmen.

9 BESSEL 1993 [191], S. 284.

10 GEYER 1995 [322], S. 678.

11 Über den Begriff der Kriegserfahrung siehe u.a. BUSCHMANN/CARL 2001 [293], S. 11–26.

12 BERTHOMÉ 1997 [91], S. 35–41.

13 Ebd., S. 32–24.

14 GEYER 1995 [322], S. 678

15 MOSSE 2000 [372].

16 KRUMEICH 2004 [631], S. 9.

17 Für eine Darstellung dieser Debatten siehe II.8.

18 BLOCH 1974 [93], S. 27.

19 Z.B. CHARLE 2001 [166].

20 REVEL 2005 [184].

21 Der Folgeband der Reihe von Stefan Martens beginnt im Jahr 1932.

22 KAELBLE 1991 [176], Kaelble 1999 [177].

23 Über die Unterschiede, Gemeinsamkeiten und den Dialog innerhalb der Geschichtsschreibung zu beiden Kriegen vgl. u.a. BEAUPRÉ/DUMÉNIL/INGRAO 2004 [271]. Zum Nationalsozialismus und den Debatten zum französischen Faschismus vgl. den Folgeband von Stefan Martens.

24 JAUMAIN/AMARA/MAJERUS/VRINTS 2005 [341], HIRSCHFELD/KRUMEICH/RENZ 2003 [335] und AUDOIN-ROUZEAU/BECKER 2004 [267].

25 MAJERUS 2004 [364].

26 KRUMEICH 2002 [350], S. 13.

27 Zu den Diskussionen über dieses Modell siehe Punkt 8.2.

28 SOLCHANY 2003 [225], S. 2.

29 PEUKERT 1987 [217]. Die Interpretation von Peukert ist selbst eine Art Antwort auf das Modell des Sonderwegs, siehe MÖLLER/KITTEL 2002 [511], S. XV; WIRSCHING 1999 [187].

30 WERNER/ZIMMERMANN 2004 [186].

31 Der Aufstieg des Nationalsozialismus und das autoritäre bzw. faschistische Abgleiten in Frankreich werden im nächsten Band der Reihe behandelt.

32 Siehe auch die Chronologie am Ende des Bandes.

WBG Deutsch-Französische Geschichte Bd. VII

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