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Ägypten

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Kaum ein anderes Land regte die Phantasie der Fremden im gesamten Altertum stärker an als das von Wüsten und Meer abgeschottete Land am nordöstlichsten Rand des afrikanischen Kontinents. Seiner abgelegenen Lage und der emsigen Arbeitskraft seiner Bewohner verdankte dieses geheimnisvolle, entlang des Nil sich ausbreitende Territorium seine unverwechselbare wirtschaftliche, soziale und kulturelle Eigenart. Pyramiden, Tempel und königliche Repräsentationsbauten bildeten das äußere Gepräge einer monumentalen Architektur, die den Herrschaftsbedürfnissen der Gottkönige (Pharaonen) und der mächtigen Priesterschaft entgegenkam.74

Obwohl das Land sich seit dem Ende der Pharaonenzeit in einer politischen Krise befand, war die Bewunderung der antiken Völker für die Denkmäler der Ägypter, ihre Technik, ihre Wissenschaft, ihre Medizin, ihre Astrologie und ihre Religion ungebrochen. Neidlos billigten die Griechen der uralten ägyptischen Kultur einen zivilisatorischen Vorrang zu. Das Land am Nil war das Ziel eines jeden griechischen Bildungsreisenden und mancher herausragenden Hellenen. Etwa Homer, Lykurg, Solon, Thales, Pythagoras oder Herodot sagte man einen Aufenthalt im sagenumwobenen Ägypten nach, wo sie Erkenntnisse und Inspiration für ihr Tun erhalten haben sollen. Über den Philosophen und Naturwissenschaftler Anaxagoras von Klazomenai hieß es, dass er sein beachtliches astronomisches Wissen aus den geheimen Büchern der ägyptischen Priester geschöpft habe. Kontakte zwischen Europa, Asien und dem an der Nilmündung gelegenen afrikanischen Brückenland hat es immer gegeben. Zahlreich sind die ägyptischen Einflüsse auf die griechische Kunst und Technik vor allem im Bereich des Bauwesens, der Ornamentik und der handwerklichen Fertigkeiten.

Ebenso waren die Beziehungen Ägyptens zur griechischen Welt im militärischen Bereich äußerst intensiv. Unter den Pharaonen Necho II. (610–595 v. Chr.) und Psammetich II. (594–589 v. Chr.) dienten zahlreiche griechische Söldner in der ägyptischen Armee und in der Flotte, wo sie zeitweise eine dominierende Stellung erlangten. Während der Regierungszeit des Pharao Amasis (570–526 v. Chr.) verstärkte sich der griechische Einfluss weiter. Ein direktes Tor nach Ägypten errichteten die Griechen durch die Gründung der Handelsniederlassung von Naukratis am Nildelta im 6. Jahrhundert v. Chr. Sie erhielt einen privilegierten Status als Freihandelszone, von wo aus der gesamte Warenaustausch zwischen den drei Kontinenten abgewickelt werden konnte. Darüber hinaus gestattete Amasis den Griechen die Errichtung von Heiligtümern. Bezugnehmend darauf hat Herodot, der Ägypten aus eigener Anschauung kannte, folgenden Bericht verfasst: Pharao Amasis war ein Freund der Griechen. Manchen von ihnen erwies er Gutes; den griechischen Einwanderern überließ er die Stadt Naukratis zur Besiedlung. Er gab denen, die nicht dauernd in Ägypten wohnten, sondern nur Handel treiben wollten, Plätze, wo sie Altäre und Kultstätten errichten konnten. Ihr größter heiliger Bezirk ist das sogenannte Hellenion. Es ist von folgenden Städten gemeinsam gegründet worden: von den ionischen Orten Chios, Teos, Phokäa und Klazomenai, von den dorischen Rhodos, Knidos, Halikarnassos und Phaselis, von dem aiolischen Mytilene allein. Ihnen gehört dieser Bezirk gemeinsam, und diese Städte stellen auch die Hafenaufseher.75

Ägyptens Prestige als Vorbild und Lehrmeister für andere Völker reichte weit bis in den politischen Bereich hinein. So soll Polykrates von Samos ebenso wie Kypselos und Periandros von Korinth in die ägyptischen Angelegenheiten verwickelt gewesen sein. Bezeichnenderweise trug der letzte Vertreter des korinthischen Tyrannenhauses den ägyptischen Namen Psammetich, was auf besonders enge Bindungen zu Ägypten schließen lässt. Im Verlauf des 6. Jahrhunderts v. Chr. wurde das aufgrund seiner vielfältigen Ressourcen begehrte Land immer stärker in die Auseinandersetzungen der orientalischen Großmächte hineingezogen: Assyrien, Babylon und schließlich Persien. Mit dem Feldzug des Kambyses, Sohn des Reichsgründers Kyros, geriet es schließlich unter persische Kontrolle (525 v. Chr.) und verlor endgültig, trotz einiger kurzer Phasen pharaonischer Herrschaft, seine Unabhängigkeit. Von nun an wird Ägypten unaufhörlich von fremden Mächten beherrscht werden, die in der Ausbeutung der natürlichen Reichtümer des äußerst ertragreichen Territoriums einander ablösten. Nach den Persern kamen die Makedonen, danach die Römer und nach ihnen die muslimischen Araber. Dennoch behielt Ägypten über alle Eroberungen hinweg seinen besonderen Zauber und seine Einzigartigkeit bis in die Neuzeit hinein: Napoleons ruhmsüchtige Expedition, die ihn bis an den Fuß der Pyramiden verschlug, lässt sich ebenfalls in die Reihe fremder Invasionen einordnen, die das uralte Kulturland nachhaltig veränderten, welches im Gegenzug die Zeugnisse seiner prachtvollen Zivilisation dem erstaunten neuzeitlichen Europa vermitteln konnte. Über das gesamte Altertum galt das Land am Nil trotz seiner relativen politischen Ohnmacht als Wiege des Wissens, Heimstätte einer bewundernswerten Kultur und Hort der Lebensweisheit zugleich, dessen Errungenschaften von der übrigen Welt ehrfurchtsvoll rezipiert wurden.

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