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Nearchos

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Ebenso unbekannt wie das Nordmeer war der jenseits des Perserreiches sich erstreckende Okeanos, der nach allgemein verbreiteten Vorstellungen die Randgebiete der bewohnten Welt umschloss. Seine Umsegelung war stets mit hohen Risiken und zahlreichen Fragezeichen versehen. In der Schlussphase seines Asienfeldzuges wollte Alexander der Große seine Geheimnisse entschlüsseln. Die Gründe dafür waren vielfältig. Einerseits konnten die daraus zu gewinnenden Erkenntnisse von Nutzen sein für die bessere Erreichbarkeit der jüngst erworbenen indischen Territorien, andererseits erwartete man, durch die Kontrolle der Seestationen am Okeanos die Route nach Arabien, Alexanders nächstes Eroberungsprojekt, zusätzlich abzusichern. Nicht zuletzt spielte Alexanders unbändige Neugier, möglichst alles über die Grenzregionen der Welt zu wissen, eine erhebliche Rolle bei der Durchführung der Okeanosfahrt seines Gefährten Nearchos.

Im Verlauf seiner Indienexpedition und nach einem äußerst beschwerlichen Marsch erreichten im Sommer des Jahres 325 v. Chr. die Landtruppen und die Schiffe Alexanders südlich von Pattala die Mündung des Indus. Damit fand die etwa achtmonatige Expedition auf dem Fluss- und Landweg einen vorläufigen Abschluss. Den strategisch wichtigen Knotenpunkt versah man mit neuen Hafenanlagen und einer Garnison. Alexander ließ es sich nicht nehmen, entlang der Mündungsarme des Indus bis zum Okeanos zu segeln. Mit einigen Schiffen fuhr er auf eine vorgelagerte Insel, um von hier aus in die Weite des Meeres vorzustoßen, bis kein Land mehr in Sicht war. Wie bereits einige Jahre früher bei der Überquerung des Hellespont (334 v. Chr.) brachte er auch dieses Mal Poseidon ein Opfer dar und warf goldene Schalen ins Wasser. Er wähnte sich am Ende der Welt. Die Fahrt in den Indischen Ozean war kein isoliertes Ereignis, sondern stand in Verbindung mit bereits vollzogenen Akten der Grenzüberschreitung. Sie bildete gewissermaßen deren vorläufigen Abschluss. So wie Alexander in seinem ersten Regierungsjahr an die Donau gelangt war und den legendären Strom überwinden konnte (335 v. Chr.), oder nach der Eroberung Sogdiens die Stadt Alexandria Eschate an der Peripherie der zivilisierten Welt gründete und in die unendliche Steppe Innerasiens blickte, erwarb er durch das Befahren des Okeanos die Gewissheit, eine weitere weltumspannende Grenze überschritten und damit eine dem Herakles würdige Leistung vollbracht zu haben. Vielleicht versöhnte ihn dies ein wenig mit der Tatsache, dass er am Hyphasis den Indienfeldzug auf Druck seiner Kampfgefährten hatte abbrechen müssen.

Ebenso aufsehenerregend wie Alexanders Rückkehr aus dem Inneren Asiens war die Fahrt des Nearchos durch den bis dahin weitgehend unbekannten Indischen Ozean. Während Nearchos mit seiner Flotte auf die günstigen Monsunwinde hoffte – auf die er fast drei Monate warten musste, bis er schließlich seine abenteuerliche Küstenfahrt bis zur Mündung des Euphrat antreten konnte138–, trat Alexander im September 325 v. Chr. entlang der Küste Gedrosiens die Rückkehr nach Westen zu Lande an.139 Gedacht war an die Durchführung einer kombinierten See- und Landoperation, wie sie bereits an der Donau, in Phönikien, in Ägypten und am Indus stattgefunden hatte. Im Unterschied zu den vergleichbaren Unternehmungen galt diese jedoch als weitaus gefährlicher. Die Kenntnisse der Seefahrtsrouten im Indischen Ozean waren mangelhaft und der Landweg durch die Gedrosische Wüste barg unkalkulierbare Risiken in sich. Bald drang der gesamte Heereszug in die Wüste ein.140 Es dauerte nicht lange, bis die am Weg gelagerten oder von den Mannschaften mitgeführten Vorräte verbraucht waren. Dann folgten wochenlange Märsche unter schwierigsten klimatischen Bedingungen, welche die Moral der Truppe zersetzten. Hinzu kam der akute Wassermangel. Menschen und Tiere kämpften ums nackte Überleben. In Unkenntnis des Geländes wurde mancher Umweg eingeschlagen. Der gerade Weg entlang der Küste erwies sich wegen seiner ungeheuren Widrigkeiten als ungangbar, und so musste man notgedrungen landeinwärts einbiegen. Dabei riss die Verbindung mit der am Indischen Ozean nach Westen segelnden Flotte gänzlich ab. Beide Heeresformationen wussten nichts voneinander, verloren jeden Kontakt und irrten jede für sich ziellos umher: Nearchos mit seinen Schiffen am Indischen Ozean und Alexander mit seinem Heer in der Wüste von Makran. Als etwa zwei Monate nach dem Abmarsch aus Ora Ende 325 v. Chr. die gedrosische Hauptstadt Pura erreicht werden konnte, war Alexanders Heer ein Schatten seiner selbst.141 Völlig entkräftete und kranke Soldaten bedurften der Pflege und Rekonvaleszenz. Die gewaltige physische Überbeanspruchung hatte bei allen Teilnehmern sichtbare Spuren hinterlassen. Die Mühen waren keineswegs beendet, denn noch lag ein beträchtliches Stück Weg vor ihnen. Da die Verbindung zur Flotte längst abgebrochen war, schrieb Alexander sie ab. Er glaubte nicht mehr daran, sie wiederzusehen.

Erheblich verbessert wurde die überaus betrübliche Bilanz der Operationen der letzten Monate durch das plötzliche Auftauchen der verloren geglaubten Flotte des Nearchos in der Straße von Hormuz unweit von Kap Maketa. Ähnlich wie das Landheer mussten auch die Flottenbesatzungen erhebliche Strapazen erdulden. Von akutem Wasser- und Nahrungsmittelmangel, von Verzweiflung und Orientierungslosigkeit geplagt, stand das Schicksal der mit soviel Erwartung angetretenen Seefahrt oft genug am Rande des Abgrunds. Nur der Beharrlichkeit des Nearchos, der gegen den Rat des Onesikritos handelte142, der Arabien umsegeln wollte, war es zu verdanken, dass die Schiffe Kurs auf den Persischen Golf hielten, bis sie schließlich dort eintrafen. Schier zufällig vernahmen einige an Land gegangene Seeleute, dass sich Alexanders Landheer nur wenige Tagesmärsche vom Schiffslager entfernt befand. An der Spitze eines Suchtrupps gelangte Nearchos zum Lager des Königs, der sich über die Rettung der Flotte angeblich mehr als über die Eroberung Asiens gefreut haben soll.

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