Читать книгу Die Alte Welt - Pedro Barceló - Страница 13

Indien

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Indien übte eine unleugbare Faszination auf Menschen des mittelmeerisch geprägten Kulturkreises aus. Galt doch der weitgehend unbekannte Subkontinent als eine Art Wunderland, weit entfernt, sonderbar, rätselhaft und märchenhaft, reich an Gewürzen und exotischen Gütern zugleich.76 Eine entscheidende Wende im Prozess der Erschließung des Landes für den Westen erfolgte als Konsequenz des Alexanderzuges im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts v. Chr. Der überaus wissensbegierige Makedonenkönig, der zuvor Ägypten seinem Herrschaftsbereich einverleibt hatte, ließ es sich nicht nehmen, das andere geheimnisumwitterte Territorium am östlichen Rande des weltumspannenden Okeanos aufzusuchen und zu erobern, um wie einst Herakles oder Dionysos damit bis an die Grenzen der damals bekannten Welt vorzustoßen. Folgerichtig betrat Alexander nach der Besetzung Baktriens, das heutige Afghanistan, an der Spitze einer imponierenden Streitmacht, nachdem er den Kyberpass überschritten hatte, das Gebiet des verbündeten indischen Fürsten Taxiles (westliches Pakistan). Dieser übergab ihm seine Hauptstadt Taxila (nahe bei Rawalpindi), wo zahlreiche ausgediente Soldaten sich von den Strapazen des Feldzuges erholen und eine neue Heimat finden konnten. Hier lernten die aus dem griechisch-makedonischen Raum stammenden Fremden intensiv die indische Stadtkultur mit ihren fremdartigen religiösen Gebräuchen, ihrer in Kasten gegliederten Gesellschaft, den Asketen, Fakiren und Brahmanen sowie den zahllosen Kuriositäten des Landes kennen. Besonderes Interesse zeigte Alexander für die Gymnosophisten, die eine ähnliche Lebensweise wie die im griechischen Kulturkreis wirkenden Kyniker zu pflegen schienen, und so lud er sie zu seiner Tafel.77 Einen von ihnen, Kalanos, nahm er in sein Gefolge auf.78 Die Begegnung beider Welten bewirkte gegenseitiges Erstaunen, schuf Missverständnisse zuhauf und wurde bald zu einem Thema, das sich in einem Gestrüpp von Legenden verfing.

Obwohl die Öffnung des Landes nach Westen in der Alexanderzeit und in der sich anschließenden hellenistischen Epoche zweifellos dazu beitrug, die Kenntnisse über Indien zu vermehren und gleichzeitig eine Intensivierung der Handelsrouten zu Wasser und zu Lande zu befördern, blieb diese Region dennoch aus der Perspektive der Mittelmeerwelt ziemlich unzugänglich, ja randständig und fremd. Zwar gab es seit der Diadochenära eine unübersehbare, allerdings schlecht quantifizierbare griechisch-makedonische Präsenz in den eroberten indischen Territorien; trotzdem vermochten diese Gebiete keine angemessene Rolle, die ihrer Größe entsprochen hätte, zu spielen. In den politischen Planungen des seleukidischen Reiches, das sich eindeutig nach Westen hin orientierte, blieb der Stellenwert Indiens von untergeordneter Bedeutung. Die gewaltige Entfernung zu den Brennpunkten der mittelmeerisch zentrierten Weltsicht der Seleukiden sowie die für die Menschen aus dem Westen schwer erträglichen klimatischen Bedingungen des indischen Subkontinents erwiesen sich als zusätzliche Hindernisse für eine tiefere Integration dieser fernab liegenden Regionen in den Gesamtrahmen der seleukidischen Reichspolitik.

Erst in der frühen Neuzeit und angelockt durch die angeblich ungeheuren Reichtümer, die dort zu erlangen seien, wird durch die Odyssee des seefahrenden Visionärs Christoph Kolumbus der Fokus der Aufmerksamkeit und die unersättliche Gier der europäischen Mächte sich verstärkt nach den fernen indischen Territorien richten. Dass die eklatanten Fehlplanungen des Kolumbus auf der Suche nach dem kürzesten Weg von Westeuropa nach Indien zur unfreiwilligen Entdeckung Amerikas führen sollten, ist einerseits als Ironie der Geschichte zu werten. Andererseits bleiben die Spuren dieses gewaltigen Missverständnisses bis auf unsere Gegenwart sichtbar. Noch heute trägt die vor der amerikanischen Küste sich ausbreitende Inselwelt den bezeichnenden Namen Westindien. Wie bereits Alexander der Große, der mit seinem indischen Feldzug angesichts der Größe, Entfernungen und Beschaffenheit des Landes spektakulär scheiterte, sollte sich auch Kolumbus mit Bezug auf Indien – wenn auch aus einer völlig anderen Perspektive, denn er hat bekanntlich niemals indischen Boden betreten – nicht minder grandios verrechnen.

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