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8 Orbis terrarum und Okeanos als variable Größen

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Präzise Vorstellungen über Reichweite und Beschaffenheit von Grenzen hatten die Mehrzahl der antiken Menschen ebenso wenig wie die Erdenbewohner späterer Epochen. Zwar besitzen wir heute allerlei Landkarten, Atlanten oder Reliefzeichnungen, um jene Linien, die Bezirke, Staaten oder territoriale Einheiten konturieren, zu visualisieren; aber es ist ein weiter Schritt bis zur vollständigen topographischen, beziehungsweise kognitiven Erfassung der betreffenden Raumeinheiten. Da die Menschen früherer Jahrhunderte unsere heutigen Hilfsmittel entbehren mussten, hatten sie es noch schwerer, sich einen genauen Begriff von der Gestalt und den Dimensionen ihrer Welt zu machen. Sie suchten nach Behelfskonstruktionen: Berge, Gebirgsketten, Flüsse, Seen, das Meer, Wüsten, undurchdringliche Wälder oder gut unterscheidbare Fluren dienten dazu, Eindrücke von der Ausdehnung und Reichweite bestimmter Raumzonen zu vermitteln. Die Bürger der griechischen Stadtstaaten hatten es angesichts der geringen Größe und Überschaubarkeit ihrer Gemeinwesen naturgemäß leichter, sich damit zurecht zu finden, als etwa die Einwohner der großen Territorialstaaten. Die Grenzen der römischen Provinzen in Nordafrika oder im syrisch-arabischen Raum etwa wurden aufgrund des Ineinandergreifens von Kulturland und Wüste ständig verändert, neu vermessen und den sich wandelnden topographischen und politischen Gegebenheiten angepasst. Dies galt ebenso für die Festsetzung jener Grenzbereiche, die das römische Reich von seinen Nachbarn in den stark umkämpften Krisengebieten der eigenen Herrschaftsperipherie schied. Dass Grenzen nicht statische, sondern überaus dynamische, jederzeit veränderbare Markierungslinien darstellten, hatten schon alle großen Staatsschöpfungen des Altertums erfahren müssen. Wie weit reichte das Achaimenidenreich nach Osten hin? Wo lagen die südlichen Grenzen des ägyptischen Ptolemäerreiches? Wer konnte mit Sicherheit den genauen Verlauf der limites des Imperium Romanum bestimmen? Wie weit reichten die Randzonen der mittelmeerisch geprägten Welt nach Norden hin und nach den Ländern des Ostens? Was wussten die mittelmeerischen Völker über Skandinavien, die sibirischen Steppen oder gar Fernost?

War es an sich schon schwierig, den Umfang der Landmasse, die den orbis terrarum ausmachte, zu benennen, so erwies sich die nähere Bestimmung der Umrisse aller Meere und Ozeane, welche die bewohnbare Welt umspannten, als nahezu unmöglich. Verantwortlich dafür war die eigene Einbettung in einen sich kaum verändernden Lebensbereich. Wandlungen der geopolitischen Landkarte standen meist in Zusammenhang mit abenteuerlichen Expeditionen, Eroberungen und gezielten Erkundungen der Randzonen der damals bekannten Welt. Am vertrautesten war das Mittelmeer, das aufgrund seiner relativen Abgeschlossenheit und intensiven Befahrung seitens der Völker, die an seinen weitläufigen Küsten lebten, viel von seiner ursprünglichen Bedrohlichkeit eingebüßt hatte. In der Zeit zwischen Homer und Augustus hatten die Kenntnisse der Navigationsrouten, die Sicherheit der Seefahrt und das Wissen über Entfernungen, Untiefen, Winde und sonstige Naturgegebenheiten, welche die Seefahrt maßgeblich bestimmten, deutlich zugenommen. Verantwortlich dafür waren kühne Seefahrer, welche die vom Ozean umschlossenen Grenzgebiete der Welt erforschten. Einer der wagemutigsten unter ihnen war der Karthager Hanno.

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