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DER GITARRENZUPFER

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Seine Gitarre wurde ihm Spazierstock, Waffe, Statussymbol, Schutzschirm und Renommierstab. In Hibbing wissen noch einige, wie er die Straßen hinauf und hinab zog, die Gitarre mit einem Lederriemen über die Schulter gehängt. Chet Crippa erinnert sich, dass Bob auch bei schlimmster Kälte seine Gitarre dabei hatte. Als Dylan wuchs, wuchs er nach innen, wurde weniger mitteilsam. Er schenkte seine Aufmerksamkeit dem Freund, dem er wirklich vertrauen konnte: seiner Gitarre. Wie ein Bluesman aus dem Delta ging er mit dem Instrument wie mit einem Vertrauten und Kumpel um. »Ich bin nicht jagen gegangen, nicht fischen, ich hab nicht im Basketballteam gespielt«, sagte Dylan später. »Ich hab nur auf der Gitarre gespielt und meine Lieder gesungen. Das war für mich genug. Meine Freunde waren wie ich, Leute, die es nicht beim Football zu was bringen konnten, die als Juniorchef der Handelskammer versagen würden wie in der Zunft der Marktschreier oder als Lkw-Fahrer, der sich durchs College schuftet. Ich konnte das alles nicht. Alles, was ich getan habe, war schreiben und singen, kleine Bilder auf Papier malen, mich in Situationen auflösen, durch die ich unsichtbar wurde.«

Dylans »Unsichtbarkeit« war teilweise die des Fremden, der sich assimiliert. Die 30 oder 40 jüdischen Familien von Hibbing mussten sich noch immer gegen die Kälte der anderen Einwohner schützen. Abe, der gern Golf spielte, konnte nicht Mitglied des Mesabi Country Club werden. Stattdessen spielten David und er auf dem öffentlichen Platz und setzten dies auch fort, nachdem Mesabi die Regeln gelockert hatte. Bob spielte nur einmal Golf: Da er nicht schnell genug lernte, gut zu spielen, verlor er das Interesse.

Seine Unsichtbarkeit kam aber auch von innen. Er begann, persönliche Abgeschiedenheit bei dennoch öffentlicher Anerkennung zu wünschen. Ein echter Zwilling - der Introvertierte rang mit dem Extrovertierten, der scheue Junge wurde dreist, der nette Kerl wurde feindselig, der fleißige Junge geriet auf Abwege. In ihm waren zwei Stimmen. Von Abe übernahm er eine langsame und bedächtige Art, Wörter von sich zu geben, wie ein Indianer, während er von Beatty ein ständiges Fließen lebhafter Emotionen erbte. Seine Zunge konnte sich manchmal nicht so schnell bewegen wie seine Gefühle. Seit der Jugendzeit waren die Pendelschläge seiner Einstellungen und Launen immer extrem. »Ich hasse es, das Voraussagbare zu tun«, sagte er mir, und mit etwa 15 begann er, unvoraussagbar zu werden, als der Introvertierte seine High School mit wildem Rock'n'Roll terrorisierte; der Stubenhocker zum Motorradcowboy wurde; der höfliche Junge so rotzig wurde, wie es nur ging; der Antisentimentalist in Liebe verfiel, bis diese zerbrach; der Sohn der Mittelschicht die meiste Zeit mit Armen verbrachte; der weiße Junge schwarzen Jargon einstudierte.

»Wo ich gelebt habe«, erzählte mir Dylan später, »war wirklich ein Land der Hinterwäldler. Die Radiosender, die ich gehört habe, waren nicht die aus der Umgebung, sondern kamen aus Louisiana, den ganzen Mississippi rauf.« Hibbings Sender, WMFG, war spießig, bevor und nachdem Bobs Vetter Les Rutstein 1958 dort Manager wurde. Bob hielt Les oft vor, weder Rock'n'Roll noch Rhythm & Blues auszustrahlen. Noch 1968 beharrte Les darauf, seine Hausfrauen wollten nur »alte Kamellen«. »Wir machen keine Programme für die jungen Leute«, sagte er mir. »Das soll Duluth tun!« In den frühen Fünfzigern spielte WMFG Popsongs wie »Too Young« von Frankie Laine, »The Song From Moulin Rouge« von Michel Legrand, »Love Is A Many-Splendored Thing« von The Four Lads und Songs von Guy Mitchell, Doris Day und Perry Como für den absoluten Durchschnittsgeschmack. Bill Haley and His Comets? Nicht in Hibbing!

Bis er in Elvis Presleys Schatten geriet, war Haley der erfolgreichste weiße Rock'n'Roll-Musiker. Schon 1953 hatte er schwarze Rhythm-and-Blues-Hits aufgenommen. Haleys erster Rockhit war eine Neufassung von Ivory Joe Hunters »Shake, Rattle And Roll«. Vom schwarzen R & B (Rhythm and Blues) übernahm er Choreographie und optische Effekte, von der Countrymusik den Akzent und die Bühnenroutine. Haley wollte seine Textbotschaften einfach und fröhlich verkünden, mit der Möglichkeit, für eine Weile der Welt zu entfliehen. Er sagte einmal: »Ich persönlich war gegen Protest- und Jammerlieder. Meine Vorstellung beim Rock'n'Roll war, die Kids glücklich zu machen … Kids … haben es mit Problemen zu tun …, wenn sie älter werden, und ich finde es falsch, ihnen die Probleme schon aufzutischen, wenn sie noch so jung sind …«

Haleys Platten, vor allem »Rock Around The Clock«, wurden weltweit bekannt durch den Film Saat der Gewalt (1955) über eine problematische High School in der Großstadt. Die Rockwelle war seit 1951 im Kommen, als der Diskjockey Alan Freed die neue Musik im Radio von Cleveland immer wieder spielte. 1954 war der Rock'n'Roll bis in die größeren Sender an der Küste vorgedrungen, aber WMFG ignorierte ihn. Dylan musste sein Radio auf eine Frequenz einstellen, die ihn mit den Farmern von Louisiana und den Truckern von Tennessee verband. »›Henrietta‹ war die erste Rockplatte, die ich gehört habe«, sagt Dylan. Und er nennt Johnny Ray »den ersten Sänger, dessen Stimme und Stil mich vollkommen hinriss«.

Bob unternahm die meisten seiner Radioreisen den Mississippi hinunter spät in der Nacht, wenn der Äther klarer war. Oft steckte er seinen Empfänger unter die Bettdecke, um keinen mit dem Sound zu wecken, den er aus Shreveport oder Little Rock empfing. Gatemouth Page, ein schlagfertiger Diskjockey aus dem Süden, spielte abwechselnd Countrymusik und R & B. Während Bill Haley beide Musikrichtungen miteinander verschmolz, sendete Dylans Radio sie einzeln. 1954 brachte McCall's Magazine mehrere Leitartikel über das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Es entstand ein idyllisches Porträt des amerikanischen Familienlebens, eine Art Neuauflage von Norman Rockwells Titelbildern für die Saturday Evening Post, von Andy Hardys Filmen und OneMan 's Family. Für Bob Dylan, der sich nach dem Eintritt in die High School zunehmend von seiner Familie abgesondert hatte, war dieses Gefühl ein mitternächtliches Radioprogramm aus dem Süden. Es sagte ihm, dass schwarze und weiße Musik sehr gut zusammenpassten.

I learned t' choose my idols well

T' be my voice an' tell my tale

An' my first idol was Hank Williams …[57]

(Ich lernte, meine Idole gut zu wählen, / Dass sie meine Stimme waren und meine Geschichte erzählten / Und mein erstes Idol war Hank Williams …)

Hiram »Hank« Williams war für Millionen Farmer, Trucker und Fabrikarbeiter der »Hillbilly-Shakespeare«. Er wurde in einem Blockhaus in Alabama geboren und erhielt seinen einzigen Musikunterricht von Tee-tot, einem schwarzen Straßensänger. Williams schrieb 125 Songs; Dutzende von ihnen klingen trotz ihrer schlichten Texte pathetisch. »I'm So Lonesome I Could Cry«, »Your Cheatin' Heart«, »Cold, Cold Heart« und »Alone And Forsaken« erzählen von einer Welt des Verlusts und der Einsamkeit. Hank Williams machte seine traurige Welt noch trauriger, indem er 29-jährig am Neujahrstag 1953 starb. Die offizielle Todesursache lautete: Herzanfall. Inoffiziell starb er an zu viel Leben, Alkohol und Drogen.

War Hank Williams der Poet der frühen Fünfziger, so war Little Richard die Explosion, ein John Henry[58] des Rhythm & Blues. Richard Penniman, geboren 1935 in Georgia, begann mit zehn Jahren in Kirchen und an Straßenecken zu singen, ehe er als Profi herumzog, mit Sugarfoot Sam from Alabam und Dr. Hudson's Medicine Show. Seine Musik und sein Leben pendelten zwischen dem Sakralen und dem Säkularen, den Tabernakeln und den Bumslokalen. Er schien besessen, röhrte und raste umher mit dämonischer Kraft, was John Lennon dazu brachte, ihn als den ersten Ur-Schreier zu bezeichnen. Er war eine Brücke zwischen schwarzem Gospel und modernem Soul. Elvis nahm seine Songs auf. Die Rolling Stones und die Yardbirds mochten seinen Stil, Paul McCartney verehrte ihn. Mitte der Fünfziger immatrikulierte sich Dylan als Student von Little Richard an der Universität des Radios und lauschte seiner wilden Predigt: »Meine Musik ist die heilende Musik, die die Stummen und Tauben hören und reden lässt …« Little Richard zog sich für kurze Zeit zurück, um Theologie zu studieren, kam dann 1962 wieder ins Showgeschäft. Er arbeitete in The Cavern in Liverpool mit den Beatles, brachte ihnen den richtigen Einsatz des schrillen Falsettjaulers bei, die »yeah, yeah, yeah«-Richtung. Dylan, der Little Richard nie persönlich kennengelernt hatte, assimilierte sieben Jahre früher als die Beatles seinen Stil. Das High-School-Jahrbuch von 1959 verzeichnet Bobs Berufswunsch: »Der Band von Little Richard beitreten«.

Dankbar für diese frühen musikalischen Einflüsse, aber unzufrieden mit sich selbst, weil er vieles nicht verstanden hatte, erzählte Dylan mir einmal: »Das war typisch für einen Heranwachsenden. Wenn man jemanden braucht, an den man sich hängen kann, um was herauszukriegen, dann sucht man sich einen. Ich hab das mit vielen Leuten gemacht; das ist auch der Grund, weshalb ich so viele Veränderungen durchgemacht habe. Ich habe eine Menge Zeug geschrieben wie Hank Williams, aber ich bin nie dahinter gekommen, wieso seine Songs solche Ohrwürmer oder so klassisch waren. Was Presley angeht, da kenn ich keinen in meinem Alter, der nicht irgendwann mal genau wie er gesungen hat. Oder wie Buddy Holly.« Und noch während er musikalische Idole anhäufte, trennte er sich auch wieder von ihnen und baute auf sich selbst. So schrieb er später:

In later times my idols fell

For I learned that they were only men …

But what I learned from each forgotten god

Was that the battlefield was mine alone …[59]

(Später stürzten meine Idole, / Denn ich begriff, dass sie nur Menschen waren … / Aber was ich von jedem vergessenen Gott lernte, / War, dass das Schlachtfeld mir allein gehörte .)

Später erinnerte er sich jedoch der vergessenen Götter wieder. Während seiner Welttour 1978 erzählte mir Dylan von seiner Reaktion auf Elvis' Tod: »Es war so traurig. Ich bin zusammengebrochen … eines der ganz wenigen Male. Ich bin mein ganzes Leben durchgegangen, meine ganze Kindheit. Ich habe eine Woche lang mit niemandem gesprochen. Ohne Elvis und Hank Williams hätte ich das nicht machen können, was ich heute mache.«

Bald nachdem Dylan den Umgang mit seiner ersten Gitarre gelernt hatte, wollte er ein größeres, auffälligeres Instrument. Er sah es in einem Katalog von Sears: türkis mit einer kleinen weißen Schwinge neben den Saiten. Er sparte für die Anzahlung von 20 Dollar und die 19 Dollar, um es abzuzahlen. In der Befürchtung, sein Vater werde sich ärgern, versteckte Bob die neue Gitarre, bis er sie ganz bezahlt hatte. Aber Abe musste immerhin Bobs Findigkeit bewundern. Bob bekam kein wöchentliches Taschengeld, aber er kaufte sich dennoch so viele Platten, wie er sich nur leisten konnte. Seine erste Sammlung waren 78er von Hank Williams. Dann ging er über zu den neuen 45ern von Little Richard, Buddy Holly, Hank Thompson. Bob rotierte zwischen Plattenspieler, Gitarre und dem Familienklavier, wo er Little Richard nachäffte, der vom Mikrofon zum Klavier tanzte, um stehend auf den Tasten herumzuhämmern. Alles, was Bob nun brauchte, war eine Band. 1968 erzählte mir Le Roy Hoikkala, ein zurückhaltender, schmächtiger Elektroniker:

»Eines Tages traf ich Bob in der Stadt, und wir haben angefangen, über Musik zu reden. Ich war gerade vom Schlagzeug besessen. Monte Edwardson war Gitarrist, und so um 1955 haben wir drei uns für ein paar Sessions in Bobs Garage zusammengesetzt. Monte machte die Melodiegitarre, Bob Rhythmus und Gesang. Wir meinten, wir hätten das Zeug zu einer Band, und wir haben beschlossen, uns The Golden Chords zu nennen. Keiner war Boss. Für Bobby war damals Little Richard wirklich ein Idol. Rock fing damals erst an. Haley und Presley begannen gerade, groß herauszukommen …

Dann haben wir nach und nach ein paar Jobs gekriegt, bei Moose Lodge und PTA-Treffen[60] gespielt. Und wenn es irgendwo einen Talentwettbewerb gab, waren wir dabei. Ich werde nie jenen Wettbewerb im Hibbing Memorial Building vergessen. Die Preisrichter waren Mitglieder der Handelskammer; man konnte also nicht erwarten, dass sie allzu viel von Musik verstanden. Nach dem Beifall des Publikums gewannen die Golden Chords, aber die Richter gaben den ersten Preis einem Mädchen, das klassisches Klavier spielte. Die Kids haben die Entscheidung ausgebuht, weil wir nur Zweiter wurden.«

Die Golden Chords spielten ein paar Country-Songs, wie Johnny und Jacks »I'll Be Home«, aber Bob lenkte das Trio bald hin zu Little Richards Extrovertiertheit. Le Roy war beeindruckt von dem Tempo, mit dem Bob einen Song fertigstellte. »Er hat oft Songs direkt am Klavier geschrieben. Setzte einfach ein paar Akkorde und begann dann darüber zu improvisieren. Ich weiß noch, dass er einmal einen Song im R & B-Stil über einen Zug gesungen hat. Er konnte in allerkürzester Zeit einen Song hinkriegen, der Hand und Fuß hatte.« An Sonntagnachmittagen verdrückte Bob sich von zu Hause und ging zu Jam Sessions in Van Feldts kleiner Snackbar, Ecke 4th Avenue und 19th Street. Monatelang war es dort voll von jungen Leuten, die es zum Szenelokal von Hibbing machten. Die Golden Chords veranstalteten öffentliche Proben, die vom jungen Publikum als Shows verstanden wurden. Dylans weitere Bands in Hibbing hießen: Shadow Blasters und Elston Gunn and the Rock Boppers. Weil es sonntagnachmittags war, erhoben keine Eltern Einspruch. Letzten Endes würden die Jungen ja bald zu alt sein für diesen Unfug.

Bob Dylan - No Direction Home

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