Читать книгу Bora oder Brüche zwischen zwei Schnitten - Walter Kranz - Страница 12

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Während Bernard die Rotweinflasche entkorkt, bettet sich Elisabeth wieder in die Sofaecke. Ihre Bewegungen sind weich und rund und befinden sich in deutlichem Gegensatz zu den gespreizten, starren Zuckungen, mit denen sie sich angesichts des Blutes am Unfallort langsam davon quälte, jenem Arzt zu, der ihr schnellwirkende Medikamente verabreichte.

Bernard serviert den Wein. Dann setzt er sich zu Elisabeth und sie trinken auf das gemeinsame Wohl. Elisabeth lächelt. Nein, nicht verlegen. Eher scheu. Aber lieb. Bernard meint dennoch zu spüren, dass sie, trotz allen Charmes und aller Nettigkeit, weiß was sie will.

„Wie war das mit Andreas und dem Terrorismus?“ fragt Bernard und schafft damit den scharfen und kantigen Bruch eines kontinuierlichen Schweigens. Elisabeth räuspert sich, presst die Schenkel zusammen, stemmt die Beine gegen den Boden und drückt die Schultern in die gepolsterte Lehne. Es ist kaum zu bemerken, aber es fällt ihr doch nicht so leicht, darüber zu reden.

Dann überwindet sie sich doch.

„Das war so: Andreas schlitterte in diese dumme Geschichte hinein, die ihn nicht mehr loslassen sollte. Sie hielt ihn umklammert. Hatte ihre spitzen Krallen fest in seinem Leben, obwohl nie nachgewiesen wurde, dass er je gewalttätig war. Er selbst hat Gewalt immer bekämpft. Sein Werdegang zeigte nicht in Richtung Gewalt. Ebenso wenig sein Bildungsweg. Von einigen forschen Demonstrationen abgesehen. Eigentlich deutete alles daraufhin, dass Andreas in jener Mehrheit verschwinden würde, aus der keiner kriminalistisch oder medial interessant werden könnte. Das war so bis zu dem Tag, an dem sie ihn in einem kleinen Restaurant vom Nachmittagskaffee weg verhafteten.

Es geschah ohne Aufsehen. Niemand im Lokal bemerkte die Verhaftung, die ohne Handschellen und ohne Kommandos vor sich ging. Im Gegenteil. Die Männer in Zivil kamen, setzten sich in der Nähe von Andreas an einen Tisch, wechselten dann an seinen Tisch, gaben sich als Polizeibeamte zu erkennen und baten ihn mitzukommen. Er sei verhaftet, sagten sie, und auf seine einzig mögliche Frage antworteten sie, das werde er schon rechtzeitig erfahren.

Andreas wollte bezahlen, aber die Beamten waren zuvorkommend. Die Zeche gehe zu Lasten des Steuerzahlers, lachten sie und forderten Andreas höflich aber bestimmt zum Gehen auf.

Auf dem Polizeiposten wurde Andreas nach seinen Personalien, seinem Leben, seinem Umfeld befragt. Teilweise drangen sie tief in seine Persönlichkeit ein. Und dann die quälenden Fragen! Von links. Von rechts. Von oben. Von unten. Von vorne. Von hinten. Manchmal quer diagonal aus der Schräge: Welchen Freundeskreis er habe. Ob er je einmal mit der oder jener oder sogar mit dem oder jenem. Wo er damals, an genau benanntem Datum , gewesen sei. Ob er ein Alibi habe. Warum er öfters dort sei wo er viel sei. Andreas gab Antwort, so gut er konnte, so viel er wusste, und dennoch wiederholten sie sich. Ständig. Stündlich. Immer wieder.“

Elisabeth hält abrupt inne. Ihr Ausdruck signalisiert, dass sie im Begriff ist, ein Geheimnis zu verraten. Dass sie gerade ein Versprechen bricht.

Bernard befürchtet eine ähnliche Reaktion wie an der Unfallstelle. Er bittet Elisabeth, das Medikament einzunehmen, das sie beruhigt hatte. Elisabeth gehorcht. Öffnet die Umhängetasche und wühlt mit der linken Hand nach dem Pillensäckchen.

Trotz ihres angespannten Gesichtes, trotz leichter Zuckungen in den Mundwinkeln, trotz der gegen den Boden gepressten Beine, trotz der fast trotzig in die Polster gestemmten Schultern, wirkt Elisabeth auf Bernard anziehend. Etwas Geheimnisvolles geht von ihr aus. Es ist, als söge Elisabeth Bernard auf. Umhüllte ihn mit einem geheimnisumrankten Mantel. Bernard empfindet es als angenehm, wehrt sich aber dennoch dagegen.

„Und dann? Was geschah dann mit Andreas?“

Elisabeth winkt ab.

„Nicht heute“, sagt sie. „Ich kann nicht mehr. Mag nicht mehr. Will nicht mehr. Nein, bitte heute nicht mehr. Vielleicht bin ich doch nicht so stark, wie ich hoffte zu sein.“

Bernard schaut Elisabeth an und bildet sich ein, er sehe, wie sich in ihren Augen gleichzeitig und gleichförmig Tränen bilden, die auf ihre Brüste tropfen und dass die Wiederholung auf ihren Brüsten dunkle, nasse Flecken hinterlasse.

„Ich muss weiter,“ sagt Elisabeth. „Werden Sie mich morgen anrufen? Oder besser, kommen Sie zu mir ins Büro.“

Bernard begleitet Elisabeth nach unten, sieht ihr nach, wie sie zum Auto geht und denkt nichts dabei. Überhaupt nichts. Nicht einmal, dass sie schön oder hübsch oder nett sei. Nicht einmal, dass er sie besser nicht fahren lassen sollte.

Elisabeth fährt weg. In die Abenddämmerung hinein. Für den Augenblick herrscht Ruhe.

Bora oder Brüche zwischen zwei Schnitten

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