Читать книгу Bora oder Brüche zwischen zwei Schnitten - Walter Kranz - Страница 6

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„Sagen Sie mir, wer Angelika Schweyer ist, wie sie ist, warum sie Sie hasst,“ sagt Bernard auf der Fahrt zum Krankenhaus.

Elisabeth lehnt sich zurück und atmet tief ein und aus. Ihre Brust hebt und senkt sich in langsamem, ausgeglichenem Rhythmus. Sie scheint zu überlegen, zu kämpfen. Dann redet sie doch:

„Frau Schweyer ist eifersüchtig. Sehr eifersüchtig. In einer schlimmen Art eifersüchtig. Ich habe es erfahren, als sie mich anrief und mich beschimpfte. So wie sie hat mich noch niemand beschimpft. Nein. Noch niemand.

Es war, nachdem Paul mich als Sekretärin angestellt hatte. Wenige Tage danach kam ihr Anruf. Sie schrie wie hysterisch ins Telefon. Ich hörte ihre kurzen und heftigen Atemstöße, die sie ausstieß, wenn sie in ihrem Schreien innehielt. Ich solle ihren Mann in Ruhe lassen, schrie sie, und dann: Hure. Jawohl. Dreimal hintereinander. In äußerst giftigem Ton: „Hure, Hure, Hure.“

Zuerst dachte ich gar nichts. Dann wollte ich den Hörer auflegen, erinnerte mich aber daran, dass sie Pauls Frau, meines Chefs Frau ist und dass sie mich ihm empfohlen hatte. Ich behielt den Hörer in der Hand. Noch immer atmete sie streng und schwer und stoßartig. Noch immer überschlug sich ihre Stimme, als sie mir drohte, mich weiter beschimpfte, mir wieder drohte und dann grußlos die Verbindung unterbrach.

Ich war zunächst konsterniert, wusste nicht, was ich tun sollte. Ich verstand die Welt nicht mehr und schon gar nicht diese Frau. Warum sagte sie Hure zu mir? Warum? Hätte sie irgendein anderes Schimpfwort gebraucht, es wäre mir leichter gefallen, ihre Schimpftirade zu verdauen. Aber dieses Wort! Es hat so einen verrufenen Klang. Tönt härter, als wenn sie Luder gesagt hätte.

Zum ersten Mal seit langer Zeit weinte ich, weil mich jemand beschimpfte. Ich saß auf dem Sofa und hielt den Hörer, aus dem ein abgehackter Summton kreischte, in der Hand und ich wünschte mir, mit Paul darüber sprechen zu können.“

Elisabeth hält inne und schaut auf die öde Fahrbahn, die schnurgerade vor ihnen liegt.

„Wir müssen zum Krankenhaus“, sagt sie, „nicht zum Betrieb.“

Bernard schrickt auf. Er wäre zum Betrieb gefahren, anstatt zum Krankenhaus. Bernard nickt und schummelt: „Ich weiß.“

Dann redet Elisabeth weiter.

„Bei der ersten Gelegenheit sprach ich mit Paul über das Telefongespräch. Er hörte mir zu und lachte. Dann meinte er, ich solle das nicht so tragisch nehmen. Das mache sie immer so. Paul konnte nicht begreifen, was es heißt, wenn eine Frau Hure geschimpft wird. Kann das überhaupt ein Mann begreifen? - Paul, obwohl er intelligent ist und Erfolg hat und weltgewandt ist und in bester Gesellschaft verkehrt, benahm sich nicht anders, als andere Männer. Auch er war unfähig, eine Frau zu begreifen. Auch er lachte bloß, als ich mit ihm über das Problem sprach. Er lachte vielleicht ironischer und zynischer als manch andere Männer es in vergleichbaren Situationen zu tun pflegen.“

Elisabeth gestikuliert heftig mit den Händen.

„Sie müssen links einspuren“, ruft sie, weil Bernard keine Anstalten macht, zum Krankenhaus zu fahren.

„Ich weiß“, knurrt Bernard, obwohl er das Krankenhaus schon wieder vergessen hat.

Entgegen Bernards Erwartung sagt Elisabeth bloß noch: „Hure, hat sie zu mir gesagt. Verstehen Sie? Hure.“

Bora oder Brüche zwischen zwei Schnitten

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