Читать книгу Bora oder Brüche zwischen zwei Schnitten - Walter Kranz - Страница 3

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Der erste Schnitt! Dieser Lärm! Das ewig gleichbleibende monotone Geplärr eines Rasenmähers, mit dem die Menschen den Feierabend oder das Wochenende belästigen. Weil sie ihrem Garten einen Bürstenschnitt verpassen wollen. Verpassen müssen, weil die Nachbarn auch mähen, und andere Leute über einen reden könnten, hätte man den eigenen Garten nicht frisiert! Dieser Lärm. Dieser Lärm lähmt Bernard beinahe.

Dabei sollte Bernard sich doch konzentrieren, einarbeiten, vorbereiten, weil er in Kürze im Betrieb sein muss, zum ersten Mal Herrn Direktor Schweyer gegenüber, der irgendwo der Globalisierung, dem Wachstum und den Finanzmärkten das Wort redet.

Jetzt rattert der Mäher an Bernards geöffnetem Fenster vorbei. Der Mähende ist ergriffen von seiner Arbeit. Seine einzige Abwechslung im ruhigen, ruhelosen Auf und Ab ist, sich bücken und einen Stein, einen unscheinbaren, fingerhutgroßen Stein, aufzuheben und in den Kieselsteinweg zu werfen.

Dann geschieht es: der Motor stottert, würgt, stirbt ab.

Es ist wohltuend. Der Lärm ist weg. Bernard könnte sich jetzt konzentrieren, einarbeiten, vorbereiten. Aber irgendetwas lässt ihn nicht konzentrieren. Nicht einarbeiten. Nicht vorbereiten. Irgendetwas zwingt Bernard, dem Mähenden zuzusehen. Ihm zuzuhören. Bernard sieht, wie der Mähenwollende an der Leine zieht. Sieht, wie er in den Motor hinein flucht, weil der nicht anspringen will. Sieht, wie er abermals und wiederholte Male versucht, den Motor anzureißen. Es gelingt ihm nicht.

Irgendetwas zwingt Bernard zu ihm hinaus.

„Geht er nicht mehr?“

„Nein, geht nicht mehr. Bis hierher und nicht weiter. Geht einfach nicht weiter. Warum sollte er auch? Ist bislang Jahre gegangen. Problemlos. Störungsfrei und ohne Wartung! Benzin hinein und ab ging's! Gemäht hat der, sag ich Ihnen! Schauen Sie, schauen Sie genau hin und besehen sie den feinen gleichmäßigen Schnitt. Doch, doch, Sie dürfen ihn befühlen, Ihnen erlaube ich das.“

Wie von Zwang bedrängt, bückt Bernard sich und befühlt mit flacher Hand den als solchen beschriebenen, feinen gleichmäßigen Schnitt.

„Stimmt“, sagt Bernard, wirklich fein und ebenmäßig. - Was fehlt ihm denn?“

Der Mähende weiß keine Antwort. Er hebt die Achseln und schweigt weiter in den Motor. Bernard benimmt sich so, als verstünde er etwas von Rasenmähern. Er kniet nieder, horcht auf Geräusche, die etwas, er weiß selbst nicht was, ausdrücken sollen. Dann hat Bernard es entdeckt:

„Sehen Sie“, sagt er mit triumphierender Stimme, „das Gaskabel. Es ist gebrochen. Sie können den Motor anwerfen, so viel und so lange Sie wollen. Er wird Ihnen absterben. Immer wieder absterben.“

Der Mähende fragt, wie das geschehen konnte. Antwort weiß Bernard ehrlicherweise keine: „Sagten Sie nicht, störungsfrei und ohne Wartung?“

Ein Wort gibt Anlass zum nächsten. So unterhalten sie sich über Rost an Gaskabeln und Rost im Allgemeinen und über die Zerrostung der Welt. Sie reden über gebrochene Gaskabel und wie Brüche überhaupt entstehen. Sie reden über verschiedene Arten von Brüchen. Dabei übertreffen sie sich gegenseitig. Sie starten beim Gaskabelbruch, kommen über Beinbruch, Eingeweidebruch, Schädelbruch, zur geologischen Verwerfung als Bruch, zum Bruch in der Jagd, zu mathematischen Brüchen, bevor sie über Stilbrüche bei Brüchen in der Biografie von Menschen landen. Dabei listen sie nur auf. Ins Detail gehen sie nicht.

Weil sie sich verplaudern, muss Bernard sich beeilen. Noch schnell einen Blick auf Notizblock und Kugelschreiber, Bernard schreibt konsequent nur mit Kugelschreiber, Bleistift oder Filzstift. Ein Notebook mag er nicht mit sich schleppen. Da ist er bereits altmodisch. Dann setzt er sich in den Bus und ab geht's. Hin zu Paul Schweyer.

Auf der Fahrt regt sich etwas wie ein schlechtes Gewissen, weil Bernard die letzte Gelegenheit zur Konzentration und Einarbeitung vertan hat. Weil er sich mit Rasenmähern und gebrochenen Gaskabeln und unterschiedlichen Brüchen beschäftigt hat, anstatt sich mit der Person Paul Schweyer zu befassen.

Bora oder Brüche zwischen zwei Schnitten

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