Читать книгу Bora oder Brüche zwischen zwei Schnitten - Walter Kranz - Страница 19

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Angelika Schweyer macht Bernards Erinnern ein Ende. Sie kommt langsam, fast bedächtig, die Treppe herunter. Gekleidet in einen dunkelbraunen Morgenmantel, der bei jeder Stufe in Wallung gerät, jedoch nicht rauscht. Es ist überhaupt still und ruhig. Fast peinlich still und ruhig. Bernard steht auf und geht zögerlich zwei Schritte Frau Schweyer entgegen. Sie sieht ihn an, sieht noch einmal hin, nickt dann und sagt:

„Kommen Sie. Wir werden gemeinsam frühstücken.“

Bernard versucht, ihr zu erklären, dass er eigentlich nie frühstücke. Nein, nicht einmal eine Tasse Kaffee. Aber Frau Schweyer drängt ihn vor sich her, dirigiert ihn zum ovalen Frühstückstisch, dessen Gedeck sich als edel offenbart.

Frau Schweyer setzt sich am spitzigeren Rund des Ovaltisches. Bernard bittet sie am flacheren, längeren Teil Platz zu nehmen. Ihm gegenüber ist auch gedeckt. Der Platz ist aber noch frei.

Frau Schweyer nötigt Bernard zuzugreifen, stellt einen Eierbecher vor ihn hin und schiebt Schinken und Rührei auf den Teller. Auch Marmelade, Butter und Käse stellt sie vor Bernard hin. Dann füllt sie die Tasse mit stark riechendem, schwarzem Kaffee bis zum Rand. Es besteht keine Möglichkeit Milch oder Zucker zuzuführen.

Darauf wiederholt sie die Zeremonie bei sich, ordnet alles genau so an, wie sie es in und um Bernards Teller gruppiert hat. Schenkt sich auch von dem zähflüssigen Kaffee ein und beginnt mit weggespreiztem kleinem Finger ein Brötchen mit Butter zu bestreichen. Bernard seinerseits köpft die Eierspitze und stellt fest, dass das Ei blaugekocht ist. Von Dreiminutenei keine Rede!

Bernard versucht den Kaffee. Er ist so bitter, dass er sich in die Zunge eingräbt. Der Gaumen scheint sich zu verziehen. Will absterben. Weil Bernard durch nichts die Bitterkeit aus dem Mund bringt, bestreicht auch er eine Scheibe Brot mit Butter und Quittenmarmelade, isst den Schinken dazu und spürt nichts von dem wachsenden Erstaunen Frau Schweyers.

Bernard starrt auf den leeren Teller gegenüber und wäre glücklich, dort drüben zu sitzen, während hier einer mit vollem Genuss das schweyersche Frühstück verzehrt.

„Sie waren gestern mit Elisabeth im Krankenhaus, nicht wahr?“ beginnt Angelika Schweyer urplötzlich das Gespräch.

Bernard nickt.

„Ich habe Sie sofort wieder erkannt“, fügt sie dann bei.

Frau Schweyer scheint irgendwie zu glauben, dass Bernard sich schuldig fühle, vielleicht unterstellt sich ihm das bloss: „Sie brauchen sich nicht schuldig zu fühlen. In keiner Hinsicht. Nein, Sie sind nicht schuldig. Auch nicht schuld.“

Bernard antwortet nicht. Er schweigt drauflos, obwohl er gekommen ist, um zu reden. Um etwas in Erfahrung zu bringen. Noch auf dem Herweg hat er sich den Beginn des Dialogs vorgestellt. Und jetzt? Jetzt sitzt er da. Würgt an aufstoßenden Wortfetzen. Kann sie aber nicht formen. Er erinnert sich nur lose an seinen Auftrag. Der schwebt drohend über ihm. Bernard versucht die aufstoßenden Silben runter zu spülen, aber der bittere Kaffee hält sie im Munde fest. Lässt sie nur bis zum Kehlkopf rutschen. Dort verwickeln sie sich. Werden immer dicker und drücken schmerzend auf die Stimmbänder.

Bernard ist erleichtert, als Frau Schweyer von sich aus sagt, dass ihr Mann öfters von einer Biografie gesprochen habe, die er schreiben lassen wolle. Von einem Menschen, den er als begabt zum Schreiben bezeichnet habe, obwohl sie sich nicht vorstellen könne, woher Paul den Anspruch genommen habe, über Literatur urteilen zu können.

„Ich denke, Sie sind derjenige, den Paul meinte“, sagt Frau Schweyer.

Bernard stammelt: „Es tut mir aufrichtig leid, das mit Ihrem Mann. Ich hätte ihn gerne persönlich gesprochen. Aber so wie es nun ist. Wie geht es ihnen. Möchte ich mit Ihnen. Vielleicht können Sie mir. Ich denke Sie müssten ja auch. Aber wenn Sie sich nicht in der Lage fühlen. Ich meine, Sie sind in einer schlimmen Situation. Wenn Sie nicht wollen. Aber ich sehe. Ich bewundere Sie. Weil.“

„Was wollten Sie sagen“, fragt Frau Schweyer. Bernard dünkt ihre Stimme weit weg. Als küäme sie von weit fort.

„Nichts Konkretes“. Bernard ist überrascht, dass er sofort eine Ausrede parat hat. „Im Augenblick möchte ich bloß von Ihnen wissen, wie Sie sich das vorstellen. Ich meine, ob es vertretbar ist, jetzt mit Nachforschungen zu beginnen. Jetzt da er im Krankenhaus. Ich meine, man kann ja nie wissen.“

Letzteres rutscht Bernard einfach so heraus, lässt sich aber nicht mehr zurücknehmen. Das einmal Gesagte lässt sich nicht ungesagt machen.

„Wenn's weiter nichts ist“, sagt Frau Schweyer. Bernard sieht, dass ihre Gesichtszüge grimasseln.

„Mein Mann brüstete sich immer: selbst wenn mir etwas zustoßen sollte, meine Biografie wird geschrieben werden. Dann erst recht“. Frau Schweyer schweigt kurz und meint dann: „Wo meine Tochter nur wieder bleibt?“

Das macht Bernard wieder konfus und lässt ihn erbleichen.

„Was ist mit Ihnen“, fragt Frau Schweyer.

„Nichts“, sagt Bernard, „ich meine bloß. Das heißt ich frage. Möchte fragen. Ihre Tochter.“

Mit einigem Aufwand gelingt es Bernard, sich in den Griff zu bekommen. „Ihre Tochter ist mir vorhin begegnet. Ich glaubte, mich an sie zu erinnern; ihr schon einmal begegnet zu sein. Damals nannte ich sie für Bora, weil ich sie im Bora Bora traf.“

„Die meisten rufen meine Tochter Bora“, sagt Frau Schweyer, „wir tauften sie Debora. Debora ohne h.“

Bernard ungläubig: „Sie heißt also wirklich Bora, Debora“? und durch seinen Kopf echot es: BoraBoraBoraBoraBoraBora …

Bernard will diesen Frühstückstisch verlassen. Der Platz da visavis! Dieser Platz kann, wird ausgefüllt werden. Da wird Bora sitzen. Bernard hat Angst, erneut in ihrem Augenwasser zu ertrinken. Unter fadenscheinigem Vorwand erhebt er sich und verabschiedet sich, nicht ohne sich zu vergewissern, dass er später wiederkommen dürfe. Diese Türe hält er sich offen. Dann ist er weg. Fort. Auf der Straße. Bora nun magst du kommen und frühstücken.

BoraBoraBoraBoraBoraBora.

Bora oder Brüche zwischen zwei Schnitten

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