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Susan Tucker war sofort, nachdem sie den Schuss auf den davonfahrenden Gangsterwagen abgegeben und den Chinesen als Tatzeugen zu gewinnen versucht hatte, zu Brian Astor zurückgelaufen.

Astor lebte noch. Zwar ging sein Atem erschreckend flach, und der Puls war nahezu nicht mehr zu fühlen, doch Susan glaubte, dass er noch eine Chance hatte, mit dem Leben davonzukommen.

Sie klingelte Hugo, den Hausmeister, heraus, verlangte von dem verdattert dreinschauenden Mann, er solle augenblicklich die Rettung anrufen, und holte gleich anschließend mich aus dem Bett.

Sie rief mich von der Hausmeisterwohnung aus an. Wenn jemand neben meinem Bett die dicke Berta abgefeuert hätte, wäre ich nicht mehr erschrocken als durch das nerventötende Schrillen des Telefons.

Ich hatte mit der Hand auf das Nachtkästchen geklopft, hatte so lange tappend darauf herumgepoltert, bis ich den Hörer von der Gabel geworfen hatte.

Sofort hörte das quälende Schrillen auf. Ich fasste den kalten Hörer und legte ihn sachte an mein Ohr.

„Calder!“, sagte ich mit wenig Enthusiasmus.

Susan erzählte mir so viel auf einmal, dass ich es vorzog, aus dem Bett zu hüpfen und gleich mal zu ihr hinunterzufahren, denn auf Anhieb hatte ich ja doch nicht kapiert, was sie eigentlich mit ihrem Geplapper hatte sagen wollen.

Als ich unten ankam, hatte ich zwar ein Hemd an, eine Krawatte um den Hals und Schuhe an den Füßen, aber ich war nicht gekämmt und hatte mein Gehirn auf dem Polster liegenlassen.

Dass ich es trotzdem halbwegs schaffte, Susan geistig zu folgen, grenzte an ein kleines Wunder.

Der Rettungswagen kam. Man legte Astor auf eine Trage und schob diese mit ihm in den Krankentransportraum.

Hugo durfte sich danach wieder in seine vier Wände zurückziehen. Mir wurde dies nicht gestattet. Ich musste mich zu Susan in Brian Astors Morris hocken, und dann begann eine Höllenfahrt quer durch Chicago — immer hinter den Signallampen der durch die Straßen rasenden Rettung her. Auf dieser Fahrt konnte ich froh sein, dass ich meinen Verstand noch nicht ganz beisammen hatte, sonst hätte ich womöglich einen Schock fürs Leben davongetragen.

Susan schaffte es schließlich beinahe, noch vor der Rettung beim Hospital einzutreffen.

Man brachte Astor im Laufschritt hinein.

Dann begann für uns das lange Warten. Ich rauchte eine Zigarette nach der anderen, glotzte zum xtenmal auf die Bilder von Niagara Falls und Mexico City, ohne dahinterzukommen, was sie hier in der nüchternen Umgebung der Karbolburg zu suchen hatten.

Susan hatte mir die Story noch einmal auseinandersetzen müssen. Und nun kapierte ich, was passiert war.

Ein Arzt kam. Er sah genauso aus, wie ich mich fühlte: ausgepumpt und müde.

Er sprach viel, ohne die Zusammenhänge genau zu beachten. Ein typisches Zeichen von echter Übermüdung.

Was ich aus seinem Redeschwall herausfinden konnte, war folgendes: Brian Astor hatte großes Schwein gehabt, dass Susan so schnell reagiert hatte. Wenn ich jetzt so zurückdenke, bin ich fast sicher, dass der Doc statt „Schwein“ „Glück“ gesagt hatte. Jedenfalls würde Astor dank Susan Tuckers Geistesgegenwart mit dem Leben davonkommen. Susans Geistesgegenwart hatte darin bestanden, dass sie sofort den Giftbolzen aus Astors Nacken gerissen hatte. Es hatte sich hierbei um ein rasch, ja nahezu blitzschnell wirkendes Nervengift gehandelt, das sofort in die Blutbahn übergeht, die Atemwege lähmt und so zu einem grauenvollen, sehr schnellen Tod führt. Dank Susan war nicht das ganze Gift zur Wirkung gekommen. Man hatte Astor sofort eine Blutwäsche gemacht, hatte ihm Gegengift gespritzt und hatte ihn nun in ein Einzelzimmer verfrachtet, denn jetzt brauchte er bis zur Genesung viel Ruhe.

Dieselbe Ruhe, die auch ich dringend nötig gehabt hätte. Doch als wir zu Hause ankamen, hatte bereits der Hahn auf unserem Wolkenkratzer gekräht, und Chicago rüstete sich für einen neuen Tag, der mit Nebelfetzen und tiefhängenden Wolken zeigte, wie er aussah, wenn er missgelaunt war. Damit traf er genau meine Stimmung.

Ich nahm eine kalte Dusche, um meinen Körper zu ärgern, hüpfte zähneklappernd zwischen den eiskalten Wasserfontänen hin und her und schmierte hinterher in der Küche dicken Honig auf das zähe Toastbrot, um meinen Nerven das zuzuführen, was sie im Moment am dringendsten benötigten.

Als ich wenig später unser Büro betrat, feilte Susan bereits mit der Sandpapierraspel an ihren dunkelroten Krallen herum, und Julia Hickson tänzelte mit zwei Kaffeetassen zur Tür herein: eine war für Susan und eine für Charles Lenoire.

„Und wo bleibe ich?“, fragte ich mit einem Stiefkindblick.

Julia sah mich bedauernd an. „Susan sagte, Sie würden erst in einer halben Stunde ’runterkommen, Biff.“

„Da sieht man wieder, wie man sich irren kann“, knurrte ich. „Und jetzt mal rasch was heißes Schwarzes für den Chef, bevor er ungenießbar wird.“ Sie nahmen es nicht so ernst. War ja auch nicht so gemeint. Fünf Minuten später hatte auch ich meinen Kaffee.

Und nun kam Charles’ großer Auftritt. Er bewies uns wieder einmal, dass wir mit ihm einen ausgezeichneten Fang gemacht hatten.

Charles Lenoire hatte keine Ahnung, woher er seinen französischen Namen hatte. Musste wohl irgendwann mal ein grober Fehler im Katasteramt passiert sein, denn Charles war alles anders als ein romanischer Typ. Man hätte ihn eher für einen Skandinavier halten können, der mit den Jahren ein bisschen Speck angesetzt hat. Er war knapp fünfzig und fast sechs Fuß groß. Er wog sicherlich nicht viel weniger als zweihundert Pfund, verstand es vorzüglich, seine Wendigkeit und seinen regen Verstand hinter einer zur Schau getragenen, behäbigen Gemütlichkeit zu verbergen.

Charles hatte wasserhelle Augen und schütteres rötlichblondes Haar, das allmählich spärlicher wurde und deshalb von ihm so liebevoll gepflegt wurde.

„Brian Astor ist neunundzwanzig, Bankbeamter“, begann Charles Lenoire ohne Vorwarnung.

Ich zuckte interessiert herum.

„Seit vier Jahren in der kleinen Privatbank angestellt, die fünf Männer in langen schwarzen Nylonmänteln und grünen Gasmasken vor dem Gesicht überfallen haben und um neunhundertfünfzigtausend Mäuse erleichterten. Wenn da kein Zusammenhang besteht, fresse ich einen gebrauchten Klosettbesen.“

„Die Besenbinder sollen leben“, grinste ich. „Was haben Sie sonst ’rausgefunden?“

„Dass die Bank nicht immer soviel Geld im Tresor hat, zum Beispiel“, erwiderte Lenoire.

„Wie ich Sie kenne, schließen Sie daraus, dass die Bankräuber aus der Bank einen Tipp bekommen haben“, sagte ich.

„Ist das abwegig?“

„Nicht die Spur“, entgegnete ich kopfschüttelnd. Wir wurden durch Julias Eintreten unterbrochen. Da vor mir die noch halbvolle Kaffeetasse stand, warf sie die Zeitung auf Susan Tuckers Schreibtisch und trollte sich wieder.

Während ich trank, nahm Susan die Morgenzeitung auseinander.

Im nächsten Moment zuckte sie wie elektrisiert hoch. Ich stand auf und blickte ihr mit Lenoire über die Schulter.

Das Konterfei eines Galgenvogels hatte Susans Cholesterinspiegel so plötzlich steigen lassen. Mich beeindruckte vor allem die Bildlegende:

Ronnie Love!

In einem Bachbett tot aufgefunden!

„Findest du den Kerl attraktiv, oder was ist los mit dir, Susan?“, fragte ich

„Der Mann war heute Nacht an dem Mordanschlag an Brian Astor beteiligt, Biff“, sagte Susan aufgeregt. „Ich hab’ dir doch erzählt, dass der Giftbolzen auf Astor aus einem vorbeifahrenden Wagen abgeschossen worden ist.“

„So?“, versetzte ich achselzuckend. „Hast du? Na, wenn du’s sagst, wird’s wohl stimmen. Ich kann mich nicht erinnern. War ja auch eine barbarische Zeit, die du dir dafür ausgesucht hattest.“

„Ich rannte auf die Straße und feuerte hinter dem Wagen her“, sagte Susan mit leichtgeröteten Wangen. Das Abenteuer war wieder in sie zurückgekehrt. „Ich wollte den Hinterreifen treffen, doch die Entfernung war bereits zu groß. Die Kugel durchschlug die Heckscheibe und traf vermutlich diesen Mann.“

„Demnach wärst du an seiner Bleivergiftung schuld“, sagte ich.

Susan nickte.

„Dann schlage ich vor“, sagte ich, „dass du dich mit der City Police in Verbindung setzt und die Sache aufklärst. Sonst verhaften die am Ende noch einen Unschuldigen.“

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