Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Mordgeflüster in Venedig und drei andere Krimis - A. F. Morland - Страница 17
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Die ersten Untersuchungen wurden vorgenommen. Man unterzog den Scheich einigen Belastungstests. Computer, die in der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken sind, werteten die Ergebnisse aus.
Lydia Fersten verbrachte den ganzen Tag beim Scheich. Sie lernte ihn als einen klugen, gütigen, geduldigen Mann kennen, und sie hatte sehr viel Gelegenheit, sich mit Harun Achbar zu unterhalten.
Die beiden waren für sie Männer aus einer anderen, einer fremden Welt. Dennoch war sie niemals jemandem anderen in so kurzer Zeit so nahe gekommen wie dem Scheich und dessen Sohn.
Harun Achbar fragte sie, ob er sie nach Dienstschluss noch sehen dürfe. Eigentlich war die Antwort für sie klar, aber sie machte es sich nicht so leicht, zögerte, statt sofort ja zu sagen.
Vielleicht, sagte sie zunächst nur, aber wenn Harun Achbar sich mit Frauen auskannte - was sie annahm - würde er wissen, dass das bereits eine Zusage war.
Kurz bevor ihr Dienst zu Ende ging, fragte er sie noch einmal, und diesmal war sie zu einem „Na, meinetwegen“ bereit.
Er wartete vor der Klinik auf sie, lehnte an einem großen weißen Mietwagen und lächelte ihr freundlich entgegen.
„Da ich mich in Bergesfelden nicht auskenne, muss ich Sie bitten, einen Vorschlag zu machen“, sagte der Sohn des Scheichs.
Lydia lachte. „Zu komisch. Ich kenne mich hier genauso wenig aus wie Sie. Ich bin erst ganz kurz hier.“
„Wunderbar. Dann entdecken wir die Stadt gemeinsam. Und ... in den nächsten Tagen vielleicht auch die Umgebung ... Darf ich so vermessen sein, dies zu hoffen?“
Er scheint es sehr eilig zu haben, dachte Lydia.
„Wir werden sehen“, antwortete sie unverfänglich.
Er schmunzelte. „Sie meinen, das hängt in erster Linie von meinem heutigen Betragen ab.“
Ja, dachte sie. Du hast es erfasst. Wenn ich sehe, dass du die Situation nicht ausnutzt, können wir uns wieder verabreden. Im anderen Fall wirst du von mir einen Korb bekommen. Auch wenn du der reiche Sohn eines großen Scheichs bist.
Eine Antwort blieb sie ihm schuldig.
Er öffnete für sie galant den Wagenschlag und ließ sie einsteigen. Wenig später fuhren sie durch Bergesfelden, diese liebliche, saubere Stadt mit den zum Teil recht alten, aber noch sehr gut erhaltenen Häusern.
Sie fanden ein kleines Lokal mit Garten, abseits gelegen, nett und intim. Sie setzten sich in eine hübsche Laube und tranken ungegorenen Traubensaft.
„Es ist schön hier“, sagte Harun Achbar, sich umblickend.
„Mir gefällt es auch“, bemerkte Lydia.
„Ich könnte mir vorstellen, dass Sie in Zukunft öfter hierher kommen werden.“
„Das kann schon sein.“
„Mit ... anderen männlichen Begleitern.“
„Vielleicht“, sagte die junge Krankenschwester und zuckte mit den Schultern.
„Lokale wie dieses gibt es bei uns nicht“, meinte Harun Achbar.
Lydia lächelte. „Es können schließlich nicht auf der ganzen Welt alle Lokale gleich aussehen. Das wäre trostlos.“
„Was wissen Sie über Djeha, unsere Hauptstadt?“
„Nicht sehr viel, muss ich zu meiner Schande gestehen“, antwortete Lydia Fersten.
„Oh, es ist keine Schande“, verteidigte sie der Sohn des Scheichs. „Unser Emirat ist kein bedeutendes Weltreich. Wenn wir kein Erdöl hätten, würde kein Mensch von uns Notiz nehmen.“
„Da sieht man wieder einmal, wie gerecht Gott ist. Ihr wärt arm, denn in der Wüste wächst nichts. Aber dafür ist darunter das allseits begehrte Erdöl, und deshalb seid ihr reich.“
„O ja“, sagte der Araber und nickte langsam. „Allah weiß, was er tut. Er hat uns reich bedacht, und wir nutzen sein Geschenk zum Wohle unseres Volkes.“
Lydias Blick richtete sich in eine geistige Ferne. „Erzählen Sie mir von Ihrem Land!“
„Das tue ich sehr gern, denn ich liebe Yanba. Es ist ein gutes Land, fruchtbar nur am Meer, unfruchtbar, heiß und unwegsam dort, wo es kein Wasser gibt. Es ist ein wildes, trotziges Land, das sich nicht bezähmen lässt, und die Menschen, die dort leben, sind stark, stolz und unbeugsam. Djeha ist eine Stadt mit paradiesischen Gärten, übersät mit tropischen Blüten. Von den Fenstern unseres Palastes aus hat man einen traumhaften Blick auf den Persischen Golf.“
„Sie schildern das alles so plastisch, dass ich es mir gut vorstellen kann“, sagte Lydia. „Mir ist beinahe, als wäre ich schon mal dagewesen.“
„Es würde Ihnen bestimmt gefallen“, sagte der Araber.
Lydia wurde nervös. Aus Verlegenheit nahm sie einen raschen Schluck vom Traubensaft.
„Irgendwann werden Sie in Yanba herrschen“, sagte die junge Krankenschwester. „Ich hatte noch nie mit einem Mann wie Sie zu tun.“
„Ich bin ein Mann wie jeder andere, habe die gleichen Wünsche, dieselben Sehnsüchte.“
Lydia schüttelte den Kopf. „Nein. Sie sind etwas Besonderes.“
„Wenn ich mich in den Finger schneide, blute ich wie jeder andere Mann. In meinen Adern befindet sich kein Erdöl.“
Lydia lachte. „Natürlich nicht. Klar, Sie sind ein Mann aus Fleisch und Blut, aber trotzdem sind Sie irgendwie anders.“
„Aber ich will nicht anders sein“, wehrte sich Harun Achbar. „Ich möchte genauso sein wie jeder andere Mann.“
„Das ist unmöglich. Dazu lastet eine zu große Bürde auf Ihren Schultern. Und sie wird noch größer, wenn Sie Ihren Vater eines Tages ablösen.“
„Das höchste Amt in unserem Staat wird mich nicht daran hindern, Mensch zu bleiben“, sagte der Araber. „Auch mein Vater hat sich nicht verändert, als er die Führung des Staates übernahm, und genauso will ich es halten.“
„Wo haben Sie gelernt, so gut Deutsch zu sprechen?“
„Ich habe fast vier Jahre in Wien gelebt.“
„Wie hat es Ihnen da gefallen?“
„Sehr gut. Ich habe noch ein paar gute Freunde dort.“
Es ist verrückt, dachte Lydia. Ich sitze hier mit einem modernen Märchenprinzen. Er kennt so viel von der Welt, ich fast gar nichts. Wenn er wollte, könnte er die Wiesen-Klinik kaufen. Er wird bald über ein Volk herrschen, das am Persischen Golf lebt. Es ist wie ein wunderbarer, verrückter Traum ...
„Ich wäre glücklich, wenn ich Ihnen von meiner Heimat nicht nur erzählen, sondern sie Ihnen auch zeigen dürfte“, sagte Harun Achbar.
Sie hob die Schultern und lächelte.
„Tja, das ist leider nicht möglich. Mein Platz ist hier. Ich habe noch keinen Urlaubsanspruch. Nicht einmal wenn ich wollte, könnte ich mit Ihnen nach Djeha gehen.“
„Würden Sie denn wollen?“, fragte Harun Achbar.
„Reisen ... Ferne Länder sehen ... Fremde Sitten und Gebräuche kennenlernen ... Das würde mich schon reizen. Ich glaube, das habe ich von meinem Vater geerbt. Er ist ein wahrer Zugvogel, macht die strapaziösesten Reisen in den Ferien.“
„Wann immer Sie nach Yanba kommen wollen, Sie werden meinem Vater und mir willkommen sein“, sagte Harun Achbar. „Und es wird für Sie mit keinerlei Kosten verbunden sein, denn wenn Sie kommen, sind Sie unser Gast.“
Lydia lachte. „Vorsicht! Ich könnte Sie beim Wort nehmen.“
Der Sohn des Scheichs sah sie ernst an und erwiderte: „Das sollen Sie. Sie würden mich damit sehr glücklich machen.“
Mit dieser Bemerkung machte er sie so unsicher, dass sie versehentlich ihr Glas umstieß. Der Traubensaft ergoss sich über das blauweiß karierte Tischtuch.
„Wie ungeschickt von mir“, ärgerte sich Lydia. „Sie müssen mich für einen schrecklichen Tollpatsch halten, aber das bin ich nicht. Ich scheine nur heute nicht meinen allerbesten Tag zu haben. Vielleicht sind Sie es auch, der mich so sehr verwirrt.“
„Das werte ich als Kompliment“, sagte der Sohn des Scheichs und winkte dem Wirt.