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Die Chefvisite fand ausnahmsweise etwas später statt, denn Dr. Berends wollte zuvor noch den Scheich aufsuchen. Rashid Achbar schickte seine Leibwächter hinaus und bat den Chefarzt, sich zu setzen.

„Nun, Dr. Berends, haben Sie mir etwas Unangenehmes mitzuteilen? Was haben die ersten Tests ergeben? Fühle ich mich nur gesund, oder bin ich es tatsächlich?“ Der Scheich strich sich über den grauen Bart und lächelte erwartungsvoll.

„Die ersten Untersuchungsergebnisse fielen sehr zufriedenstellend aus“, sagte der Mediziner. „Ich möchte behaupten, dass ich einige Männer Ihres Alters kenne, die Sie um Ihren Gesundheitszustand beneiden würden. Außer leicht erhöhten Zuckerwerten und einer leichten Arthritis im linken Knie sind Sie bestens in Form.“

„Das ergaben die bisherigen Tests.“

„Ja. Natürlich sind damit noch lange nicht alle Untersuchungen abgeschlossen, aber den Blutwerten lässt sich entnehmen, dass Sie ein rüstiger, robuster Mann sind, um den sich die Menschen in Yanba noch lange keine Sorgen zu machen brauchen. Wenn Sie uns verlassen, werde ich Ihnen eine Diät verordnen. Bei der Zuckerkrankheit gibt es vier Stadien. Erstens: Prädiabetes. So nennt man das symptomfreie Vorstadium ohne Anzeichen von Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels. Es besteht lediglich das Risiko einer späteren Zuckerkrankheit. Dann gibt es noch den latenten Diabetes, bei dem der Zuckerbelastungstest normal ist und nur unter bestimmten Bedingungen - Infekt, Stress oder Provokation - pathologisch wird. Außerdem kennen wir noch den asymptomatischen Diabetes sowie den klinischen Diabetes. Dies nur der Vollständigkeit halber. Sie fallen in die erste Gruppe.“

„Das heißt, ich neige dazu, an Diabetes zu erkranken.“

„Ja, aber nur dann, wenn Sie meine Ratschläge nicht beherzigen, was ich jedoch nicht annehme. Sie werden abnehmen, Diät halten, sich wohl fühlen. Weniger Gewicht wird Ihrem Herzen und dem Kreislauf guttun und sich positiv auf die Arthrose auswirken.“

„Ich weiß, dass ich zu schwer bin“, sagte der Scheich. „Mehrmals wollte ich schon mein Gewicht reduzieren, aber ich habe es nie geschafft.“

„Ich werde es Ihnen so leicht wie möglich machen“, sagte Dr. Berends. „Und die erhöhten Zuckerwerte können Sie dann vergessen.“

„Kann man Diabetes heilen?“

„Nein, das ist, nicht möglich. Ich will es mal populär ausdrücken: Wenn Sie Ihre Bauchspeicheldrüse einmal beleidigt haben, verzeiht sie Ihnen das ein Leben lang nicht. Aber mit Hilfe einer vernünftigen Ernährung können Sie trotzdem hundert Jahre alt werden.“

„Hundert Jahre“, sagte der Scheich und senkte den Blick. „Ich weiß gar nicht, ob es in der heutigen Zeit schön ist, so alt zu werden.“

„Was haben Sie gegen diese Zeit?“, fragte der Mediziner.

„Sie ist nicht mehr wie früher. Ich kann sie manchmal nicht verstehen.“

„Daran ist nicht die Zeit schuld“, sagte Dr. Berends.

„Sie meinen, es ist meine Schuld?“

„Unterhalten Sie sich mit einem jungen Menschen! Sprechen Sie mit Ihrem Sohn! Er wird diese, seine Zeit für großartig halten. Die Welt bleibt nicht stehen. Sie dreht sich unaufhörlich weiter, und alles Leben auf ihr verändert sich. Neue Menschen kommen und schaffen andere Werte. Sie haben andere Ansichten und möchten alles besser machen als jene, die vor ihnen da waren. Manchmal sind sie sogar felsenfest davon überzeugt, alles besser zu können, und sie erkennen erst, wenn sie den Zenith ihres Lebens überschritten haben, dass sie auch nichts Vollkommenes zu schaffen imstande gewesen waren. Und sie werden wie Sie die Zeit nicht verstehen, in der sie nicht mehr jung sind.“

„Es ist sehr interessant, sich mit Ihnen zu unterhalten, Dr. Berends“, sagte der Scheich.

„Leider muss ich nun zur Chefvisite. Aber wir werden noch einige Male Gelegenheit zu einem Gespräch haben“, sagte der Mediziner und ging.

Sammelband 4 Krimis: Mordgeflüster in Venedig und drei andere Krimis

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