Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Mordgeflüster in Venedig und drei andere Krimis - A. F. Morland - Страница 25
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ОглавлениеHarald Siebert, ein junger Krankenpfleger, war für zwei Dinge bekannt: Er trank gern und machte sich mit Vorliebe an die neuen hübschen Krankenschwestern heran. Wegen beidem war Siebert schon mal von Dr. Berends verwarnt worden. Das bedeutete, wenn er sich noch einmal des einen oder anderen Vergehens schuldig machen sollte, musste er gehen.
Er hatte dem Chefarzt der Wiesen-Klinik versprochen, sich zu bessern. Keine Klagen sollten Dr. Richard Berends mehr zu Ohren kommen. Das bedeutete nun nicht, dass Harald Siebert die Absicht hatte, sich in einen Heiligen zu verwandeln. Er hatte sich lediglich vorgenommen, bei allem, was er tat, ein bisschen vorsichtiger zu sein.
Den Alkoholkonsum während der Arbeitszeit schränkte er geringfügig ein, und er benutzte einen starken Mundspray, damit man seine Schnapsfahne nicht mehr riechen konnte. Und bei den neuen Krankenschwestern ließ er sich etwas mehr Zeit als bisher. Er ging nicht mehr sofort aufs Ganze.
Da im letzten halben Jahr keine neue Schwester, die verführerisch hübsch war, eingestellt worden war, fiel es Siebert nicht schwer, sich zu beherrschen. Aber nun war Lydia Fersten da, und wenn er ihr begegnete, gab es ihm jedes Mal einen heftigen Stich. So schön, so anziehend, so natürlich und frisch war keine andere Krankenschwester in der Wiesen-Klinik. Ihr Anblick jagte Fieberschauer durch Sieberts Körper, und er griff wieder öfter zur Flasche, weil er meinte, sich dadurch besser in den Griff zu bekommen.
Wie ein Raubtier pirschte er sich an sie heran. Sooft es ging, hatte er in ihrer Nähe zu tun, und er versuchte sie mit Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, netten Worten und flotten Scherzen für sich zu gewinnen.
Als er meinte, dass die Zeit reif war, bat er sie um ein Rendezvous. Sie antwortete mit vielen freundlichen Worten, die sie sich alle hätte sparen können, denn damit umschrieb sie lediglich ein beschämendes Nein. Siebert kam sich gekränkt und gedemütigt vor. Sein männlicher Stolz war verletzt, und ihm fiel auf, dass irgendetwas zwischen Schwester Lydia und dem Sohn des Scheichs war.
Ganz schlau ist sie, dachte der Krankenpfleger wütend. Sie ist sich zu schade für ihresgleichen. Hoch hinaus will sie. Nach den Sternen greift sie. Nach einer Krone! Ein Krankenpfleger ist ihr nicht gut genug. Der Sohn eines reichen Ölscheichs muss es sein. Ausgesorgt fürs Leben will sie haben. Oh, diese Weiber! Für Geld tun sie einfach alles.
Seine Zuneigung schlug um, wurde zu Zorn und bitterem Rachedurst.
Er war nett zu ihr gewesen. Alle Register der Höflichkeit hatte er gezogen, und da er nicht schlecht aussah, hätte er sie - davon war er überzeugt - bestimmt auch herumgekriegt, wenn es Harun Achbar nicht gegeben hätte.
Mit einem Scheichsohn konnte Harald Siebert natürlich nicht konkurrieren. Er besaß keine dicke Brieftasche, und nirgendwo sprudelten Ölquellen, die ihm gehörten. Er konnte auch niemandem mit einem großen, teuren Wagen imponieren. Aber er war ein Mann - und, verdammt noch mal, das wollte er Lydia Fersten auch beweisen.
Er sah, wie sie nach Dienstschluss mit Harun Achbar wegfuhr, und eine heiße Wut rumorte in ihm.
„Was sind das schon für Frauen, die mit Ausländern gehen?“, sagte er und zog geringschätzig die Mundwinkel nach unten. „Was soll man von solchen Frauen halten? Nichts wert sind sie. Ich würde nichts sagen, wenn es wenigstens ein Europäer wäre. Das könnte ich noch verstehen. Aber ein Araber ...“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Nee. Ein Araber ist das allerletzte. Selbst dann, wenn er in Erdöl schwimmt.“
Siebert holte für Dr. Büttner zwei Blutkonserven. Nachdem er sie in der Chirurgie abgeliefert hatte, zog er sich um und verließ die Klinik. Er war, wie Lydia Fersten, im Wohnheim zu Hause, wohnte unter der neuen Krankenschwester, die ihn zutiefst beleidigt hatte, und je länger er darüber nachdachte, desto grimmiger sagte er sich, dass er diese Schmach nicht einfach hinnehmen durfte.
Der Alkohol, ein wahrer Teufel, ließ ihn auf gemeine Ideen kommen.
In seiner Wohnung nahm er sich einen großen Drink und schaltete das Fernsehgerät ein, um sich abzulenken. Egal, wann Schwester Lydia nach Hause kam, er würde auf sie warten und nach oben gehen und ...
Er grinste schmutzig.
Harald Siebert. war brünett, hatte scharf geschnittene Züge und helle Augen. Er hatte nur eine Mutter. Sein Vater war früh verstorben. Stets hatte ihn seine Mutter für etwas Besonderes gehalten. Arzt hätte er werden sollen. Das Geld fürs Studium wollte sie sich vom Mund absparen. Tag und Nacht hätte sie für ihren Sohn gearbeitet, doch er war nicht bereit gewesen, sich ebenfalls so sehr anzustrengen. Er war immer schon für den bequemen Weg gewesen, und der hatte nicht zum großen Ziel geführt. Schon im ersten Semester war er abgestürzt, und seine Mutter hatte seinetwegen nächtelang geweint. Aber es hatte nichts geholfen. Er hatte ihr geraten, den Tatsachen ins Auge zu sehen und sich damit abzufinden, dass sie einen Versager in die Welt gesetzt hatte.
Damals war seine Mutter zusehends gealtert. Sie konnte die große Enttäuschung, die er ihr bereitet hatte, nicht überwinden, wurde immer öfter krank und starb schließlich an Krebs. Sie hatte noch mitbekommen, wie er Krankenpfleger wurde, aber das war kein Trost für sie gewesen. Ihre einzige Hoffnung, ihr größter Stolz, der Sinn ihres entbehrungsreichen Lebens hatte ihr eine Enttäuschung bereitet, die sie nicht überlebte.
Er trank viel an diesem Abend, denn er wollte so richtig in Fahrt sein, wenn Schwester Lydia nach Hause kam. Was im Fernsehen lief, gefiel ihm nicht. Er schaltete die Stationen durch. Es war nichts im Programmangebot, das ihn interessierte, deshalb drehte er das Gerät ab und legte eine Langspielplatte von Perry Como auf. Ein uraltes Ding mit Seltenheitswert.
Wenn er sich in eine bestimmte Stimmung versetzen wollte, hörte er sich immer Perry Como an.
Heute war er beim Auflegen der Scheibe ein bisschen ungeschickt. Der Saphir kratzte über die Rillen, und ein hässliches Geräusch kam aus den Lautsprechern. Er kannte die Texte der Songs alle auswendig, und Perry Como musste es sich gefallen lassen, dass er mitsang.
Mehrmals beschritt er den Weg zur kleinen Hausbar, und er grinste, während er die Flasche in der Hand hielt. Wenn Dr. Berends ihn jetzt sehen könnte, würde er glatt an die Decke gehen.
„Prost, Chef!“, sagte Harald Siebert und hob sein Glas. „Ich weiß, dass Sie’s nicht mögen, wenn einer sich den Kopf vollschüttet, aber in meiner Freizeit kann ich machen, was ich will. Darauf haben Sie keinen Einfluss. Was ich in meinen vier Wänden anstelle, geht Sie nichts an. Wissen Sie, wofür ich Sie halte, Chef? Für einen scheinheiligen Bruder, jawohl. Ich wette, Sie hatten auch schon mal einen in der Krone, aber von Ihren Mitarbeitern verlangen Sie völlige Abstinenz. Wasser predigen und Wein trinken - so wird man Chefarzt, was? Ich trinke auf Ihr Wohl, Dr. Berends. Möge Ihr Glorienschein ewig leuchten. Mich stört’s nicht. Und ich trinke auf mein Wohl - und auf das Wohl der süßen Lydia Fersten, die heute Nacht um eine große Erfahrung reicher werden wird. Und ich trinke darauf, dass sich der verdammte Wüstensohn, dieser stinkreiche Kameltreiber, den Hals bricht ... Prost, allseits!“
Er goss den Schnaps in seine trockene Kehle, und plötzlich kam ihm eine Idee, die er für besonders genial hielt.
Warum sollte er hier auf Lydias Heimkehr warten? Warum nicht in ihrer Wohnung?
Er besaß einen Dietrich. Manchmal schlug der Wind die Türen zu, wenn man nicht aufpasste, und dann war es gut, wenn einem irgendjemand mit einem Sperrhaken aushelfen konnte.
Gedacht – getan ...
Der Mann verließ seine Wohnung. Die Schnapsflasche nahm er mit, denn er glaubte nicht, dass er bei Lydia einen solchen Muntermacher finden würde.
„Harald Siebert wird dir zeigen, was ein strammer Landsmann so alles drauf hat“, sagte der Krankenpfleger grinsend. „Du wirst Augen machen, Mädchen. Wozu in die Ferne schweifen ...? Ich garantiere dir, dass du von dem Araber morgen nichts mehr wissen willst.“
Er schlich die Treppe hoch. Niemand beobachtete ihn, als er sich Einlass in Lydia Ferstens Wohnung verschaffte.
Peinlichste Ordnung herrschte überall. Er nickte anerkennend.
„Man merkt sofort, dass hier eine saubere Frau zu Hause ist. Keine Sorge, Lydia. Ich werde keine Unordnung machen. Ich nehme mir nur ein Glas. Bin kein Baby mehr, verstehst du? Nur die trinken aus der Flasche.“
Er knipste die Leselampe an und setzte sich, und während die Zeit sehr langsam verging, überlegte er sich, was er mit Lydia alles anstellen würde.
Um zehn hörte er einen Wagen vorfahren und löschte rasch das Licht. Dann eilte er zum Fenster und blickte hinunter. Er sah den weißen Mietwagen und beobachtete, wie die junge Krankenschwester den Sohn des Scheichs zum Abschied küsste.
„Oho“, sagte Siebert überrascht. „Soweit seid ihr also schon. Schämst du dich nicht, Lydia? Nach so kurzer Zeit ... Kein Nationalbewusstsein ... Kein Schamgefühl ... Kein Ehrgefühl ... Wenn Harun Achbar dir recht ist, wie willkommen muss ich dir erst sein ... Oh, es wird eine wunderbare, eine unvergessliche Nacht für uns beide, das verspreche ich dir.“
Er sprach mit schwerer Zunge, und seine Augen waren glasig.
Als Lydia ausstieg, zog er sich grinsend zurück.
„Gleich kommt sie hoch, meine kleine Honigbiene. Gleich wird sie hier erscheinen und die Überraschung ihres Lebens erleben.“
Es dauerte nicht lange, da vernahm er ihre Schritte. Schnell versteckte er sich hinter der Tür. Lydia schloss auf und trat ein. Ahnungslos machte sie Licht und seufzte glücklich. Der Abend mit Harun war wieder wunderschön gewesen. Sie zog die Schuhe aus und schlüpfte in angenehm weiche Pantoffel.
Als sie die Schnapsflasche und das Glas daneben entdeckte, stutzte sie. Dem Krankenpfleger, der sie beobachtete, fiel es auf. Er grinste breit.
Lydia konnte sich nicht erklären, wie Flasche und Glas hierher kamen. War während ihrer Abwesenheit jemand in ihrer Wohnung gewesen? Ein Vorgänger vielleicht, der noch einen Schlüssel besaß?
„Guten Abend“, sagte hinter ihr plötzlich jemand, und sie drehte sich erschrocken um.
Harald Siebert lachte.
„Aber, aber. Wer wird denn so schreckhaft sein? Ich bin’s doch nur, der liebe, nette Harald Siebert. Vor mir brauchen Sie wirklich keine Angst zu haben. Ich bin Ihr Nachbar, Ihr Kollege, Ihr glühender Verehrer. Und ich bin völlig harmlos.“
Er sah alles andere als harmlos aus, und er war ziemlich betrunken, das erkannte Lydia auf den ersten Blick.
„Was suchen Sie hier?“, stieß sie heiser hervor. Ihre Haltung ließ entschlossene Abwehr erkennen.
„Haben Sie sich gut amüsiert, Schwester Lydia?“, fragte der Krankenpfleger grinsend.
„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.“
„Ist ein gut aussehender Bursche, dieser Harun Achbar, nicht wahr? Er hat nur einen Fehler: Er ist nicht von hier.“
„Das ist doch wohl ausschließlich meine Sache, oder? Wie kommen Sie hier rein?“
„Ich besitze einen Dietrich. Wenn der Wind mal Ihre Tür zuschlagen sollte, leihe ich ihn Ihnen gern.“
„Sie sind betrunken, Herr Siebert!“
„Der Alkohol ist eine Schwäche von mir. Die andere sind Mädchen, die so großartig aussehen wie Sie. Sonst habe ich keine Fehler. Sie hätten nicht so lange mit dem Araber fortbleiben sollen. Vor einer Stunde hatte ich ein paar Gläser weniger intus. Aber ich verspreche Ihnen, dass das für Sie mit keinem Nachteil verbunden sein wird. Im Gegenteil. Je mehr ich trinke, desto einfallsreicher werde ich.“
„Verlassen Sie auf der Stelle meine Wohnung, Herr Siebert!“, verlangte Lydia energisch.
„Nicht doch“, sagte der Krankenpfleger und schüttelte den Kopf. „Nicht doch. Was soll denn dieser unfreundliche Ton? Wir sind doch liebe Kollegen und Nachbarn. Ich wohne direkt unter Ihnen. Was ist denn schon dabei, wenn ich mal einen Anstandsbesuch mache?“
„Mitten in der Nacht!“
„Daran bin ich doch nicht schuld. Wären Sie früher nach Hause gekommen. Ich warte hier schon eine ganze Weile auf Sie.“
„Ohne meine Erlaubnis.“
„Ach, wissen Sie, ein Mann sollte nicht immer und überall um Erlaubnis bitten. Es gibt Situationen im Leben, da fragt man nicht lange, sondern tut einfach, was man für richtig hält.“
„Sie halten es also für richtig, sich zu betrinken, heimlich in meine Wohnung einzuschleichen und mich zu belästigen.“
„Es tut mir leid, wenn Sie sich von mir belästigt fühlen. Ich möchte uns beiden nur Gelegenheit bieten, einander besser kennenzulernen. In der Klinik ist das nicht möglich, da hat man ständig zu tun, wird von den Ärzten in Trab gehalten und von den Patienten herumgescheucht. Erst hier kommt man zur Ruhe und findet zu sich selbst ... Mein Gott, stehen Sie doch nicht so verkrampft da. Ich will Ihnen nicht den Kopf abreißen. Ich möchte nur ein bisschen nett zu Ihnen sein, das ist alles.“
„Und genau das ist es, worauf ich nicht den geringsten Wert lege, Herr Siebert!“, entgegnete die junge Krankenschwester angriffslustig.
„Meine Güte, nennen Sie mich doch nicht immer Herr Siebert. Ich sage doch auch nicht Fräulein Fersten zu Ihnen. Vor Ihnen steht ein guter Freund. Der beste, den Sie kriegen können.“
„Wenn Sie nicht gehen, sehe ich mich gezwungen ...“
Er lachte. „Was? Sie wollen mir doch nicht etwa Unannehmlichkeiten machen?! Das wäre nicht fair, wo ich doch so schrecklich nett zu Ihnen bin.“
„Wissen Sie, dass Sie mit Ihrer Unverfrorenheit Ihren Job riskieren?“
Er drehte den Kopf auf die Seite und blickte sie aus den Augenwinkeln an.
„Haben Sie vor, mich bei Dr. Berends zu verpetzen? Sie werden von ihm protegiert. Er ist zwar glücklich verheiratet, wie man allgemein hört, und seine Frau sieht hervorragend aus, aber ich könnte mir vorstellen, dass er bei Ihnen nicht so sehr auf Ihre Zeugnisse als auf Ihre traumhafte Figur gesehen hat.“
Zorn wallte in Lydia hoch. „Hinaus, Sie unverschämter Kerl!“, schrie sie.
Er grinste. „Ich bin sicher, Sie wollen nicht wirklich, dass ich gehe. Sie finden mich bestimmt interessant, hab’ ich recht?“
„Ich finde Sie widerlich.“
„Und den Araber?“, fragte er sie grob. „Finden Sie den nicht widerlich? Wenn Sie ihn küssen, knirscht da nicht Sand zwischen Ihren Zähnen? Dieser Mann ist ein Wilder, ein Barbar. Warum suchen Sie sich keinen Mann, der in diesem Land lebt?“
„Einen Mann wie Sie.“
„Ja, einen Mann wie ich. Warum nicht? Ich bin nicht der schlechteste. Harun Achbar stelle ich jederzeit in den Schatten. Sie sind verrückt nach seinem Geld, stimmt’s? Eines Tages wird kein Erdöl mehr aus den Quellen sprudeln. Dann werden diese Leute nicht mehr in goldenen Palästen wohnen und mit dicken Autos fahren, sondern hungrig auf ihren klapperigen Kamelen durch die Wüste ziehen. Lydia Fersten, die weiße Nomadin. Wie gefällt Ihnen das?“
„Raus, Siebert!“, befahl die hübsche Krankenschwester wütend. „Ich sag’s nicht noch einmal.“
„Was ist so Besonderes an Harun Achbar? Verraten Sie’s mir!“
„Er hat Manieren, Charakter, Taktgefühl ... Er hat einfach all das, was Sie nie besitzen werden.“
„Wenn sich ein deutsches Mädchen mit einem Ausländer einlässt, ist sie in meinen Augen ein Flittchen“, sagte der Krankenpfleger. „Und Flittchen sind für jeden da. Also auch für Harald Siebert.“
Er kam näher, und eine unverhohlene Gier glitzerte in seinen glasigen Augen ...