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„Wie geht es dir?“, fragte Sabrina Arendt ihren geschiedenen Mann. Mehrmals seit gestern hatte sie nach ihm gesehen, und sie war in großer Sorge um ihn gewesen. Er hatte sie nicht angesehen, hatte nur dagelegen - gefesselt - und an ihr vorbeigestarrt. Sie hatte ihm zu essen gebracht, doch er wollte nichts. Auch jetzt weigerte er sich zu essen.

„Du bist immer noch wütend auf mich“, sagte Sabrina.

„Ich habe allen Grund dazu.“ Es war die erste Antwort, die sie von ihm bekam.

„Iss. Du musst bei Kräften bleiben, Norbert.“

„Wozu?“, wollte er wissen.

„Damit wir zusammen Bergesfelden verlassen können.“

„Nachdem der Araber den Scheich erschossen hat?“

Sabrina Arendt riss erschrocken die Augen auf.

„Woher weißt du ...?“

„Ich war nicht so lange ohnmächtig, wie ihr dachtet. Ich habe gehört, was ihr gesprochen habt.“

„Dann weißt du auch ...“

„... dass der Araber mich töten wollte und dass du mir das Leben gerettet hast. Ja, auch das weiß ich. Aber du hast mich nur für kurze Zeit gerettet. Denkst du, der Araber lässt mich unbehelligt davonkommen? Du bist sehr naiv, wenn du das annimmst. Er wird schon bald diesen Keller betreten, seine Waffe auf mich richten und ...“

„Nein!“, fiel ihm Sabrina ins Wort. „Das darf er nicht. Das lasse ich nicht zu. Er wird dir kein Haar krümmen.“

„Es wäre vernünftiger, du würdest den Tatsachen ins Auge sehen. Dieser Mann wiegt dich vorläufig in Sicherheit. Vielleicht will er in Ruhe seine Vorbereitungen treffen. Vielleicht kann er dich auch noch gebrauchen. Aber wenn du für ihn wertlos geworden bist, wird er dich einfach fallenlassen. Zwei Schüsse werden in dieser abgelegenen Villa fallen. Schüsse, die niemand hört. Und es wird zwei Tote geben: dich und mich.“

„Er kann mir nichts tun. Er arbeitet für Ibn Achbar, den Neffen des Scheichs. Ich bin mit Ibn befreundet. Denkst du, Halef Mudji verfeindet sich mit dem neuen Staatsoberhaupt von Yanba?“

Der Gefesselte schüttelte den Kopf.

„Sabrina, auf was für ein schmutziges Spiel hast du dich eingelassen? Terror. Mord. Das ist doch nicht deine Welt.“

„Du weißt nicht, wie sehr ich unter unserer Trennung gelitten habe, Norbert. Es war die Hölle für mich. Ich wollte mir das Leben nehmen, aber ich war zu feige, es tatsächlich zu tun. Ich floh in die Schweiz, und da war Ibn Achbar - und er gab mir den Halt, den ich so dringend nötig hatte. Ich stand kurz davor, total abzustürzen. Ibn Achbar rettete mir das Leben, ja, so könnte man es sehen. Ich stehe in seiner Schuld.“

„Das darf doch nicht so weit gehen, dass du bei einem Attentat mitmachst.“

„Ibn sagte, Rashid Achbar, sein Onkel, hätte seinen Vater, und somit auch ihn, um den ersten Platz im Staat betrogen. Er behauptete ferner, Rashid Achbar hätte seinen Bruder beseitigen lassen. Offiziell wäre Ibns Vater eines natürlichen Todes gestorben, aber in Wirklichkeit soll er an den Folgen grausamer Folterungen des Geheimdienstes zugrunde gegangen sein.“

„Und das glaubst du ihm?“

„Warum sollte er mich belügen?“

„Warum? Damit er besser vor dir dasteht. Ich weiß nicht allzu viel von Rashid Achbar, aber eines wage ich dennoch zu behaupten: dass dieser Mann seriös bis ins Knochenmark ist. Niemals würde er seinem eigenen Bruder so etwas antun. Ibn Achbar hat dich belogen. Er hat dich zu seiner Komplizin gemacht. Du bist die Komplizin eines Lügners und Meuchelmörders, und du wirst für deine Leichtgläubigkeit teuer bezahlen.“

„Vielleicht hast du recht“, sagte Sabrina ernst. „Aber ich kann nicht mehr zurück. Ich habe A gesagt. Nun muss ich auch B sagen.“

„Das ist doch nicht wahr. Herrgott noch mal, du kannst doch immer noch aus diesem Wahnsinn aussteigen.“

„Und Halef Mudji? Denkst du, der sieht einfach zu?“

„Du kannst Mudji unschädlich machen, kannst den Mord verhindern. Wir beide können es. Nimm mir die Fesseln ab!“

Sabrina Arendt schüttelte den Kopf.

„Nein. Nein, das kann ich nicht. Das darfst du von mir nicht verlangen.“

„Ich darf von dir nicht verlangen, dass du mir das Leben richtig rettest?“

„Nein, Norbert, ich ... Du musst vernünftig sein, musst essen, was ich dir bringe, musst mir vertrauen und Geduld haben. Halef Mudji wird uns bald verlassen, dann bist du wieder frei, und hast nichts mehr zu befürchten. Wenn du das Gespräch zwischen Halef und mir gehört hast, weißt du, dass es für mich kein Zurück mehr gibt. Ich muss bei der Stange bleiben. Mudji ist ein sehr gefährlicher Mann. Einer, der für Geld mordet. Ich weiß nicht, wie viele Menschenleben er schon auf dem Gewissen hat. Es interessiert mich nicht, aber es sind bestimmt eine ganze Menge, und ich will nicht auch zu seinen Opfern gezählt werden. Mudji ist ein Jäger, und wir sind nicht so clever, uns vor ihm garantiert in Sicherheit zu bringen. Nein, Norbert, wir befinden uns auf einem Zug, der schon ziemlich schnell fährt. Wenn wir jetzt abspringen, kommen wir ums Leben. Wir müssen warten, bis er langsamer wird.“

Norbert Palven schüttelte entgeistert den Kopf.

„Das ist nicht die Sabrina, die ich kenne. Aus dir spricht jemand anders.“

„Ich habe mich nicht geändert, Norbert. Ich habe nur Angst um uns beide. Wir müssen die Zähne zusammenbeißen und die Sache durchstehen.“

„Du sprichst wie ein harter Cowboy in einem Wildwestfilm, Sabrina. Ein Menschenleben ist in Gefahr, und es handelt sich um keinen Film, sondern um die erschreckende Wirklichkeit. Wie kannst du von mir verlangen, ich solle den Kopf in den Sand stecken und so tun, als wäre alles in bester Ordnung.“

„Ibn Achbar wird sich großzügig erkenntlich zeigen.“

„Es wäre Geld, an dem das Blut des Scheichs klebt, das du von ihm bekommen würdest, Sabrina.“

Ihre Augen schwammen in Tränen. „Mein Gott, was soll ich denn machen, Norbert? Soll Halef Mudji lieber Geld bekommen, an dem unser Blut klebt?“

„Ich möchte lieber tot sein, als mit diesem Mörder unter einer Decke zu stecken“, sagte Norbert Palven entschieden.

Sabrina Arendt wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Es ... es tut mir leid, Norbert“, sagte sie unglücklich und verließ den Keller.

Sammelband 4 Krimis: Mordgeflüster in Venedig und drei andere Krimis

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