Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Mordgeflüster in Venedig und drei andere Krimis - A. F. Morland - Страница 19
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Halef Mudji betrieb seine Lokalstudien mit äußerster Gewissenhaftigkeit. Vor allem die Umgebung der Wiesen-Klinik sah er sich sehr genau an, und er war dabei bestrebt, niemandem aufzufallen. Er wusste schon, wo er sich auf die Lauer legen würde. Sein Plan stand noch nicht in allen Einzelheiten, aber in groben Umrissen wusste er bereits, wie die Tat ablaufen würde.
Es sollte geschehen, wenn Rashid Achbar die Klinik verließ. Ein Wagen würde davor auf ihn warten, und den durfte der Scheich nicht erreichen. Egal, wie viele Personen ihn umgeben würden, es würde noch Platz für eine Kugel sein. Aufregung, Panik, Hysterie würde der Schuss auslösen, und die Leibwächter des Scheichs würden zu ihren Waffen greifen, sobald sie die Schrecksekunde überwunden hatten, doch bis dahin konnte er seinen eigenen Wagen bereits erreicht haben, und wenn nicht, würden auch die Leibwächter sterben.
Mudji stieg in den Wagen und fuhr los. Er kam an einem kleinen Park vorbei. Auf dem Spielplatz tollten übermütige Kinder. Ihre Mütter saßen auf Holzbänken und plauderten. Eine friedliche Idylle, an der der lebendig gewordene Tod vorbeifuhr.
Mudji kehrte zur Villa zurück. Als er diese betrat, sah er Sabrina Arendt mit einem Mann im Wohnzimmer kämpfen. Ohne Verzögerung handelte er. Mit wenigen Schritten war er bei der jungen Frau und dem Mann. Der Revolver befand sich in seiner Hand. Er schlug damit zu, und der Mann brach zusammen.
Sabrina starrte den Araber entgeistert an. „Was hast du getan?“
„Du solltest mir dankbar sein, dass ich eingegriffen habe“, sagte Mudji.
„Du hast ihn niedergeschlagen.“
„Wer ist das? Kennst du ihn? Was will er in unserer Villa?“
Sabrina sank neben Norbert Palven auf die Knie. Sie zögerte, ihren Ex-Ehemann anzufassen, tat es aber schließlich doch. Sie schlug ihn leicht auf die Wangen.
„Wer ist das?“, wollte der Araber ungeduldig wissen. „Rede!“
„Es ... es ist Norbert. Norbert Palven ...“
„Dein geschiedener Mann?“
„Ja.“
„Wie kommt er hierher? Wieso weiß er von dieser Villa? Hast du es ihm gesagt? Was hast du ihm noch alles verraten?“ Mudji fasste nach ihrem Handgelenk. Sein Griff war schmerzhaft.
„Du tust mir weh!“, schrie sie mit weinerlicher Stimme.
„Dann sage mir endlich, was ich wissen will!“, herrschte er sie an.
„Ich habe nichts verraten. Er bekam heraus, dass ich diese Villa mietete.“
„Dann warst du also nicht vorsichtig genug. Ich hätte es wissen müssen. Frauen bringen niemals Glück. Es gibt mit ihnen immer wieder Komplikationen. Wie konnte sich Ibn Achbar nur an eine Frau um Hilfe wenden?“
Sabrina verschwieg den Privatdetektiv, damit Mudji nicht rot sah.
„Was will Palven hier?“, fragte Mudji.
„Du wirst es nicht glauben. Er möchte, dass wir noch einmal von vorn anfangen.“
„Er hat dich betrogen. Vierfach gleich.“
„Er hat diese Freundinnen nicht mehr.“
„Der Kater lässt das Mausen nicht. Sagt man das nicht bei euch?“
„Norbert ist entschlossen, sich zu ändern, hat sich schon geändert.“
„Das hat er dir gesagt? Und du glaubst ihm? Ich muss dich falsch eingeschätzt haben, Sabrina. Ich dachte, irgendwie wären wir aus dem gleichen Holz geschnitzt, doch nun muss ich erkennen, dass das nicht der Fall ist. Du bist eben doch in erster Linie eine Frau, und wie alle Frauen denkst du nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen - und das ist falsch, denn das kann dir eines Tages zum Verhängnis werden. Du weißt, auf was du dich eingelassen hast, als du dich bereit erklärtest, Ibn Achbar zu helfen. Ein Zurück gibt es nun nicht mehr, das lasse ich nicht zu.“
„Ich habe nicht behauptet, dass ich mich zurückziehen will.“
„Du brauchst es mir nicht zu sagen. Ich sehe, was du möchtest.“
Sabrina Arendt biss sich auf die Unterlippe. Nein, sie war wirklich nicht so hart, kalt und gefühllos wie Halef Mudji. Sie wollte plötzlich nichts mehr mit ihm zu tun haben, aber er hatte ihr unmissverständlich erklärt, dass sie nicht aussteigen konnte.
Ein Mann wie Halef Mudji löste seine Probleme schnell und eiskalt. Sie bedeutete ihm gar nichts. Sollte sie für ihn zum Risiko werden, würde er sie töten, ohne mit der Wimper zu zucken.
Sabrina schüttelte Norbert.
„Weg da!“, sagte der Araber scharf. „Lass ihn!“
„Er ist ... vielleicht tot“, stammelte die junge Frau, und ihr Herz krampfte sich bei dieser Befürchtung schmerzhaft zusammen.
„So fest habe ich nicht zugeschlagen“, behauptete der Araber. „Ich verstehe mein Handwerk. Aber es wäre kein Schaden, wenn Palven nicht mehr lebte. Dann würde ich mir eine Kugel ersparen.“
Sabrina Arendt erschrak zutiefst. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen.
„Herrje, was hast du vor?“, fragte sie heiser. „Du ... du willst ihn doch nicht etwa erschießen.“
„Ich muss. Er kam hierher. Er darf nicht wieder weggehen. Das ist mir zu riskant.“
„Aber ... aber ich war mit diesem Mann verheiratet.“
„Na und? Jetzt bist du es nicht mehr, und ich denke, du hast mir erzählt, dass du nichts mehr von ihm wissen willst.“
„Ich habe meine Meinung geändert.“
„Ach, sieh einer an. Du hast ihm verziehen.“
„Ja“, antwortete die Frau.
„Ich warne dich, Sabrina. Der Zufall und ein Auftrag haben uns zusammengeführt, und ich lasse nicht zu, dass du irgendetwas versaust.“
„Und ich lasse nicht zu, dass du Norbert Palven tötest!“, sagte Sabrina Arendt leidenschaftlich. „Dein Auftrag lautet, Rashid Achbar zu beseitigen. Bezahlt Ibn Achbar auch für diesen Mord?“
„Ich muss dafür sorgen, dass die Angelegenheit reibungslos abläuft.“
„Ich verbürge mich dafür.“
„Das kannst du nicht. Wenn ich diesen Mann laufen lasse, hetzt er mir die Polizei auf den Hals.“
„Dann ... dann behalten wir ihn eben hier“, sagte Sabrina schnell. „Er ist unser Gefangener. Du kannst ihn fesseln und meinetwegen in den Keller sperren.“
„Und sobald ich außer Haus bin, befreist du ihn.“
„Das werde ich nicht tun. Ich schwör’s bei allem, was mir heilig ist. Bitte, lass Norbert sein Leben. Ich werde mit ihm reden. Er wird uns nicht verraten. Er wird zu uns halten.“
„Aus welchem Grund sollte er das tun?“
„Aus Liebe zu mir. Er wird nichts tun, was mir schadet, und somit hast auch du nichts zu befürchten. Ich flehe dich an, unterlasse diesen sinnlosen Mord! Schenk mir sein Leben, und ich werde dir ewig dankbar sein, Halef Mudji!“
Der Araber hasste Komplikationen. Zum ersten Mal lehnte er die Bitte einer Frau nicht eiskalt ab. Was war los mit ihm? Wurde er langsam weich? Dann war es Zeit, diesen Beruf aufzugeben.
Der Revolver war auf den Bewusstlosen gerichtet. Halef Mudji hätte nur abzudrücken brauchen, aber er tat es nicht. Warum nicht? Es hatte ihm noch nie etwas ausgemacht, ein Menschenleben auszulöschen. Warum tat er Sabrina diesen großen Gefallen? Hatte sie in dieser einen Nacht mehr Eindruck auf ihn gemacht, als er gemerkt hatte?
Da war in ihm ein Gefühl, das er bisher nicht gekannt hatte. Eifersucht. Ja, er war eifersüchtig auf Norbert Palven, für dessen Leben sich Sabrina so leidenschaftlich und unerschrocken einsetzte.
Sehr bange Minuten vergingen für Sabrina Arendt. Wie würde sich Halef entscheiden?
Sie beobachtete sein Gesicht genau, vor allem die Augen. Sollte sie dort den Entschluss erkennen, dass er schießen wollte, würde sie sich auf ihn stürzen, egal, was dann mit ihr passierte. Er durfte Norbert nicht töten.
Du bekommst sein Leben nur über meine Leiche, dachte Sabrina Arendt zitternd vor Erregung.
Eine Ewigkeit verging, so kam es ihr vor. Endlich steckte Halef Mudji den Revolver weg, und Sabrina atmete erleichtert auf.
„Na schön“, sagte der Araber. „Ich schenke dir sein Leben.“
„Danke“, sagte sie, und Tränen schimmerten in ihren Augen. „Danke“, wiederholte sie ergriffen. Sie hätte nicht gedacht, dass sie noch mal so sehr an Norbert hängen würde.
„Ich habe mich noch nie so entschieden“, sagte der Araber.
„Du wirst es nicht bereuen, Halef. Ganz bestimmt nicht. Norbert und ich werden schweigen. Wir werden Deutschland verlassen und in einem anderen Land neu anfangen. Ibn Achbar wird uns den Start ermöglichen, denn er wird in unserer Schuld stehen.“
„Daran würde ich ihn lieber nicht erinnern. Er könnte es als eine Form von Erpressung auslegen. Vielleicht hätte er dann einen neuen Auftrag für mich.“
„Du meinst, er könnte dich auf uns ... Was würdest du tun?“
„Ich würde mir das Geld verdienen“, sagte der Araber hart, und Sabrina wusste, dass er die Wahrheit sagte. Die Nacht, die sie mit ihm verbracht hatte, war für ihn ohne jede Bedeutung. Es grenzte an ein Wunder, dass er ihr Norbert gelassen hatte. Mehr durfte sie von ihm nicht erwarten.
Sie musste ihm helfen, Norbert Palven zu fesseln und in den Keller zu schaffen.
„Wenn er entkommt ... Wenn ihr beide zu fliehen versucht ... Ich würde euch folgen. Nirgendwo wärt ihr vor mir sicher. In ständiger Angst müsstet ihr leben, und ich würde euch finden“, sagte Halef Mudji drohend. „Also lass dir keine Dummheiten einfallen!“