Читать книгу Privatdetektiv Tony Cantrell Sammelband #4 - Fünf Krimis in einem Band - A. F. Morland - Страница 16
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Großer Bahnhof für Butch. Sie waren alle gekommen, um ihn vom Flugplatz abzuholen. Carol Cantrell. Tony Cantrell. Und sogar Silk war da. Butch umarmte Carol und küsste sie auf die Wange. Dem Anwalt drückte er die Hand. Und Silks Hand drückte er absichtlich so fest, dass dieser das müde Gesicht unwillkürlich verziehen musste.
Sie fuhren nach Hause. Nach Western Springs, einem Vorort von Chicago. Auf der Fahrt gab Jack einen detaillierten Bericht. Er vergaß auch nicht, Julie Coburns glitzernde Persönlichkeit genau zu schildern. Und er hatte auch schon einen Vorschlag parat.
Er wollte sich zu Hause nur schnell duschen und umziehen und dann mit Morton Philby in die Clark Street fahren, um sich in Lenny Coburns Wohnung umzusehen.
Silk war begeistert. Immerhin hatte er mit einem freien Tag gerechnet. Er wollte ihn irgendwo in einem stillen Winkel des Cantrell'schen Anwesens in einem Liegestuhl schlummernd verbringen. Mit einer dunklen Brille auf den schmerzenden Augen. Wegen der grellen Sonne.
Für Silks Geschmack hatte sich Butch viel zu schnell geduscht und umgezogen. Viel zu schnell erreichten sie die Clark Street. Viel zu schnell fand Butch einen Parkplatz für den Wagen.
Den Rest des Weges mussten sie zu Fuß zurücklegen. Sie kamen an einem Blinden vorbei, der an der Mauer lehnte, sich die Sonne ins Gesicht und auf den Bauchladen scheinen ließ und sich kaum bewegte. Silk hätte gern mit ihm getauscht.
Er blieb vor dem Blinden stehen, legte ihm eine Banknote in die flache Aluminiumschale, nahm sich aber nichts von den feilgebotenen Waren.
„Danke“, sagte der Blinde mit einer krächzenden Stimme. „Vielen Dank, Sir.“
Sie gingen weiter. Butch raunte dem Freund zu: „Soll ich ihm raten, den Schein zu prüfen, weil du meist Blüten mit dir herumträgst?“
Silk warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Übrigens, wie hast du geschlafen?“, hänselte Butch den Freund weiter.
„Schlecht. Da war so ein Idiot, der mitten in der Nacht aus Las Vegas angerufen hat. Und dann habe ich auch von dir geträumt.“
„Wie nett.“
„Es war ein Alptraum“, brummte Silk.
„Schon gut. Ich merke, du willst streiten. Aber daraus wird an einem so herrlichen Tag nichts.“
Sie langten vor der Nummer 736 an. Butch immer noch bester Laune. Silk immer noch verärgert und müde.
Das Haus war grau, hoch und breit. Es bestand aus kalten Steinplatten und Glas. Die Freunde betraten einen Gang, erreichten den Lift und fuhren zum neunten Stock hoch, nachdem sie sich die Orientierungstafel angesehen hatten.
Als sie aus der Kabine traten, fiel der erste Schuss. Dann der zweite. Dann wurde von allen Seiten das Feuer eröffnet. Geschrei. Indianergeheul. Trompetensignale. Im Fernsehen lief ein Wildwestfilm.
Silk und Butch erreichten die Tür von Lenny Coburns Wohnung. Die Tür war olivgrün gestrichen. Rund um das Schlüsselloch war der Lack abgeschlagen. Coburn war wohl des Öfteren betrunken nach Hause gekommen.
Butch holte einen Dietrich hervor, nachdem er das Schloss kurz betrachtet hatte. Wenige Augenblicke später traten die Freunde ein. Wie Diebe. Und sie wussten auch, dass man sie dafür gerichtlich belangen konnte. Aber da waren schließlich Lieutenant Harry Rollins und die vielen Freunde bei der Polizei, die ihnen aus der Patsche helfen würden, wenn sie in eine solche geraten sollten.
Butch hatte die Tür sofort wieder leise geschlossen. Nun wandte er sich an Philby.
„Du übernimmst, das Bad, den Müllschlucker und die Toilette. Um den Rest kümmere ich mich.“
„Und wonach suchen wir?“
„Das sage ich dir, wenn wir es gefunden haben.“
In der Diele trennten sich ihre Wege. Silk begab sich in die Küche. Lenny Coburn schien vor seiner Abreise halb Chicago zu einer Abschiedsparty eingeladen zu haben. Das Geschirr war schmutzig und türmte sich im Spülstein und auf sämtlichen Abstellflächen zu wahren Gebirgen auf. Angeknabberte Speisereste lagen herum.
Silk sah in alle Töpfe und Pfannen. Es stank bestialisch. Silk hob Gewürztonnen und Teller hoch. Er öffnete alle Laden und blickte in alle Schränke. Nichts.
Nachdem er auch ins Backrohr gesehen hatte, verließ er die Küche und begab sich ins Schlafzimmer. Das Bild eines ausnehmend hübschen Mädchens fiel ihm sofort auf. Es stand auf einer breiten Kommode, auf der ein Ring, ein Kamm und ein Kugelschreiber lagen.
Silk nahm das Bild mit dem Rahmen und steckte es in die Brusttasche. Dann widmete er sich mit Akribie den Kommodenladen, dem Schuhkasten, dem Kleiderschrank, dem Nachtkästchen und schließlich dem zerwühlten Bett. Er warf die Polster zur Seite, hob die Decke hoch und sah auch unter die Matratze. Nichts.
Inzwischen sah sich Butch gründlich im Wohnzimmer um. Er hatte bereits alle Regale durchschnüffelt, die Polstermöbel durchsucht, die Bilder von den Haken genommen, alle Schreibtischladen geöffnet und in eine kleine Schatulle aus Sandelholz geblickt.
Ohne jeden Erfolg.
Silk kam.
„Nun?“, fragte Jack.
Philby holte das Mädchenfoto im Rahmen aus der Brusttasche.
„Das ist das Einzige, was ich gefunden habe. Hübsches Mädchen, was?“ Butch warf einen kurzen Blick auf das schwarzhaarige Mädchen im taschentuchgroßen Bikini.
„Sehr“, sagte er dann. „Weißt du, wer das ist?“
„Seine Freundin, nehme ich an“, meinte Silk.
„Falsch. Das ist Julie, seine Schwester. Unsere neue Klientin.“
Silk verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen.
„Ich bin sicher, du hast dich bei ihr wieder mal gründlich danebenbenommen.“
Butch winkte ärgerlich ab.
„Ach, rutsch mir doch den Buckel ... Hast du seine Anzüge gefilzt?“
„Nein.“
„Verdammt. Wenn man nicht alles selber macht ...“
Silk wandte sich wortlos um und verschwand wieder im Schlafzimmer. Butch begann wie ein Staubsauger über den Boden zu rutschen.
Nach einer Weile kam Morton Philby aus dem Schlafzimmer zurück.
„Alle Anzugtaschen sind leer“, sagte er. „Nicht einmal ein Brotkrümel war zu finden.“
Jack zog die Mundwinkel herab. „Das sagst du nur, um mich zu ärgern, was? Na, komm schon. Rück ’raus damit, Silk! Was hast du gefunden?“
„Wirklich nichts.“
„Verdammt. Vielleicht finden wir hier noch was.“ Butch bückte sich und hob den Papierkorb auf, der neben dem Schreibtisch stand. Butch leerte den Inhalt auf den breiten Schreibtisch.
Silk kam näher.
„Wenn du Verwendung für gebrauchte Papiertaschentücher hast, kannst du sie dir ohne zu fragen nehmen“, sagte Jack grinsend. Er griff nach einem Kugelschreiber und entfernte damit die Taschentücher. Er fand ein gelbes Kuvert. Von einer Versicherung. Er fand einen Reiseprospekt. Von Kitzbühel in Österreich. Er fand einige zerknüllte Zettel, auf denen Lenny Coburn notiert hatte, was er im Supermarkt kaufen wollte. Auch die Supermarktquittung war da.
Als letztes fiel Butch die Rechnung eines Tanzlokals in die Hände. Das Lokal hieß „Melissa“.
„Ist zwar nicht viel, aber besser als nichts“, sagte O'Reilly lächelnd.
Philby starrte den Zettel beinahe feindselig an. „Willst du damit etwa sagen, dass wir danach gesucht haben?“
„Nicht direkt“, erwiderte Jack. „Aber wenn wir sonst nichts finden können, werden wir eben dieser Spur nachgehen.“
„Ich höre immer Spur“, höhnte Silk.
„Dann hörst du richtig.“ Butch hielt ihm die Rechnung hin und wies auf den rot gedruckten Kopf. „Kannst du lesen?“
„Ich habe es mal gelernt.“
„Dann versuch mal, ob du es noch kannst.“
„Melissa“, sagte Silk. „Na und?“
„Na und. Du bist ja für deine lange Leitung weltweit bekannt, Silk“, sagte Butch. „Ich will es dir nicht allzu schwermachen. Remsberg. Donald Remsberg. Kennst du dich jetzt aus?“
„Nicht ganz. Aber es beginnt zu dämmern.“
„Du hast den Namen schon mal gehört, nicht wahr?“
„Ja“, sagte Philby. „Ich glaube schon.“
„Von wem?“
„Von dir, wenn mich nicht alles täuscht.“
Butch klatschte in die Hände.
„Na, bravo. Du hast es wieder mal gerade noch vor dem Gong geschafft. Sehr richtig. Du hast den Namen Donald Remsberg von mir gehört. Der Mann gehört zu meinem Freundeskreis. Sein Tanzlokal trägt den Namen seiner Schwester: Melissa. Lenny Coburn hat dort verkehrt. Und zwar kurz vor seinem Tod. Deshalb werden wir Don Remsberg jetzt einen Besuch abstatten.“