Читать книгу 8 Arztromane: Engel in Weiß und ein Arzt aus Leidenschaft - Sammelband - A. F. Morland - Страница 76
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Nach der Arbeit bat Hartmut Kutter seinen neuen Freund Mario Schönberg, mit ihm essen zu gehen. Sie sprachen über Michaela, und Mario sagte: „Wenn ich nach Hause komme, und sie ist nicht da, durchdringt mein Herz eine schmerzhafte Traurigkeit.” Ein Ruck ging durch seinen Körper. „Aber bis zur Premiere wird sie gesund sein.” Er lächelte dünn. „Jeder Künstler hat wohl eine Macke. Die meine ist: Ich kann ohne Michaela nicht auftreten. Ich kann bei den Proben mein Bestes geben, kann jeden Abend auf der Bühne stehen, ohne dass Michaela im Publikum sitzt - aber eine Premiere ohne meine Frau schaffe ich nervlich nicht.”
„Aber sie kann doch nichts für dich tun”, sagte Hartmut. „Du stehst mit ihr oder ohne sie allein auf der Bühne.”
„Michaelas Anwesenheit gibt mir Selbstvertrauen und Kraft. Wenn sie da ist, kann ich über mich selbst hinauswachsen. Sie spornt mich durch ihre bloße Anwesenheit zu Leistungen an, zu denen ich ohne sie nicht fähig wäre, und sie bringt mir Glück, unendlich viel Glück. Wenn sie im Publikum sitzt, weiß ich, dass nichts misslingen kann - und es ist auch noch nie etwas schief gegangen.”
Hartmut Kutter schüttelte den Kopf.
„Wieso ist der Mensch nur so abergläubisch?”
„Bist du es nicht?”, fragte Mario Schönberg.
„Ein wenig ist es wohl jeder, aber nicht alle geben es zu - und am schlimmsten sind die, die sich in der Öffentlichkeit darüber lustig machen.”
Das Restaurant, in dem sie saßen, hatte eine angenehme Atmosphäre, war sehr gemütlich und intim. Der Kellner, der sie bediente, war aufmerksam und unaufdringlich. Immer zur Stelle, wenn man ihn brauchte - nicht zu sehen, wenn man seine Ruhe haben wollte. Ein guter, dienstbarer Geist. Einer der Besten seiner Zunft.
Mario Schönberg war bekannt, dass Hartmut Kutter nicht nur die derzeit laufenden Proben seiner neuen Oper leitete, sondern auch damit befasst war, eine seiner früheren Inszenierungen von „Don Giovanni” wieder auf den Spielplan zu bringen. Das Arbeitspensum, das Hartmut zu leisten hatte, war enorm. Kutter strich sich mit der Hand über seinen grauen Bart.
„Hast du heute schon einen Blick in die Zeitung geworfen?”
Mario schüttelte den Kopf. „Nein.”
Hartmut nickte. „Das dachte ich mir, sonst hättest du mich nämlich bestimmt schon darauf angesprochen.”
Mario sah den Freund verwirrt an. „Worauf?”
Hartmuts Blick verfinsterte sich.
„Man hat heute morgen Eberhart Fischer verhaftet.”
Mario erschrak. „Nein!”
Hartmut wiegte seufzend den Kopf. „Leider doch.”
„Warum denn das?”, wollte Mario wissen.
„Er hat versucht, seine Frau umzubringen.”
Mario riss ungläubig die Augen auf. „Fischer?”
„Fischer”, bestätigte Hartmut Kutter. „Aber er hat sie doch erst vor drei Monaten geheiratet.”
Hartmut hob die Schultern.
„Sie hat ihn mit ihrem Friseur betrogen. Er hat sie in flagranti erwischt und wollte sie mit einem abgebrochenen Stuhlbein erschlagen.”
„O mein Gott.”
Hartmut Kutter nickte grimmig.
„Nun stehe ich ohne Don Giovanni da. Soll ich dir etwas verraten? Ich habe dich nicht ohne Hintergedanken zum Essen eingeladen. Ich hab’ ein Attentat auf dich vor. Ich weiß, dass du den „Don Giovanni” schon mal mit beachtlichem Erfolg in Frankfurt gesungen hast.”
„Ich war zweite Besetzung”, wandte Mario Schönberg bescheiden ein.
„Als der Star an einer Kehlkopfentzündung laborierte, bist du für ihn eingesprungen, und die Kritiker haben dich gelobt. Ich hab’s gelesen. Ich möchte, dass du diesen ,Don Giovanni’ mit mir machst. Das wäre nicht zu viel Mehrarbeit für dich. Wir haben die gleiche künstlerische Auffassung. Du hättest ein paar Proben mehr zu bewältigen.”
„Und eine weitere Premiere zu bestehen”, fügte Mario hinzu.
„Ich sehe kein Problem darin”, erwiderte Hartmut.
„Wann?”, fragte Mario.
„Wann was?”
„Wann wäre die zweite Premiere?”, wollte Mario wissen.
„Heute in sieben Wochen”, antwortete Hartmut. „Ich würde dir nicht anbieten, den „Don Giovanni” zu singen, wenn ich wüsste, dass ich dich damit überfordere. Ich bin davon überzeugt, dass du auch in der Mozart Oper glänzen wirst.”
Mario rieb sich die Nase.
„Dein Vertrauen ehrt mich, und ich freue mich auch über dein Angebot, aber es kommt ein bisschen zu plötzlich. Wie lange habe ich Zeit, mir die Sache zu überlegen?”
Hartmut schaute auf seine Armbanduhr und antwortete lächelnd: „Fünf Minuten.”
Es war kein Sprung ins kalte Wasser. Mario hatte den „Don Giovanni” erst vor neun Monaten gesungen. Jede Note war noch so frisch in ihm, als wäre er in dieser Rolle gestern zum letzten Mal aufgetreten.
Es war zu machen. Vor allem bei einer Zusammenarbeit mit Hartmut ging Mario kein Risiko ein. Trotzdem überlegte er. Die ganzen fünf Minuten nutzte er aus. Als sie um waren, fragte Hartmut Kutter: „Nun, wie hast du dich entschieden?”
„Ich mache es.”
Hartmut grinste zufrieden. „Ich wusste, dass du mich nicht im Stich lässt.”