Читать книгу Das Riesen Arztroman Paket August 2021: Arztromane Sammelband 8 Romane - A. F. Morland - Страница 65
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ОглавлениеMontego Bay.
Christian hielt nach Alexis Ausschau, aber er konnte sie nirgendwo sehen. Stattdessen entdeckte er in der Menge der Wartenden das schmale, lange Gesicht von Tom Silverman. Eine unverwechselbare Physiognomie: hohe Stirn, tiefliegende Augen, dünne Lippen, Hasenzähne, fliehendes Kinn. Man konnte ihn nicht zu den schönen Menschen zählen, aber er war ungemein sympathisch – und es gab nichts, was er für Alexis nicht getan hätte. Er zerfranste sich für sie und hätte sich für sie auch jederzeit in Stücke reißen lassen. Er war ihr brüderlicher Freund, Mentor, Manager ... Was immer sie wollte – er war es.
Christian hob die Hand, um sich bemerkbar zu machen.
„He, Doc, da bist du ja!“, jubelte Tom. Über sein Gesicht breitete sich ein freudiger Glanz.
„Hallo, Tom, wie geht’s?“, fragte der junge Schönheitschirurg auf Englisch.
„Prächtig, prächtig. Wie war’s in old Germany, Doc?“
„Sehr schön“, antwortete Dr. Christian Bach.
„Hast du deine alten Freunde wiedergesehen?“
„Einige“, nickte Christian.
„Wie geht es deiner Mutter?“
Christian nickte. „Prima, danke.“
„Wieso kommt sie nicht mal rüber?“
Christian Bach lächelte. „Sie hat Angst vorm Fliegen.“
„Die kann sie doch ihrem Sohn zuliebe mal überwinden.“
„Das wird sie irgendwann“, meinte Christian. „Aber ich werde ihr wohl noch sehr oft und sehr lange zureden müssen.“
„Gut Ding will eben Weile haben“, grinste Tom Silverman, Alexis’ Mädchen für alles. „Gib her, Doc. Lass mich dein Gepäck nehmen. Hattest du einen angenehmen Flug?“
„Er hätte nicht besser sein können.“
„Schön. Sehr schön.“ Sie gingen durch die Ankunftshalle. Tom Silverman trug Dr. Bachs Koffer und die Reisetasche. Christian blieb nur sein Handgepäck, ein weinroter Attachékoffer.
„Nichts gegen dich, Tom“, sagte Christian, „du weißt, dass du mir lieb und wert bist, aber ... wo ist Alexis? Sie wollte mich abholen.“
„Sie lässt sich entschuldigen.“
„Ist sie nicht in Montego Bay?“, fragte Christian. Sie traten hinaus in die heiße karibische Sonne.
„Nein“, antwortete Silverman. „Sie muss ein paar Videoclips drehen.“ Er feixte. „Ich soll dir einen Kuss von ihr geben.“
„Untersteh dich!“
„Mein Wagen steht dort drüben.“ Christian bemühte sich, nicht enttäuscht zu sein. Er hatte sich auf Alexis gefreut, aber wenn sie zu arbeiten hatte ...
Wenn er manchmal bis spät nachts in der Klinik war, sagte sie auch nichts. Der Beruf hatte bei ihnen beiden stets Vorrang. Christian kämpfte erfolgreich gegen seine Uneinsichtigkeit und seinen Egoismus an.
Nur kleine Kinder müssen immer alles gleich und sofort haben. Er würde es schon noch ein paar Tage ohne Alexis aushalten. Umso größer würde hinterher die Wiedersehensfreude sein.
Sie fuhren durch die Stadt. Montego Bay ... Das war Hitze, Staub, Abgasgestank, Lärm, Musik an jeder Straßenecke, eine Menge Verkehr, Straßenhändler, Touristen, Bettler, Souvenirshops, Hamburgerläden, Rastamen mit langen Zöpfen, struppigen Bärten und abenteuerlichen Mützen auf dem Kopf ...
„Wann kommt Alexis zurück?“, wollte Christian Bach wissen.
„Sobald die Clips abgedreht sind“, antwortete Tom Silverman.
„Und wann wird das sein?“
„Keine Ahnung.“
Da, wo die Stadt nicht mehr brodelte, war Christian zu Hause. Er wohnte auf einer kleinen Anhöhe, konnte von seiner Terrasse aus den Hafen und das Meer sehen.
Tom Silverman hielt den Wagen an. „Wieder daheim“, sagte er. „Oder hast du noch nicht das Gefühl, dass dies hier nun dein richtiges Zuhause ist?“
„Darüber habe ich mir, ehrlich gesagt, noch keine Gedanken gemacht“, gab Christian zurück und stieg aus. „Ich meine, ein Mensch kann mehr als ein Zuhause haben. Ich fühle mich überall daheim, wo ich glücklich und zufrieden bin, wo ich gute Freunde habe und einen Job, der mich ausfüllt.“
„Ein Zuhause auf Jamaika, eines in Deutschland ...“
„Warum nicht?“ Christian lächelte.
„Ja. Warum eigentlich nicht?“ Tom holte den Koffer und die Reisetasche aus dem Kofferraum.
Sie gingen ins Haus. Christian hatte ein gutes Gefühl, als er sein Heim betrat. Noch besser hätte er sich nur noch gefühlt, wenn Alexis bei ihm gewesen wäre.
Tom Silverman stellte das Gepäck im Wohnzimmer ab. Er war ein sehr guter Freund. Christian konnte immer auf ihn zählen.
„Einen Willkommensdrink?“, fragte Tom und zeigte auf die Hausbar.
„Gute Idee“, stimmte der junge Arzt sofort zu. Nach dem Drink duschte Christian Bach und zog sich um. Er trug jetzt ein langes, weites Hemd und kurze Hosen.
„Wann musst du wieder in der Klinik sein?“, fragte Tom.
„Übermorgen.“
„Dann hast du den morgigen Tag noch zum Erholen“, sagte Tom Silverman.
„Ein Chirurg braucht ein gutes Auge und eine sichere Hand.“
„Beides erhält man sich nur über einen längeren Zeitraum, wenn man ein seriöses, weitgehend stressfreies Leben führt.“
Ein pfiffiges Lächeln umspielte Toms dünne Lippen. „Vielleicht komme ich auch mal zu dir in die Klinik.“
Christian sah ihn überrascht an. „Du? Warum?“
„Musst du das fragen? Sieh mich an, dann weißt du es.“
„Bist du mit deinem Aussehen nicht mehr zufrieden?“, fragte Christian Bach.
„Meine Mutter hat die Fotos von mir früher immer auf den Kopf gestellt.“
„Weshalb denn das?“, lachte der junge Schönheitschirurg.
„Sie dachte, so hätte sie sie richtig in der Hand“, grinste Tom Silverman. „Mal ehrlich, Doc, könntest du was für mich tun?“
„Natürlich könnte ich etwas für dich tun. Aber meinst du, dass es wirklich nötig ist? Niemand stößt sich an deinem Aussehen.“
„Du musst ja nicht gleich einen zweiten Robert Redford aus mir machen“, erklärte Tom. „Es würde mir schon genügen, wenn man mich für Robert de Niros Bruder halten würde. Meinst du, du würdest das hinkriegen?“
„Ich würde nichts an deinem Gesicht ändern. Dein Aussehen ist dein Markenzeichen.“
„Ich glänze durch innere Schönheit, wie?“
„So ist es“, nickte Dr. Bach.
„Danke, Doc.“ Tom Silverman schüttelte ihm die Hand. „Du hast mir soeben geholfen, ’nen Haufen Geld zu sparen.“ Er war hier auf der Insel Christians bester Freund.
Mehr konnte sich nur noch Alexis auf ihn verlassen. Anfangs hatte Dr. Christian Bach versucht, durch Tom mehr über Alexis in Erfahrung zu bringen, doch da hatte er jedes Mal auf Granit gebissen. Was Alexis ihm nicht verraten wollte, das erfuhr er auch nicht von Tom Silverman. Christian vermutete, dass Tom alles über Alexis wusste – aber der Bursche konnte schweigen wie ein Grab, aus dem bekam niemand etwas heraus, mit welchen Tricks auch immer er es versuchte.
Tom blieb eine Stunde, dann verabschiedete er sich. Christian legte sich unter Palmen in eine Hängematte und baumelte mit der Seele. Er bedauerte, dass Alexis nicht bei ihm war – und schlief ein.