Читать книгу Krimi Paket Mörderisches Lesefutter im August 2021: 16 Romane - A. F. Morland - Страница 18

11.

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Es wurde eine lange Nacht und die Sonne war längst wieder aufgegangen, bis alle ihre Geschichten zu Protokoll gegeben und unterschrieben hatten. Nach Beelitz lief eine Großfahndung, obwohl Kramer und erstaunlicherweise auch Caro nicht davon überzeugt waren, dass er Anna vorsätzlich getötet hatte. Bernd Lankenow alarmierte seinen Anwalt, der es tatsächlich schaffte, dass der Apotheker das Präsidium verlassen durfte. Voudrain würde nach einer Notoperation überleben.

»Na, da hast du ja mal wieder großartig aufgeräumt«, moserte Caro. »Nur deinen Schmuck hast du nicht gefunden.«

»Ich weiß, wo er wahrscheinlich steckt respektive die Teile, die noch nicht nach Frankreich gebracht und dort verscherbelt worden sind.«

»Und einen Beweis dafür, dass Voudrain Eberhard Nachtwächter erschossen hat, kannst du mir auch nicht beibringen.«

»Nein, mein Schatz, aber ich bin ja auch kein Kriminalbeamter.«

Caro schoss ihm einen bitterbösen Blick zu und presste die Lippen zusammen.

Immerhin hatte Kramer von Caro erfahren, dass Esteburg mäßig erfolgreich mit Immobilien handelte, wie viele Unternehmer unter der Krise litt und die künstlerischen Ambitionen seiner Frau so groß wie freizügig unterstützte, so lange sie seine Angetraute nur aus dem Hause führten.

Kramer fuhr nach Hause, schlief ein paar Stunden wie ein Stein, versuchte am frühen Nachmittag, sich mit Kaffee zu ersäufen, und quälte sich dann ins Büro. Seinen Abschlussbericht musste er mehrmals beginnen und zum Glück beherrschte er die Technik, ganze Absätze zu markieren und zu verschieben. Es wurde Schwerstarbeit, die immerhin den Vorteil hatte, dass er so langsam aus seinem Tran auftauchte. Seyboldt räumte schon zusammen, als Kramer ihn anrief.

»Haben Sie den Schmuck gefunden?«

»Nein, Victor, dazu brauche ich Ihre Hilfe. Wie heißt Sabrina mit Familiennamen, wo wohnt sie und wie lautet ihre Handynummer ?«

»Was soll denn das? Der Ehemann ist eifersüchtig, außerdem ein guter Schütze, Rolf, lassen Sie den Blödsinn.«

»Nix Blödsinn, alles Arbeit, Victor. Wenn der Ehemann Zeit und Lust hat, nehmen wir ihn mit.«

»So viel Zynismus hätte ich Ihnen nicht zugetraut. Sie heißt Sabrina Buchwald, wohnt in der GottfriedBergerAllee 45, Handy 01778 2301380.«

»Danke, Victor. Wie kommen Sie mit Sabrinas Urlaubsvertretung aus?«

»Gar nicht. Freue mich immer, wenn sie endlich nach Hause geht. Kann man Schwangerschaften eigentlich nicht beschleunigen?«

»Je eher die Frühgeburt, desto länger bleibt die Mutter im Krankenhaus bei ihrem Frühchen.«

»Ist das sicher?«

»Ziemlich sicher, Victor. Tut mir leid für Sie.«

Später fuhr Kramer dann doch noch einmal nach Werlebach. Erstens konnte er nicht so früh schlafen, zweitens hatte er nie gelernt, einfach zu faulenzen, und drittens musste er noch seine Rostlaube vom Hof des Polizeireviers abholen. Der so genannte Schnellbus geriet in den einsetzenden Berufsverkehr und bewegte sich ausgesprochen langsam vorwärts. Kramer ärgerte sich, mit der Fähre wäre er flotter vorangekommen.

Als er endlich an der Einmündung der Haupt in die Uferstraße aus dem Bus stieg, entschädigte ihn der Zufall für die viele vergeudete Zeit. Ein schwer angetrunkener Mann wankte ihm entgegen. Babel hatte wohl einen oder mehrere Trauerschlucke auf den Tod seiner Tochter Corinna getrunken. Kramer trat ihm in den Weg: »Mein herzliches Beileid, Babel.«

Der Mann starrte ihn verständnislos an und erkannte ihn nicht, reagierte auch nicht, als Kramer mit dem Fuß gewaltig ausholte und einen teuflisch präzisen Treffer in Babels Weichteilen anbrachte. Es riss den trauernden Säufer regelrecht von den Beinen, und als sich Babel heulend am Boden wälzte, tröstete Kramer ihn großmütig: »Jetzt sind wir quitt, mein Freundchen.«

Engel freute sich über seinen Besucher und bot an, Kaffee zu kochen.

»Gerne, aber bitte nur eine Tasse. Ich habe heute schon zu viel Kaffee getrunken.«

Die Automatik hatte mehrfach das Kassettenaufnahmegerät in Betrieb gesetzt. Eine 120erKassette war fast völlig bespielt, und weil Kramer neugierig war, spulte er sie zurück und setzte sich den Kopfhörer auf. Durch Zufall begann er mit der Aufzeichnung der Telefonwanze.

Dircks sprach laut und ärgerlich. »Franzi, wir brauchen

unbedingt Bargeld. Voudou hatte mich angerufen, bevor wir zu dir nach Ketzingen gekommen sind. Das Finanzamt tritt ihm auf die Füße, sein Autolieferant wird ungemütlich, er schuldet der Berufsgenossenschaft noch Beiträge für die Unfallhaftpflichtversicherung. Und ehrlich gesagt, ich könnte auch etwas Nachschub vertragen, meine Lieferanten wollen mal Geld sehen. Na, wie steht’s?«

»Von mir aus schon. Aber was machen wir ohne Voudou?«

»Ich kenne seinen Onkel, es wäre nur der Transport nach Clermont Ferrand zu erledigen.«

»Und wer soll den übernehmen?«

»Das würde ich ebenfalls machen.«

»Wie geht es Voudou?«

»Die Operation hat er gut überstanden. Aber sonst ... ich weiß nicht.«

»Wenn du kurzfristig so dringend Geld brauchst, frag doch einmal deine Nachbarin.«

»Christine? Die ist im Moment allein mit dem Gedanken beschäftigt, was auf sie und Bernd wegen der Tongrube zukommt.«

»Wer redet denn von dem Geizkragen Christine? Nein, rede mal mit Irene.«

»Wie soll die an Geld kommen? Die hat mich auch schon gefragt, wie es mit den Transporten nach Frankreich weitergehen soll.«

»Sag mal, bist du so beschränkt oder tust du nur so?«

»Was soll das heißen?«, knurrte Dircks unfreundlich.

»Die liebe Irene hat mehr Moos als wir alle zusammen.«

»Ich glaube, du irrst dich, so gut läuft die Boutique auch nicht.«

»Wer redet denn von Einnahmen aus der Boutique? Hast du dir nie über die Fotos von Beelitz und Irene Gedanken gemacht?«

Dircks keuchte vor Überraschung. »Du meinst...?«

»Ja, ich meine nicht nur, ich weiß. Voudou hat’s mir erzählt. Irene wollte was in der Hand haben, um Beelitz notfalls erpressen zu können, falls es Eberhard nicht gelungen wäre, Irene in den „Kreis der Eisele-Begünstigten“ aufzunehmen.«

»Aber das ist ihm gelungen.«

»Ja. Trotzdem hat sie Beelitz monatlich ganz schön angezapft.«

»Das glaube ich nicht, Beelitz ist zwar ein geiler Bock, aber er schläft doch nicht mit einer Frau, die ihn deswegen erpresst.«

»Wer sagt denn, dass sie das getan hat. Um die ersten Raten hat sich Voudou noch persönlich gekümmert, am Tag vor seinem Prozess, und als er in den Rnast einfuhr, liefen die Zahlungen schon regelmäßig.« Franzi kicherte unschön. »Hättest du nicht gedacht, dass deine schone, harmlose Irene so eng mit Voudou verhandelt war, was?«

»Nein«, stöhnte Dircks. »Wenn das überhaupt alles stimmt, was du da behauptest, du bist immer schon ein Lästermaul und eine gute Lügnerin gewesen. Kein Wunder, dass Christine dich nicht leiden kann.«

»Es gab mal eine Zeit, während der es dir ziemlich egal war, wie ehrlich ich war, Hauptsache, ich zog nur schnell genug meinen Rock aus.«

»Stimmt«, bestätigte Dircks, »doch die Zeiten sind vorbei.«

»Von meiner Seite aus bestimmt. Aber hast du inzwischen was dazugelernt? Ich fürchte, nein, mein lieber Peter. Wie könntest du sonst deine schöne Irene für eine harmlose, unschuldige Frau halten, die in Wirklichkeit heute mit dir, morgen mit jedem anderen ins Bett steigt.«

»Pass auf, Franzi, wir machen jetzt Schluss und ich berichte Irene, was du mir gerade erzählt hast.«

»Viel Spaß. Und wenn du dann aufgewacht bist, darfst du mich wieder anrufen.«

Das Telefon klickte, gleich danach stoppte die Kassette.

Kramer rieb sich das Kinn. Dieser alte Spürhund von Victor hatte wieder mal richtig geschnuppert. Ein Privatdetektiv wirbelte mit etwas Glück viel Staub auf und schon gingen

sich die früher so einigen Beteiligten an die Kehle. Das Band lief wieder an. »Laysen.«

»Tach, Irene. Hier ist Peter. Könntest du bitte mal zu mir kommen. Auf eine Viertelstunde oder so?«

»Mein Bett ist bequemer, Peter.«

»Ich weiß, aber ausnahmsweise möchte ich nicht mit dir schlafen, sondern ernsthaft mit dir reden.«

»Was ist los? Auf einmal so streng?«

»Bitte komm!«

»Bin schon unterwegs.«

Kramer holte die Kassette aus dem Aufnahmegerät, das aufzeichnete, was die unter dem Tisch festgeklebte Wanze sendete, und legte nun sie in den Rekorder ein.

»Hallo, Peter.« Kramer fuhr zusammen, er hatte keine Klingel und kein Klopfen gehört, so als ob Irene Laysen Schlüssel für Haus und Wohnung besaß.

»Hei, Irene«, grüßte Dircks.

»Was ist los?«

»Ich habe gerade lange mit Franzi telefoniert. Ich brauche Geld, aber sie meinte, bevor wir wieder ein Stück nach Clermont Ferrand verkaufen, sollte ich dich mal fragen, ob du mir was leihen kannst.«

»Ausgerechnet ich?«, lachte sie.

»Das habe ich Franzi auch gefragt und sie meinte, du hättest genug von Beelitz erpresst, um mir auszuhelfen.«

»Ich?«, wiederholte Irene staunend. »Wie soll ich denn Beelitz erpresst haben?«

»Mit den Bildern, die Voudou von euch beiden geschossen hat. Und Franzi meinte auch, du hättest Voudou an der Erpressung finanziell beteiligt.«

»Das stimmt«, bekräftigte sie ungerührt. »Ihr wolltet ja mit dem Verkauf der Beute unbedingt warten, bis Voudou wieder aus dem Kasten raus war, aber ich brauchte sofort Geld.«

»Irene, da waren die Lebensversicherung und die Ersparnisse deiner Adoptiveltern. Du hattest Geld, mehr als genug.«

»Man kann nie genug Geld haben, Peter. Ich musste das Geschäft zum Laufen bringen, für Anna sorgen und ab und zu wollte ich mir auch mal etwas gönnen.«

»Dann hat Voudou die Fotos also nicht zufällig von euch gemacht?«

»Nein, wie hätte er auch wissen sollen, wann und wo Beelitz und ich uns trafen. Der geile Werner ist uns glatt in die Falle gegangen. Was ist los? Warum wirst du so rot im Gesicht?«

»Ich schäme mich für dich.«

»Brauchst du nicht. Huhu haben mich oft wie Dreck und Ungeziefer behandelt und da bin ich halt so geworden, wie sie es mir unterstellten.«

»Aber ausgerechnet mit Voudou!«

»Ja, der ist ein ziemliches Schwein. Weißt du, dass er Nacktaufnahmen von mir gemacht und in der Berufsschule verkauft hat bevor sich Beelitz für mich interessierte?«

»Und du hast dich für die Aufnahmen bezahlen lassen?«

»Sicher. Nachdem ich die ganze Wohnung und den Scheißladen geputzt hatte, meinte Hulda, das sei das wenigste, was ich kleines Miststück als Lohn dafür leisten könnte, dass sie und Hubert mich aufgenommen hätten.«

»Das glaube ich nicht«, stammelte Dircks.

»Kannst du ruhig. Ich hatte eine ach so schöne Jugend. Und dann kam Beelitz und versprach mir, er würde mir helfen, meine Eltern zu finden, damit ich aus der Laysen’schen Hölle fliehen könnte. Aber so ganz habe ich ihm nicht vertraut, Männer neigen dazu, ihre Versprechen schnell wieder zu vergessen, und deshalb habe ich Voudrain gefragt, ob er mir helfen würde. Er wollte, für ein schmutziges Geschäft war er immer zu haben. Ein paar verfängliche Aufnahmen, damit wir Beelitz zwingen konnten, sein Versprechen zu halten. Aber Voudou hatte, was ich nicht ahnte, damals schon seine eigenen Interessen, er brauchte Geld.«

»Warum hast du mir nie davon erzählt?«

»Was hätte das genutzt?« Irene schnaufte widerwillig.

»Ich habe zum Schluss nur Angst gehabt, dass Anna einmal Voudou über den Weg laufen würde.«

»Und? Sind sie sich mal begegnet?«

»Das weiß ich nicht.«

»Es tut mir alles so leid, Irene, wenn ich das doch nur gewusst hätte.«

»Dann hättest du nichts ändern können.« Ein Stuhl wurde heftig gerückt. »So, ich gehe jetzt, und wenn du dir alles überlegt hast und alles verstehst, was in diesem Fall auch heißt, damit leben kannst, dann ruf mich mal an. Aber warte nicht zu lange, Peter. Sobald ich weiß, wo Anna ist oder was ihr zugestoßen ist, breche ich in Werlebach meine Zelte ab. Tschüss.«

»Tschüss, Irene«, erwiderte Dircks wie betäubt und dann krachte die Wohnungstür ins Schloss, dass sich das Mikrofon verschluckte.

Kramer nahm beide Kassetten und ging zurück ins Revier. Engel sah ihn neugierig an. »Was Neues?«

»Ja, ich hätte gerne, dass Sie sich diese beiden Kassetten anhören und dann an Caro Heynen weiterleiten.«

Engel nickte bedrückt und Kramer schrieb eine Nachricht auf ein Blatt Papier.

Liebe Caro,

ich habe Engel gebeten, sich beide Bänder anzuhören und

dann an dich weiterzugeben. Natürlich sind sie illegal '

aufgenommen und deshalb als Beweismaterial völlig wertlos. Aber sie helfen doch, manches zu verstehen.

Gruß, dein Rolf

Trotz zweier starker Schlummerwhiskys schlief Kramer schlecht ein und träumte dann wildes Zeugs von Schülern, die sich um Zigarettenbildchen mit nackten Frauen so heftig prügelten, dass alle Nasen und Lippen bluteten.

Am nächsten Morgen gönnte Kramer sich ein ausgiebiges Frühstück mit Spiegeleiern auf Speck und Toast, bummelte ins Büro und wartete auf Caros Anruf.

Der kam auch gegen elf Uhr: »Vielen Dank. Du hast Recht, als Beweismaterial unbrauchbar, als Erklärung unschätzbar wertvoll. Du hast zwei Mittagessen verdient.«

»So hungrig bin ich gar nicht. Aber danke für die gute Absicht. Ob die Staatsanwaltschaft heute arbeitet?«

»Nein, gehe nur zu deinem „Färscht, wenn du auch gerufen wärscht“.«

»Alles klar.«

Holger Weissbart rief später an: »Hast du schon gehört? Im Ehrenausschuss des Rates wird verhandelt, dir die Verdienstmedaille der Stadt Terborn zu verleihen.«

»Himmel, was habe ich ausgefressen?«

»Die Stadt vor einer katastrophalen Grundwasservergiftung bewahrt.«

Danach rief Kramer endlich Sabrina an. »Ich brauche bitte Ihre Hilfe.«

»Wie das? Wollen Sie gebrauchte Paletten kaufen?«

»Nein. Ich vermute, dass jemand etwas in dem Künstlerkolonie-Lokal versteckt hat, und ich brauche jemanden, der sich in dem Bau auskennt.«

»Verehrter Rolf, ich ahne, worauf so eine Bitte hinausläuft. Ab und zu lese ich die Berichte, die Sie an Victor schicken.«

»Keine Chance? Denken Sie an Ihre Gehaltserhöhung.«

»Moment mal!« Kramer hörte, dass Sabrina mit jemandem heftig tuschelte, bevor sie die Hand wieder vom Mikro nahm. »Sie haben Glück, mein Mann meint, ich solle mich nicht so zieren.«

»Fein, vielen Dank, bestellen Sie ihm doch bitte schöne Grüße von mir.«

»Mach ich. Dann kommen Sie heute um neunzehn Uhr bei uns vorbei. Wir fahren zusammen. Haben Sie eine hübsche Freundin?«

»Nein, gar keine Freundin. Aber eine Aushilfe für solche Fälle.«

»Kostüm ist Pflicht. Heute Abend findet nämlich das Sommerfest der Künstlerkolonie statt.«

»Ich komme als Privatdetektiv.«

»Keine sonderlich gute Idee.«

»Was ist mit Altpaletten-Aufkäufer?«

»Das ginge schon eher. Aber bringen Sie in dem Fall genügend Kleingeld mit.«

Anielda verbarg ihre Begeisterung hinter schlechter Laune. »Ich habe nichts anzuziehen.«

»Bei solchen Festen kleidet viel Haut sehr gut.«

»Du bist und bleibst ein schlimmer Wüstling.«

»Der erwartet dich Punkt 18.45 Uhr im Büro.«

Aus einem ruhigen Mittag wurde nichts. Eva Posipil überfiel ihn kurz vor eins. »So, wir ziehen das durch!«

»Was?«

»Unser Klavierquintett. Bevor wir wegen Hartz IV putzen gehen müssen, machen wir uns lieber als Quintett selbstständig. Eine musikalische WirAG. Die hochverehrte Akademieleitung hat zugestimmt, dass wir schon unsere Abschlussvorstellung als Quintett geben dürfen. Wir üben bereits wie die Verrückten.«

»Habt ihr ein vernünftiges Programm?«

»Carl Reinecke, Opus 83.«

»Mutig.«

»Wilhelm Berger, Opus 95.«

»Sehr schön. Wird viel zu selten gespielt.«

»Louis Spohr, Opus 130.«

»Etwas konventioneller Schluss, findest du nicht auch?«

»Unsere Pianistin möchte auch mal brillieren.«

»Na dann.«

»Hör mal, Rolf, ich bin noch aus einem anderen Grund gekommen. Du hast doch gute Beziehungen zur Presse?«

»Ach, daher weht der Wind.«

»Wir treten im großen Festsaal des Schlosses auf. Und wenn du den Musikkritiker des Tageblatts dorthin bewegen könntest, würde sich die ganze Plackerei vielleicht sogar auszahlen.«

»Ich kenne zufällig den Plattenheini vom Morgenecho.«

»Der kann doch Beethoven nicht von Mozart unterscheiden.«

»Der hat an deiner Akademie Horn studiert.«

»Is’nich’wahr!«

»Mit Prädikat/ Anschließend ist er über die Dörfer geringelt. Bis er eine nette junge Frau kennen lernte, die von ihm schwanger wurde und von ihm verlangte, endlich ordentlich Geld zu verdienen. Also hat er die Kunst auf gegeben und ist zur Presse gegangen.«

»Na ja«, murmelte Eva, »damals gab es bei der Presse noch freie Stellen. Sobald die Programme gedruckt sind, bringe ich dir eines vorbei. Und du rührst dann kräftig die Werbetrommel für die hübsche, liebreizende und talentierte Tochter eines Ahnenforschers.«

»Mir ist schon lange klar, warum die Dame neben Adam im Paradies Eva heißt.«

»Danke für das Kompliment!« Sie warf ihm eine Kusshand zu und brauste davon.

Um halb sieben klopfte Anielda. Sie hatte sich mithilfe eines altmodischen Sommerkleides und eines älteren Petticoats als Rokokoschäferin verkleidet und Kramer betrachtete mit Sorge, wie locker das Kleid um die Taille herum saß. Da passte eine Menge hinein, bevor der Bund anfing zu kneifen. Er selbst hatte aus seinem Repertoire der kleinen Verwandlungskunst einen grauen Schnurrbart und eine blonde Lockenperücke ausgegraben und den großen, breiten Ledergürtel mit dem Spielzeugrevolver im Holster umgeschnallt, vorn an dem Gürtel fanden noch die beiden Handschellen Platz neben den Laschen und den Ersatzpatronen. Eine Shagpfeife besaß er leider nicht, dafür eine ganze Kollektion von verspiegelten Sonnenbrillen.

»Du bist unerträglich schön«, stöhnte Anielda.

»Alle Augen werden sich trotzdem auf deinen Ausschnitt richten.«

»Neidisch?«

»Nicht sehr.« Als Kramer Anielda die beiden Piepser zeigte, verzog sie die Mundwinkel. »Deswegen also nimmst du mich mit.«

»Nicht nur, aber auch.«

»Ich werde mein Haar offen tragen müssen, sonst sieht man den Draht. Ich kann ihn ja schlecht aus meinem Ausschnitt zum Ohr führen.« Auch ohne Hochsteckfrisur sah Anielda sehr verführerisch aus, der Piepser funktionierte einwandfrei.

Sie kamen pünktlich weg. Nach der Adresse zu urteilen, gehörte Sabrinas Mann zu den Besserverdienern.

Er musterte Kramer neugierig und sagte dann: »Mit dem Palettenwälzen warten Sie bitte noch was, einverstanden?«

»Wissen Sie schon, was es wird?«

»Beides«, murrte Sabrina.

»Häh?«

»Ein Zwillingspärchen.«

»Enttäuschen Sie Victor nicht, indem Sie länger daheim bleiben.«

»Er hat doch eine Vertretung.«

»Mit der er sich nicht versteht.«

»Das habe ich befürchtet. So, und jetzt verraten Sie mir, was Sie eigentlich von mir wollen.«

»Zwei Dinge. Erstens sollen Sie Anielda und mir helfen, ganz normal und unauffällig als Gäste an dem Sommerfest teilzunehmen. Und zweitens sollen Sie mir, wenn wir drin sind, zeigen, wo Sie etwas Wertvolles verstecken würden. Das Versteck muss so beschaffen sein, dass Sie jederzeit an

die versteckten Sachen herankommen, ohne den halben Garten umzugraben oder eine tragende Wand einzureißen.«

»Wie groß ist denn das, was da versteckt sein soll?«

»Ein kleiner Koffer oder eine größere Reisetasche. Recht klein, ab ziemlich schwer.«

Sabrinas Mann räusperte sich. »Da kommt eigentlich nur der Dachboden infrage.«

Sabrina nickte. »Der ist groß, mit vielen Ecken und Nischen. Hoffentlich haben Sie eine Taschenlampe dabei. Bei der Renovierung des Dachstuhls hat sich ein Künstler ausgetobt. Balken kreuz und quer, hoch und niedrig, schräg und gerade. Dicke und dünne. Von den Künstlern geht keiner freiwillig nach da oben. Das wird übrigens auch nicht gerne gesehen, wegen der Feuergefahr.«

Die Künstlerkolonie bestand aus einem riesigen einstöckigen Gebäude aus weiß verputzten Backsteinen mit einem hohen Ziegeldach, in das zahlreiche Gauben eingelassen waren.

»Ein ehemaliges Sägewerk mit Möbelfabrik«, erläuterte Buchwald. »Auf der anderen Seite ist noch das oberschächtige Wasserrad montiert, das in den nächsten Jahren renoviert werden soll.«

In der Tat plätscherte nicht weit von dem großen Gebäude ein kleiner Bach, der in einen großen Teich mündete.

Der Parkplatz vor der Kolonie war schon gut besetzt. Sie fanden nur mit Mühe noch eine Ecke und Kramer rieb sich unzufrieden das Kinn. Wenn sie später türmen mussten, würde es eine schwierige Slalomfahrt geben.

In dem hallenartigen Raum hatte sich schon ein ziemlich ausgelassenes und hörbar angeheitertes Völkchen eingefunden. Anielda wurde wohlwollend bestaunt, der Ausschnitt tat seine Wirkung, und Kramer zückte unter ihrem wütenden Blick ergeben sein Portmonee. »Ich trinke Sekt«, verkündete Anielda drohend, Kramer begann mit Orangensaft, weil er auf jeden Fall noch fahren musste.

In einem abgetrennten Nebenraum wurde noch das Büfett auf gebaut und Franzi Esteburg riss die Augen weit auf, als sie Kramer bemerkte.

»Ich bin ein guter alter Bekannter von Sabrina Buchwald«, sagte er zur Erklärung, und das genügte offenbar als eine Art Eintrittsberechtigung.

Wie bestellt kreuzte Sabrina auf. »Mein Freund Rolf Kramer. Die gute Seele der Kolonie, Franziska Esteburg.«

»Wir hatten schon das Vergnügen«, sagte Kramer schnell und Sabrina warf ihm einen mehr als misstrauischen Blick zu. »Komm, ich zeige dir mal die ganze Anlage.«

Sie waren kaum außer Sicht, als Sabrina zischte: »Hüte dich vor Franzi. Sieht nett und harmlos aus, ist aber eine Schlange.«

»Giftoder Würgeschlange?«

»Das kommt darauf an, in welcher Lage ihr euch begegnet. Vertikal ist sie fast noch gefährlicher als horizontal.«

Hinter der Küche gab es eine nachträglich eingebaute Treppe zum Dachstuhl, versperrt mit einer beachtlichen Holztür, deren Schloss Kramer stöhnen ließ. Das wollte mit aller Kenntnis geknackt sein.

»Gibt es Alarmanlagen oder so?«

»Nein«, flüsterte Sabrina.

Im Hauptraum wurden die unvermeidlichen Reden geschwungen. Könner hätten Freude an der und durch die Kunst. Bevor der Redner Aristoteles oder einen Griechen ähnlichen Kalibers zitieren konnte, drehte ein Spaßvogel die Verstärkeranlage auf. Der ebenfalls unvermeidliche Walzer An der schönen blauen Donau schnitt dem Redner unbarmherzig das Wort ab und die Masse setzte sich in Bewegung.

Sabrina stürmte in den Saal, um ihren Ehemann aufzugabeln, doch der Ungetreue hatte sich bereits Anielda geschnappt und walzte mit ihr aus Herzenslust. »Männer sind doch treulose Tomaten«, zischte Sabrina vor sich hin. »Er wollte ein Kind, ich muss jetzt zwei mit mir herumtragen und bei der erstbesten Gelegenheit tanzt er mit einer anderen.«

»Komm, wir werden es denen mal zeigen.«

»Kannst du denn tanzen?«

»Seit der Tanzstunde.«

Es ging sogar wirklich gut. Sabrina war eine sehr angenehme Partnerin, und weil sie sich als Kostüm noch ein Kissen vor den Bauch unter das enge schwarzweiß gestreifte Häftlingstrikot gebunden hatte, tanzten sie notgedrungen auf Tuchund Kissenfühlung. Sie duftete wieder nach allen Blumen des Paradieses. Kramer schwenkte bei den nächsten Tänzen seine Handschellen und diese Anspielung war für Buchwald zu viel, er fing sie ab und entführte Sabrina. Aus der erhofften Ruhepause wurde allerdings nichts. Anielda wirbelte mit Kramer über den glatten Holzfußboden, dass er bald um einen Erholungsstopp bitten musste. An der Bar wurden sie von Franzi bedient, der Anielda offenkundig gefiel.

Minuten nach Eröffnung brummte das Fest schon auf Hochtouren, denn wer gekommen war, wollte sich auch amüsieren. Während Anielda ihren zweite Pikkolo in Angriff nahm, flüsterte Kramer ihr zu: »Ich gehe zum Auto und hole mein Werkzeug.«

»Schon?«

»Ja, mein Schatz, ich bin im Dienst. Sei übrigens vorsichtig, unsere nette Bedienung ist quasi eine Tante der verschwundenen Anna.«

Niemand wollte in seinen Leinenbeutel schauen, als er vom Parkplatz zurückkam. Er schlich sich in den winzigen Flur, der zur Küche und zur Treppe führte. Ausnahmsweise hatte Anielda von selbst geschaltet und steckte den Kopf um die Ecke: »Ich warte hier.«

Der siebte oder achte Schlüssel fasste, das Schloss ließ sich so geräuschlos öffnen, dass für Kramer feststand, es wurde häufiger benutzt. Auf der Holztreppe knipste er die Taschenlampe an, es gab zwar eine normale Treppenbeleuchtung, aber die wollte er nicht einschalten. Oben richtete er den Lampenstrahl in die Düsternis vor ihm und musste Sabrina Recht geben. Es sah aus, als habe ein überdrehter Künstler zu viel Holz in Form von Balken, Latten, Bohlen Brettern und Sparren zur Verfügung gehabt und beschlossen, alles Material ohne Plan, ganz willkürlich so einzubauen, dass es irgendwie den Firstbalken abstützte. Kramer brauchte lange, bis er das System der Yförmigen Stützen durchschaute und die Xförmigen Versteifungen, Eckstreben und Ständer erkannte. Das Holz war neu, hell, glatt und roch noch durchdringend nach Imprägnierung. Der Firstbalken, aus mehreren Teilen zusammengesetzt, hatte einige Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte auf dem Buckel und an mehreren Stellen zusätzlich versteift und verstärkt werden müssen. Angetrunkene konnten sich in diesem Wirrwarr tatsächlich leicht verirren oder zumindest schwer die Köpfe anschlagen.

Vorsichtig tappte Kramer vorwärts und achtete darauf, seinen Kopf vor unfreiwilligen Begegnungen der hölzernen Art zu schützen. Am anderen Ende des Dachbodens waren die Balken so vor die Ziegelwand gesetzt worden, dass sich dreieckige Fächer ergaben. Nachträglich hatte ein Schreiner Türen vor jedes Dreieckfach gebaut und mit Schlössern versehen. Die Mieter oder Eigentümer eines Faches hatten sich mit schwarzer Lackfarbe auf dem Holz verewigt. Nachtwächter oder Esteburg fand Kramer nicht, aber auf einer Tür Lankenow. Dummerweise befand sich die Tür in der zweitobersten Reihe, die er ohne Hilfsmittel nicht erreichen konnte. Er brauchte eine Leiter oder einen Schemel oder einen Stuhl, um an das Schloss langen zu können.

Kramer machte kehrt, bemerkte in letzter Sekunde noch einen bewegten Schatten, dem er nicht mehr ausweichen konnte, und erhielt einen wüsten Schlag vor die Stirn, der ihn zu Boden warf. Ein Mann beugte sich über ihn und nestelte die Spielzeughandschellen von Kramers Gürtel. »Wie praktisch«, höhnte er. »Räuber, die ihre eigenen Handschellen mitbringen, sind doch die angenehmsten.«

An der Stimme erkannte Kramer ihn. »Hallo, Dircks, wie schön, dass wir uns schon so bald wieder treffen.«

»Die Freude wird dir bald vergehen, Kramer.«

Das traf leider zu, die Spielzeughandschellen, obwohl nur aus Plastik, saßen sehr stramm und fest und ließen sich ohne Schlüssel wohl nicht öffnen. Dircks nahm die zu Boden gefallene Taschenlampe und verschwand im Wald der Streben und Stützen. Es polterte dumpf, der Lichtschein kehrte zurück und Dircks trug in einer Hand eine kleine Trittleiter. Und jetzt, da es eindeutig zu spät war, summte der Piepser einmal lang das verabredete Zeichen dafür, dass sich eine Person der Treppe zum Dachboden näherte. Diese verdammte Anielda! Warum hatte sie Dircks nicht gemeldet?

Jemand stieg drei oder vier Stufen die Treppe hoch und rief dann laut: »Ist da oben jemand?«

Ohne Zweifel Franzi Esteburg. Dircks hatte rechtzeitig die Taschenlampe ausgeknipst, eine kleine Pistole aus der Hosentasche gezogen, entsichert, durchgeladen und auf Kramers rechtes Knie gerichtet. »Ein Mucks und du brauchst für den Rest deiner Tage eine Krücke.«

Gerade weil er nicht mit einem tödlichen Schuss drohte, nahm Kramer ihn ernst und hielt den Mund. Franzi stieg noch weiter die Treppe hoch, und als die Schritte auf der Holztreppe nicht mehr zu hören waren, flammten mehrere starke Lampen hoch unter der Decke auf. Die Schritte kamen näher, Kramer sah, dass Dircks seine Hand um die Pistole regelrecht verkrampfte. Dann verstummten die Schritte, Franzi musste sich ganz in der Nähe befinden und sich hinter einem der vielen Träger verbergen. Die Stille zerrte an ihrer aller Nerven.

Dann erlosch urplötzlich das Deckenlicht, in der unerwarteten Finsternis tanzten Kramer farbige Kreise und Kringel vor den Augen. Aber immer noch eine nervenfressende Ruhe, die endlich durch das Geräusch der zugeworfenen Tür vor der Bodentreppe beendet wurde. Franzi verlor die Nerven und begann zu schreien.

»Sei doch ruhig, du dumme Nuss!«, brüllte Dircks in die Finsternis.

Und es wirkte, Franzi fragte nur: »Was war das?«

»Ich weiß es nicht.«

Kramer hätte Auskunft geben können, aber den Gefallen tat er den beiden nicht. Er konnte sich gut vorstellen, was passiert war. Dircks hatte Anielda überrumpelt, deswegen hatte sie auch keinen Alarm piepsen können. Dann war sie wach geworden und hatte mitbekommen, dass Franzi auf den Dachboden hochstieg. So wie Kramer seine Anielda einschätzte, hatte sie über Handy schon die Polizei alarmiert und vorgeschlagen, man möge gleich ein MEK oder SEK schicken. Seine Chancen, aus dieser Falle herauszukommen, standen also vielleicht gar nicht so schlecht.

»Peter, sag doch was!«, flehte Franzi.

»Was soll ich denn sagen?«

»Was willst du hier?«

»Ich wollte diesen verfluchten Schnüffler davon abhalten, sich nach der Beute umzusehen.«

»Welchen Schnüffler?«

»Moment, ich muss mal die Taschenlampe anknipsen.« Der Schein blendete Kramer.

Franzi stieß einen leisen Überraschungsschrei aus. »Was machst du denn hier?«

»Ich habe mich nur etwas umgesehen.«

»Das glaubst du doch selber nicht.«

Kramer zuckte die Schultern. Er musste die beiden hier auf dem Boden festhalten, bis die Polizei eintraf. »Irgendwo muss der Rest der Beute aus dem Bruch bei Eisele ja verborgen sein. Oder habt ihr schon alles verscherbelt?«

»Nein«, sagte Franzi unwillkürlich und Dircks atmete ob dieser Dummheit schwer aus.

»Und du meinst, die Sachen sind hier verborgen?«

»Ja.«

»Wie kommst du darauf?«

»Das ist etwas kompliziert. Als Eberhard Nachtwächter erschossen wurde, war er auf dem Weg in den Rackenhof um die Beute zu holen. Die Beute war versteckt in dem Geschäft

Alles für Ihre Reise, zu dem nur du Nachschlüssel hattest. Aus dem Fenster des Personal-Aufenthaltsraumes Ast der tödliche Schuss auf Eberhard abgegeben worden. Der ist gegen den Laster geknallt, es hat gekracht und gescheppert, der Nachtportier ist aus seinem Kabäuschen herausgestürzt und hat Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen alarmiert. Also mussten zwei Personen unbedingt sofort fliehen, damit sie von der Polizei nicht überrascht wurden: Voudou mit dem Gewehr und du mit der Beute. Vielleicht war noch ein dritter dabei, als der Schuss fiel, oder Peter Dircks hat vor einem Ausgang auf euch beide gewartet jedenfalls musstet ihr abhauen. Ich weiß nicht, ob ihr euch auf der Flucht noch abgesprochen habt. Wohl eher nein; denn Voudou hat bis vor Kurzem angenommen, dass Dircks die Beute an sich genommen und die Jahre über in seinem Keller versteckt hat. Jetzt bin ich dazwischengekommen und ihr seid nervös geworden, habt bei Franzi beraten, ob ihr die übrig gebliebenen Teile auf einen Schlag verkaufen und die alten Bandenbeziehungen auflösen solltet. Doch da hatte Voudou schon einen Fehler begangen und Corinna erschossen, als er bei Dircks nach der Beute suchen wollte.«

»Du hast eine blühende Fantasie.«

»Stimmt. Schlimm ist daran nur, dass ich meistens die Realität treffe.«

»Wo soll die Beute denn sein?«

»Da oben in dem Fach, an dem Lankenow steht.«

»Du verdammtes Biest«, grollte Dircks.

»Ich habe einen schönen Spruch für Sie alle. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Oder umgekehrt. Ich habe selten mit einem Fall zu tun gehabt, bei dem ich so schamlos und dreist belogen worden bin. Von allen immer wieder. Teils mit Grund, teils grundlos. Ich bin mal gespannt, wie ihr euch vor Gericht gegenseitig in die Pfanne haut. Keiner aus der berühmten KeilerBande hat dem anderen vertraut. Jeder wird jeden belasten und in den Zellen dürft ihr dann darüber nachdenken, dass die Wahrheit manchmal Vorteile hat.«

»Warum redest du so viel?«, unterbrach ihn Franzi.

»Das tut er immer, wenn er Zeit schinden oder sein Honorar in die Höhe treiben will«, rief eine Männerstimme laut.

Kramer traute seinen Ohren nicht. Wie kam der graue Victor hierher?

Damit war der Überraschungen noch kein Ende. Eine helle Frauenstimme befahl: »So, alle unsere verehrten Gäste kommen jetzt mit erhobenen Händen vom Dachboden herunter. Wer eine Waffe trägt, wird dieses Sommerfest nie mehr vergessen, das verspreche ich, Hauptkommissarin Caroline Heynen.« Caro war hörbar zornig, und als das Deckenlicht auf flammte, rief Kramer hastig: »Die restliche Beute ist hier oben versteckt, Caro, aber ich komme nicht heran. Dieser blöde Hund von Dircks hat mir Handschellen angelegt, die ich alleine nicht aufbekomme. Wenn du jetzt lachst, gibt es doch noch Tote oder Schwerverletzte!«

Dircks glaubte, eine Chance zu haben, und rannte los, aber er schien durch die plötzliche Helligkeit geblendet und noch sehbehindert zu sein. Jedenfalls knallte er mit dem Kopf gegen den ersten schräg stehenden Balken, der ihm im Weg war, wurde herumgerissen und blieb mit einem Schuh an einem Fuß des nächsten Stützbalkens hängen, ruderte wild mit den Armen und stolperte nach rückwärts gegen ein Gaubenfenster, das nicht mit der nötigen Sorgfalt montiert worden war. Glas klirrte, Holz brach und splitterte und dann verlor Dircks endgültig das Gleichgewicht. In Höhe des Beckens stoppte ihn das Fensterbrett und er kippte mit dem Rücken voran durch das Fenster nach draußen. Dachziegel polterten, Dircks schrie vor Schmerzen, rutschte nach unten, brach mit einem metallischen Kreischen die Regenrinne ab und heulte noch einmal auf, als er in den freien Fall geriet. Doch das nächste Geschrei stammte nicht von ihm, sondern von zwei Frauen.

Zwei Polizistinnen gingen nebeneinander auf den Kücheneingang zu und wurden von dem Mann, der da wörtlich vom Himmel fiel, überrascht und zu Boden geworfen. Dircks landete vergleichsweise weich, die beiden Frauen kreischten vor Schmerz und Überraschung. Dann trat eine richtig entspannende Ruhe ein.

Caro lachte nicht, sondern schickte einen Polizisten hoch, Kramer zu befreien. Der Beamte sammelte auch die Waffe ein, die Dircks bei seinem verhängnisvollen Schnellstart hatte fallen lassen.

Hinter der Tür mit dem aufgepinselten Namenszug Lankenow fand sich tatsächlich eine blaue, halb gefüllte, aber immer noch schwere Sporttasche. Seyboldt blickte erwartungsvoll hinein und seufzte erleichtert. »Der Rest, Sie hatten Recht.«

»Du musst dich bei Anielda bedanken«, ordnete Caro an. »Sie ist in dem kleinen Küchenflur mit Chloroform außer Gefecht gesetzt worden und hat, als sie aufwachte, sofort Victor und mich alarmiert.«

»Dann hat es sich ja gelohnt, sie mitzunehmen«, brummte Kramer und seine Bemerkung brachte Anielda auf eine Idee: »Das Büfett, gleich wird doch das Büfett eröffnet. So lange könnt ihr noch warten.«

Ihr Wunsch war allen Befehl. Kramer überließ der ebenfalls hungrigen Caro »Seitdem ich dich kenne, lieber Rolf, habe ich keine Wochenenden mehr« seine Eintrittskarte und setzte sich mit knurrendem Magen an einen langen, leeren Tisch. Wenig später leisteten ihm Sabrina und Ehemann Gesellschaft. Franzi war durch eine Seitentür fast unbemerkt abgeführt worden, Dircks jammerte über ein paar blaue Flecken, hatte sich aber, wie die Polizistinnen, nichts gebrochen, das Sommerfest ging unverändert lautstark und trubelig weiter. Sabrina tratschte ein wenig: »Wir haben uns immer gewundert, über wie viel Geld Franzi verfügte, auch nachdem sie nicht mehr Modell stand.«

»Keine Unterstützung vom Ehemann?«

»Doch«, sagte Buchwald, »aber dem geht’s in letzter Zeit geschäftlich ziemlich mies.«

Kramer verabschiedete sich herzlich von der Viererbande in spe, die noch bleiben wollte. »Wer weiß, wann ich mich das nächste Mal amüsieren kann«, seufzte Sabrina und winkte Seyboldt zu, der einige kryptische Äußerungen über verkürzte Schwangerschaften losgelassen, aber nicht so richtig an die Frau gebracht hatte.

Buchwald grinste und berichtete von einem ungewöhnlich starken Hirschen in seinem Revier, was Sabrina mit den Worten kommentierte: »Zurzeit lieber einen kapitalen Hirsch als ein schlankes Reh.«

Anielda fing Sabrinas Blick auf und zupfte demonstrativ an ihrem rutschenden Ausschnitt. Caro bestand darauf, dass sie alle noch zum Präsidium fuhren und dort ihre Aussagen auf Band diktierten. Dircks musste über Nacht bleiben, das Chloroform reichte für den Vorwurf der schweren Körperverletzung, und Franziska Esteburg durfte gehen, weil ihr eine Beihilfe wohl nicht nachzuweisen war. Ob und wie sie die Staatsgewalt wegen des Einbruchs bei Eisele/Beelitz belangen würde, stand noch offen und mit dem Tod des Eberhard Nachtwächter »Mord oder Totschlag?« sollte sich der Staatsanwalt in Ruhe beschäftigen.

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