Читать книгу Der Verleger, der seinen Verstand verlor und sich auf die Suche machte - Achim Albrecht - Страница 10
ОглавлениеMein lieber, alter Freund George,
lange habe ich nichts mehr von mir hören lassen. Das ist nichts Neues für Dich und ich weiß, dass Deine sprichwörtliche Langmut beinahe unbegrenzt ist.
Da ich unsere Korrespondenz archiviere, so wie ich das aus Tradition und Pflichtbewusstsein mit fast allen Dingen von Belang tue, konnte ich unsere letzten Gedankenaustausche noch einmal nachlesen und weiß daher, dass wir bei dem Moment stehen geblieben waren, als Marie mich verließ. Das war wirklich ein gravierender Einschnitt in meinem Leben.
Ich erinnere mich genau, was Du mir in Deiner Lebensweisheit zu verstehen gegeben hast, alter Freund. Ich solle mich von dem Alten abwenden und Neuem zuwenden. Das war sicherlich richtig, aber ich vermochte die Weitsicht dieses Rates in meinem Kummer nicht zu erkennen. Ehrlich gesagt war ich sogar abgestoßen von Deiner Dickhäutigkeit und Deiner scheinbaren Gleichgültigkeit, mit der Du nach dem Anhören der für mich katastrophalen Entwicklung wieder Deinen Alltagsgeschäften nachgingst.
Ich fühlte mich vernachlässigt und missverstanden, von Marie, meinen geschätzten Autoren, den Lesern, Abonnenten, den Menschen in unserer Stadt und nicht zuletzt von Dir. Dafür möchte ich mich jetzt, mehr als zehn Monate zu spät, von Herzen entschuldigen. Ich bin weit davon entfernt, als geheilt bezeichnet werden zu können, aber ich bin gereift, ich bin auf dem Sprung, ich bin lebendig und voller Ideen.
Ja, ich gebe zu, dass ich entmutigt war und passiv entgegennahm, was an Realität auf mich einstürmte. Ich habe es sogar versäumt, die zweite Halbjahresausgabe von Intelligentia rechtzeitig herauszubringen, was mir berechtigte Schelte bei der Leserschaft einbrachte und dazu führte, dass die Abonnentenzahl um 28 Prozent zurückging. Eine Reihe von Büchern, darunter die vielversprechende feministische Streitschrift ‚Die Hyazinthe als Symbol des Phalluskultes‘, ist im Lektorat stecken geblieben und mein Staubsauger gab widerwärtige Geräusche von sich, als ich nach Wochen oder Monaten des Selbstmitleids wieder einmal mein Haus einem zaghaften Reinigungsversuch unterzog. Du weißt selbst, mit welch ungeheuerlicher Geschwindigkeit sich Schmutz ansammelt, wenn man ihn gewähren lässt.
Es wird Dich freuen zu hören, dass ich als Nebenprodukt meiner Trauer zu einer Art unfreiwilligem Vegetarier wurde. Anscheinend hatte ich noch unvorstellbare Vorräte an Dosenobst und Kidneybohnen in der Vorratskammer im Keller. Jedenfalls fand ich mich am Ende meiner Trauer umgeben von ganz genau 741 geöffneten Dosen Obst und Gemüse, davon interessanterweise auch 5 Dosen, von denen ich mir sicher bin, dass ich sie niemals gekauft habe.
Mehrere Schuhkartons dienten als Asyl für Behördenbriefe, Manuskripte und andere Sendungen, die ich geöffnet haben muss. Ich kann mich aber nicht genau erinnern, was ich bearbeitet habe und was nicht.
Nun denn, die schwierigen Zeiten liegen hinter mir und ich habe damit begonnen, alle Signale auf Erfolg zu stellen. Du wirst noch von mir hören und besuchen werde ich Dich auch. Entschuldige, wenn ich an Dir gezweifelt habe.
In ungeminderter Zuneigung,
Peter Korff
Dein Freund