Читать книгу Der Verleger, der seinen Verstand verlor und sich auf die Suche machte - Achim Albrecht - Страница 21
ОглавлениеZoologischer Garten
Elefantengehege/postlagernd
Mein lieber Freund George,
Du fehlst mir und ich weiß, dass ich Dir fehle. Im Moment muss ich allerdings vorsichtig sein und jeden meiner Schritte abwägen. Ich habe Großes vor und Du sollst ein Teil davon sein. Ich sage nur: Kunst- und Literaturfestival!
Diesen und die nächsten Briefe schreibe ich Dir, ohne sie wirklich abzuschicken. Dein Pfleger ist auf unser besonderes Verhältnis eifersüchtig und hat uns bei der Zoodirektion angeschwärzt. Jetzt überlegen alle, ob Du und ich irgendwie unnormal sind, all die Hunde- und Katzenbesitzer, die mit ihren Tieren auf Du und Du stehen und sie Tag und Nacht verhätscheln. Ich möchte behaupten, dass unsere Beziehung im Vergleich nüchtern und gesund ist. Wie siehst Du das, George?
Sei es, wie es sei, ich bin auf das Wohlwollen des Zoos angewiesen und möchte das Festival störungsfrei planen und gestalten. Stell Dir vor. Tausende Besucher, Hunderte Exponate, mehrere Bühnen, Literaten und bildende Künstler aus aller Welt. Wettbewerbe, Slam Poetry, Installationen unter Beteiligung des Publikums. Dazu Merchandising, Medien. Als Kulisse das herrliche Zoogelände. Ein Panoptikum im Panoptikum. Internationale Aufmerksamkeit und alle Rechte bei Scientia. Die armseligen, örtlichen Kulturaffen werden schäumen. Sie sind höchstens Zaungäste. Sie denken nicht groß genug. ‚Denken heißt überschreiten‘, um mit Ernst Bloch zu sprechen.
Und Du, mein Freund George, wirst als Exponat der ungezügelten Natur einen Ehrenplatz erhalten. Die Unsterblichkeit und Auszeichnungen winken. Ich kann sie förmlich vor mir sehen. Man wird sich um uns reißen, glaube mir. Nach dem Festival wird es niemand mehr wagen, unsere Kommunikation ins Lächerliche zu ziehen, uns zu demütigen und uns zum Rückzug zu zwingen.
Geld wird auch da sein. Du kannst Dir schon einmal Gedanken für später machen. Festivals unter Wasser, Festivals in der Wüste, ein Festival auf dem Mount Everest. Denk an Christo und daran, was dieser Mann für die Kunst geleistet hat. Ein Meilenstein. Mehr als das. Verfremdung durch Verpackung. Die Schaffung neuer Identität durch Verhüllung. Zuerst verlacht, denn ignoriert, jetzt gefeiert. Ein Titan. Das Gleiche in der Schriftstellerei. Kafka, Benn, Wallace. Verfemte. Außenseiter. Genies allesamt. Und im Herbst wir.
Wenn nur nicht das lästige Problem mit der Finanzierung wäre. Wir brauchen Sponsoren. Ich arbeite bereits Tag und Nacht an meinen Altlasten. An Schlaf ist kaum zu denken, außerdem habe ich kein Bett mehr. Ich habe stark an Gewicht verloren. Wie viel, weiß ich nicht. Ich habe keine Waage mehr. Ich esse Erbsen und Karotten aus Dosen. Die Ravioli sind alle. Das ist schade. Wo ist mein ganzes Besteck, das mir meine Mutter vererbt hat? Ich muss Marie fragen.
Du siehst, es brennt an allen Ecken und Enden, aber das ist gut so. Wenn erst der ganze Behördenkram erledigt ist, komme ich ganz bestimmt vorbei und lese Dir all die Briefe vor, die aus taktischen Gründen erst einmal bei mir lagern. Ganz bestimmt.
Pass auf Dich auf,
Dein Peter