Читать книгу Der Verleger, der seinen Verstand verlor und sich auf die Suche machte - Achim Albrecht - Страница 23

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Stadtverwaltung

Ordnungsamt

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ihrer Aufforderung ‚ein halb verbranntes und geschmolzenes Plastikkamel‘ aus meinem Garten zu entfernen, weil es ‚Abfall sei‘ und sein Anblick im Übrigen ,die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde‘ werde ich aus den folgenden Gründen nicht nachkommen:

– Das Kamel ist kein Kamel, sondern ein Dromedar. Für die Behörde mag dies ein vernachlässigenswerter Punkt sein, für den Kunstliebhaber jedoch keineswegs.

– Der hochdekorierte Installationskünstler Frank Pesser, ein unangepasster Mahner wider den Missbrauch der Kreatur im Angesicht skrupelloser Ausbeutung natürlicher Ressourcen, hat die Skulptur ‚Dromedar im Vergehen‘ als Kontrapunkt gegen den modernen Rohstoffimperialismus geschaffen und dem Verlagshaus Scientia als Dauerleihgabe mit der Auflage zur Verfügung gestellt, dieses Abbild der geschundenen Kreatur in einem natürlichen Habitat auszustellen.

– Da der Künstler, ebenso wie der Verlag, der Meinung ist, Kunst müsse ohne Diskriminierung ‚künden‘, soll die Installation von der interessierten Bevölkerung wahrgenommen werden können. Wahrnehmung bedeutet Sichtbarmachung im klassischen Sinne. Die Installation wurde daher unter strenger Aufsicht des Künstlers im Garten des Verlagsgrundstücks verankert, weithin sichtbar für alle.

– Was die Auffassung der Behörde betrifft, der Garten sei ‚ein Stück verwildertes Brachgrundstück, bei dem der Verkehrssicherungspflichtige seinen Pflichten nicht nachkomme‘, erwidere ich, dass der Garten ein Garten ist, der offensichtlich nicht brachliegt, sondern im Gegenteil eine üppige Bepflanzung aufweist. Das Grundstück ist als Staudengarten konzipiert und somit von Stauden und Gräsern bewachsen, die im Frühjahr ihre volle Größe erreichen. Der Staudengarten soll mit voller Absicht ein Biotop sein, das der vielfältigen Fauna der Insekten- und Vogelwelt Asyl bietet.

– Mitnichten hat der Verlag Scientia auf seinem Gartengrundstück eine wilde Müllkippe eröffnet oder geduldet. Der rund um die Installation verstreute Plastikmüll ist sorgfältig von dem Künstler Frank Pesser ausgewählt, arrangiert und fixiert worden. Der Müll symbolisiert auf plakative Weise die Tragik der Wohlstandsgesellschaft und die Unfähigkeit des Menschen, die Kreatur vor den negativen Auswirkungen der Wohlstandsgesellschaft zu schützen.

– Es ist nicht zu leugnen, dass eine derartige Kunstperformance auf Widerspruch und Irritation stößt. Kunst ist kein Selbstzweck und hat zum Ziel, Anstöße zu geben, Reibung zu erzeugen und den Diskurs anzuregen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Reaktion der örtlichen Presse (‚Das geschmolzene Dromedar – durchgeknallt oder große Kunst?‘), die Formierung der Bürgerinitiative ‚Weg mit dem Müll‘ und die Berichterstattung des Senders RTL (‚Wahnsinn in deutschen Vorgärten‘).

– Ich erlaube mir noch den Hinweis, dass der ausgeschlachtete Kühlschrank, das Gerippe einer nicht identifizierbaren Maschine mit Schleifvorrichtung und das intakte Billy Regal nicht zu der ursprünglichen Installation gehören. Der Verlag verzichtete in Absprache mit dem Künstler auf eine Anzeigenerstattung wegen Sachbeschädigung und auf das Erheben von Schadensersatzansprüchen. Frank Pesser votierte dafür, den aus der Mitte der Bevölkerung hinzugefügten Abfall in das Kunstwerk zu integrieren und somit die Installation ‚Dromedar im Vergehen‘ zu einem wachsenden und sich verändernden Organismus zu machen. Der Verlag ist sich mit dem Künstler einig, dass dieser revolutionär egalitäre Ansatz, den wir in einer ersten, provisorischen Bezeichnung ‚Beteiligungskunst‘ nennen wollen, wegweisend für die Gegenwartskunst sein wird.

Der Unterzeichner nimmt an, dass nach diesen Klarstellungen das Ordnungsamt eine bessere Sicht der Dinge hat.

Mit besten Grüßen, Ihr Mitbürger

Peter Korff

Kunstmäzen

Der Verleger, der seinen Verstand verlor und sich auf die Suche machte

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